"Strategisch stimmen wir überein"
Stärkere Süd-Süd-Beziehungen und Verteidigung der Souveränität: Venezuela und Iran erweitern kontinuierlich ihre Beziehungen. Ein Gespräch mit David Velásquez
David Velásquez ist Botschafter Venezuelas im Iran.
Iran ist einer der wichtigsten Partner Venezuelas. Warum?
Venezuela und Iran haben auf ökonomischem, politischem und
energiepolitischem Gebiet sehr enge und aktive Beziehungen aufbauen
können, weil beide Regierungen in den Zielen der Wirtschaftskooperation
übereinstimmen - vor allem mit Blick auf Technologietransfer - und weil
deren Grundlage Solidarität und gegenseitige Unterstützung sind.
Venezuela und Iran ermöglichen gemeinsam die Stärkung der
Süd-Süd-Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen regionalen Blöcken
wie zwischen den Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz ALBA mit den
Ländern des Mittleren Ostens. Ein weiteres Element ist die Förderung
einer multipolaren Weltordnung. In diesem Sinne sind Venezuela und der
Iran strategische Verbündete.
Worin drückt sich diese Zusammenarbeit konkret aus?
Auf ökonomischer Ebene zeigt sie sich in den umfangreichen
Industrievereinbarungen, z. B. für den Bau eines Zementwerks, einer
Automobil- und einer Traktorenfabrik, von Lebensmittelfabriken und
anderen Werken durch Iran in Venezuela. Der Iran verfügt über
umfangreiche Erfahrungen in der Industrieentwicklung, von denen
Venezuela profitieren kann. Es gibt eine Zusammenarbeit in der
Landwirtschaft und vor allem im Sektor von Energie, Erdöl und Erdgas. Im
kommenden Jahr werden wir im Rahmen unserer Kooperationsabkommen
beginnen, Iran täglich 20000 Barrel Benzin zu liefern. Die Handelsbilanz
zwischen unseren Ländern ist von praktisch Null auf einen Umfang von
mehr als fünf Milliarden US-Dollar jährlich gewachsen, und darin sind
spezielle Projekte wie der Bau von 10000 Wohnhäusern noch gar nicht
enthalten. Auf politischer Ebene verfolgen unsere Länder eine gemeinsame
Politik in der Bewegung der Nichtpaktgebundenen, bei der Verteidigung
der Souveränität und Selbstbestimmung gegen den Imperialismus. Es
besteht die Möglichkeit, daß eine iranische Fluggesellschaft den
direkten Flugverkehr zwischen Teheran und Caracas aufnehmen wird, als
Ergänzung zu der Verbindung der venezolanischen Conviasa von Caracas
über Damaskus nach Teheran.
Über die venezolanische Fluggesellschaft Conviasa haben einige
europäische Medien kürzlich Spekulationen veröffentlicht, besonders über
die Verbindung zwischen Caracas und Teheran. Was transportieren die
Maschinen von Conviasa auf dieser Route tatsächlich?
Vor allem Passagiere und deren Gepäck, und dann auch Diplomatenpost und
Handelsgüter, so wie alle anderen Fluggesellschaften auch. Es hat bei
Conviasa einige Probleme gegeben, die wir gerade lösen, um den Verkehr
effizienter zu gestalten. Wir haben die Zwischenlandung in Damaskus, und
einige Passagiere reisen nur bis in die syrische Hauptstadt, so daß das
Flugzeug auf dem Weiterflug nicht mehr so ausgelastet ist. Wir wollen
die Vermarktung der Verbindung zwischen Damaskus und Teheran verbessern.
Aber das ist kein Geheimnis.
Bleiben wir bei den Spekulationen in der europäischen Presse: Befinden
sich unter den von Conviasa transportierten Gütern Waffen und Uran?
(Lacht) Nein, ganz bestimmt nicht. In vielen Medien ist spekuliert
worden, daß Venezuela dem Iran Uran verkaufen könnte. Unsere Länder
haben mehr als 200 Kooperationsabkommen unterzeichnet, mehr als 70
Projekte werden gerade durchgeführt. Eines dieser Abkommen betrifft die
Unterstützung im Energiebereich, besonders bei der Bergbautechnologie
und bei geologischen Erkundungen. Venezuela verfügt über Uran und
untersucht derzeit, ob die reale Möglichkeit seiner Ausbeutung besteht,
aber bislang produziert Venezuela kein Uran. Wenn die Untersuchungen
ergeben, daß das Uran exportierbar ist, kann Venezuela das ebenso tun
wie andere Länder. Das muß nicht bedeuten, daß Venezuela das Uran an den
Iran verkauft, es kann auch an Brasilien, die USA oder in europäische
Länder gehen. Für uns ist auch kein Tabu, die Atomenergie selbst zu
nutzen. Dazu haben wir ein Abkommen mit Rußland unterzeichnet. Irans
Stromverbrauch hängt zu 30 bis 40 Prozent von Importen ab. Venezuela
wird dem Iran Benzin verkaufen, wie dies auch europäische Länder tun.
