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Zu Besuch bei Chávez-Gegnern

Kein leichtes Spiel für argentinische Senatorin Kirchner als Gastrednerin der jüdischen Gemeinde in Venezuela

Von Harald Neuber, Caracas *

Die argentinische Senatorin Cristina Kirchner kam jüngst mit einem Spezialauftrag in die venezolanische Hauptstadt. Als Gastrednerin zum 40. Jahrestag des Dachverbandes der jüdischen Vereine Venezuelas (CAIV) sollte die Gattin des amtierenden Präsidenten Argentiniens, Néstor Kirchner, im »Hebräischen Kultur-, Sozial- und Sportzentrum« am vergangenen Wochenende nicht nur zum Thema »Lateinamerikanische Integration« sprechen. Ihre Mission war es, zwischen der Regierung von Präsident Hugo Chávez und der CAIV zu vermitteln.

Das Verhältnis zwischen beiden Seiten ist seit längerem angespannt, insbesondere seit die Bolivarische Republik im vergangenen August aus Protest gegen den israelischen Überfall auf Libanon ihren Botschafter aus Tel Aviv abzog. Bereits 2005 hatten konservative jüdische Organisationen wie das Simon-Wiesenthal-Zentrum (CSW) in Buenos Aires dem venezolanischen Staatschef »Antisemitismus« vorgeworfen, weil er Israel kritisierte. Ein bekanntes Schema.

Bei dem Festakt der CAIV stand vor allem das strategische Bündnis Caracas´ mit der islamischen Regierung Irans in der Kritik. Wenn die Akteure auch nicht direkt benannt wurden, war allen Anwesenden klar, wen CAIV-Präsident Pressner meinte, als er gegen »die neuen Antisemiten« wetterte. »Hier im Raum sitzen Menschen, die noch die Nummer des Konzentra­tionslagers im Arm tätowiert haben«, so Pressner. Niemand solle ihm also erzählen, daß es den Holocaust nie gegeben habe. Es war allerdings nicht der einzige Konflikt, der die Veranstaltung prägte: Das Publikum ließ keine Zweifel an der grundsätzlichen Gegnerschaft zu einer Regierung, der die Umverteilung des Reichtums ein Hauptanliegen ist.

Cristina Kirchner hatte also kein leichtes Spiel – auch wenn sie die Wunschkandidatin der Organisatoren war. Antisemitismus, so die Senatorin der peronistischen »Gerechtigkeitspartei«, würde in Lateinamerika auf Widerstand treffen, »weil auch dieser Kontinent auf eine eigene Geschichte der Verfolgung und Unterdrückung zurückblickt«. Heute regierten in Lateinamerika Präsidenten, die für Menschenrechte einträten, so Kirchner.

Ohne auf die venezolanische und argentinische Zusammenarbeit mit Teheran Bezug zu nehmen, verteidigte Kirchner »unsere Politik der Multipolarität«. Sie stelle »einen Weg zur Sicherung des Friedens« im Sinne der UN-Charta dar. Im reichen Ostteil Caracas’, in dem sich das hebräische Zentrum befindet, rief sie auch zur Unterstützung der neuen Linken auf. »Es sind nicht religiöse oder ethnische Probleme, unter denen Lateinamerika heute leidet«, sagte Kirchner. »Es ist die immense Kluft zwischen Arm und Reich, die uns als Schande anhängt.« Zum ersten Mal regierten in Lateinamerika Staatschefs, die dies anerkennen: »Erst wenn die Entwicklung jedes Einzelnen gewährleistet ist, wird die Barbarei verhindert.«

Ob der Aufruf zum Verständnis Wirkung zeigt, ist fraglich. Dem Konflikt zwischen der jüdischen Gemeinde Venezuelas und der Regierung liegt schließlich nicht der Streit um Antisemitismus zugrunde, sondern das Verhältnis zum israelischen Staat: Zu dessen »uneingeschränkter Verteidigung« rief Pressner als Vertreter der jüdischen Peripherie auf, während er von Caracas als Verbündeter des Hauptkontrahenten, der USA, wahrgenommen wird. Letztlich spaltet beide Seiten die soziale Frage – und das sicherlich auch deswegen, weil in der CAIV einige der größten Unternehmerfamilien organisiert sind. Und diese sind in der Tat keine Anhänger der Regierung Chávez’.

* Aus: junge Welt, 29. März 2007


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