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Mehr Geld für Venezuela

Regierung lockert Devisenkontrolle und erlaubt Konten in Fremdwährungen

Von Modaira Rubio, Caracas *

Nach fast einem Jahrzehnt strikter Devisenkontrollen hat die venezolanische Regierung in der vergangenen Woche beschlossen, die Eröffnung von Bankkonten in ausländischen Währungen innerhalb der Republik wieder zu erlauben. Von dieser Regelung profitieren natürliche und juristische Personen, die im Land selbst leben, sowie ausländische Unternehmen, die in die Wirtschafts­entwicklung Venezuelas investieren. Die entsprechende Entscheidung der Zentralbank wurde am Donnerstag in der Gaceta Oficial, dem amtlichen Anzeiger des Landes, veröffentlicht.

Im Februar 2003 hatte die Regierung von Präsident Hugo Chávez die Gründung einer Devisenverwaltungskommission (CADIVI) beschlossen, um Kapitalflucht, Steuerhinterziehungen und das Abschmelzen der Währungsreserven des Landes durch eine strikte Kontrolle des Geldumtausches zu stoppen. Damit reagierte das Kabinett auf die Situation der Volkswirtschaft, die nach dem gescheiterten Putschversuch vom April 2002 sowie der wochenlangen Sabotage der Erdölindustrie durch die Regierungsgegner im Dezember 2002 und Januar 2003 schwer angeschlagen war.

Bislang können venezolanische Auslandsreisende über Kreditkarten bis zu 3000 US-Dollar im Jahr ausgeben, die zu Hause nach dem offiziellen Umtauschkurs in der Landeswährung Bolívar abgerechnet werden. Bislang war es jedoch nicht möglich, Konten direkt in anderen Währungen zu führen, was vor allem die grenzüberschreitende Kooperation zwischen venezolanischen und ausländischen Unternehmen erschwerte. Deshalb grassierte der von den Behörden verfolgte und streng bestrafte illegale Handel auf dem Schwarzmarkt Die genauen Details der neuen Bestimmungen will der Chef der Zentralbank, Amando León, im Laufe dieser Woche bekanntgeben. Er unterstrich jedoch bereits, daß es nicht um einen unbegrenzten und unkontrollierten Ankauf ausländischer Währungen gehe.

Hauptprofiteur der Maßnahme wird der staatliche Erdölkonzern PDVSA sein, der für 95 Prozent der nach Venezuela fließenden Devisen verantwortlich ist. Der Konzern profitiert von dem für Unternehmen eingeführten separaten Wechselkurs von 5,3 Bolívares für einen US-Dollar , während die offizielle Quote der Zentralbank bei 4,3 Bolívares liegt. Das bedeutet mehr Mittel für die »Aussaat des Erdöls«, also für die Finanzierung der Sozialprogramme der venezolanischen Regierung. Zudem sollen durch die neuen Regelungen die Währungsreserven des Staates geschont werden, aus denen bislang jährlich 600 Millionen Dollar für Spesen bei Auslandsreisen bezahlt werden müssen.

Die Entscheidung der Zentralbank wird von Beobachtern unterschiedlich eingeschätzt. Während einige sie als Fortschritt sehen, werten andere das Aufweichen der Währungskontrolle als Zurückweichen des Staates. In der bürgerlichen Presse Venezuelas wurde von einer »versteckten Abwertung« und »Offshore-Dollarisierung« gesprochen. Gegenüber junge Welt sagte der Wirtschaftswissenschaftler und frühere Industrieminister Víctor Álvarez jedoch, durch die neuen Maßnahmen werde lediglich ein Übermaß an Einschränkungen in den bisherigen Regelungen korrigiert, durch die die wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen mit neuen Partnern wie China, Rußland, Vietnam, Iran, Brasilien oder den ALBA-Staaten behindert worden seien. »Das ist absolut positiv für die Stärkung unserer produktiven Souveränität, denn es erleichtert den Technologietransfer, die Ausbildung junger Talente, technische Unterstützung sowie die Gewinnung eines nationalen Mehrwerts aus Investitionsprojekten«, so Álvarez.

Manuel Sutherland von der Lateinamerikanischen Assoziation für marxistische Wirtschaftspolitik (ALEM) ging gegenüber jW davon aus, daß die Entscheidung der Regierung zweifellos den Zugang zu Devisen demokratisieren werde. Allerdings erleichtere sie zugleich mehr Leuten, Schuldscheine und Aktien der Regierung zu kaufen, um sie dann für Dollars zu verkaufen. Das könne dazu führen, daß sich der Staat verschulden müsse, um die zunehmende Nachfrage befriedigen zu können. Demgegenüber ging der Finanzanalyst Hernán Yellati bei der Wirtschaftsagentur Bloomberg davon aus, daß die Einführung der Devisenkonten den Druck auf die Regierung mindern werde, neue öffentliche Schuldverschreibungen in ausländischen Währungen aufzulegen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. Juli 2012


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