Aber wir glauben, daß die industrielle und technologische Entwicklung,
die Iran in den vergangenen 30 Jahren genommen hat, eine Alternative zu
Erdöl und Erdgas zur Energiegewinnung sein kann.
Conviasa transportiert auch keine Waffen. Unsere Abkommen zum Kauf und
zur Produktion von Waffen sind öffentlich und bekannt. Es gibt Abkommen
mit Rußland und mit China, aber wir haben keinerlei Rüstungsabkommen mit
Iran, und wenn es eines gäbe, dann entsprechend den internationalen
Normen, die in diesem Bereich existieren.
Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad und andere hohe Repräsentanten
haben Positionen, die international verurteilt werden. So stellen sie
die historische Realität des Holocaust in Frage. Belastet das die
Beziehungen zwischen Venezuela und Iran nicht?
Unsere Politik zielt darauf ab, die gemeinsamen Positionen zu erkennen,
von denen aus wir arbeiten können, um aus unseren gemeinsamen Interessen
ein Maximum an Nutzen für unsere Völker zu schöpfen. Einige Aussagen des
Präsidenten Ahmadinedschad sind manipuliert worden. Er habe zum Beispiel
gesagt, daß Israel von der Landkarte verschwinden müsse. Diese Erklärung
wurde so manipuliert, daß diese angebliche Aussage am Ende herauskam.
Erst kürzlich hat ein hochrangiger Funktionär der israelischen Regierung
bei einer Lateinamerikareise erklärt, daß Chávez und Ahmadinedschad
verschwinden müssen. Wir müssen verstehen, wie die Propaganda der Mächte
und ihre Medienkampagnen angebliche Wahrheiten verbreiten und ständig
wiederholen. Wir respektieren die inneren Angelegenheiten jedes Landes,
mit dem wir Beziehungen haben, wir respektieren die Selbstbestimmung der
Völker und wollen entsprechende Beziehungen mit allen Nationen aufbauen.
Im Fall anderer Länder wie USA oder Israel kritisiert die venezolanische
Regierung häufig Menschenrechtsverletzungen. Warum nicht im Fall des Iran?
Ich glaube, es gibt kein Element, daß uns dazu zwingt, dieses Thema zu
diskutieren oder offen anzusprechen. Wenn diese Situation eintreten
sollte, wird Präsident Chávez auf angemessener Ebene konsequente
Positionen einnehmen, wie er es bisher auch schon getan hat.
US-Präsident Barack Obama ist jetzt Friedensnobelpreisträger, aber fast
gleichzeitig hat er mehr Soldaten in den Krieg nach Afghanistan
geschickt. Es gibt kein anderes Land, das die Menschenrechte so sehr
verletzt wie die USA, und es gibt kein zynischeres Land, wenn es darum
geht, andere anzuklagen. In strategischer Hinsicht stimmen Iran und
Venezuela überein, in anderen Aspekten gibt es Differenzen. Es gibt für
uns keinen Grund, Verletzungen der Menschenrechte durch die Islamische
Republik Iran anzuklagen, und wenn doch, wird die Bolivarische
Revolution sie im Rahmen der diplomatischen Kanäle thematisieren, die
zwischen beiden Ländern bestehen.
Beim Gipfeltreffen in Kopenhagen haben wir gesehen, wie die
Demonstranten brutal unterdrückt wurden. Aber dort herrscht ja
Demokratie, und niemand hat die brutale Repression gegen die
Demonstranten als Verletzung der Menschenrechte verurteilt. Das gleiche
gilt für andere Länder, wo die Demonstrationen derjenigen, die anders
als das imperialistische oder pro-imperialistische Regierungssystem
denken, unterdrückt werden. Das wird verschwiegen. Zugleich gibt es aber
ernste Drohungen gegen den Iran und gegen die islamische Regierung
Irans. Diese Drohungen haben zu tun mit dem Nuklearprogramm, mit
ständigen Aggressionsdrohungen durch Israel, Iran anzugreifen, wenn
dessen Maßnahmen von den USA und anderen westlichen Mächten nicht als
ausreichend angesehen werden. Es gibt den Versuch, den Konflikt in
Afghanistan, das eine gemeinsame Grenze mit Iran hat, über die Grenzen
des Landes auszudehnen; nach Pakistan ist dieser Konflikt bereits
ausgedehnt worden. Im Zusammenhang mit den Wahlen gab es eine
offensichtliche Einmischung und Manipulationen durch Mächte wie die USA,
Großbritannien, Deutschland und Frankreich.
Interview: André Scheer, Teheran
* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2009
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