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Staatlicher Kaffee

Venezuelas Regierung übernimmt Unternehmen, um Bauern zu stärken

Von Maxim Graubner, Caracas *

Der venezolanische Kaffeehersteller »Café Madrid« befindet sich künftig im Mehrheitsbesitz des Staates. Der bisherige Konkurrent »Fama de América« sowie der venezolanische Zweig der deutschen »Cafea-Gruppe« werden unterdessen komplett verstaatlicht. Entsprechende Dekrete wurden in der vergangenen Woche veröffentlicht. Auch einige Zuckerproduzenten werden vom venezolanischen Staat übernommen.

Ziel der Verstaatlichungen in der Kaffeebranche sei die Reduzierung des hohen Marktanteils der Marktführer auf höchstens 50 Prozent, berichtet das Informationsportal Venezuelanalysis.com unter Berufung auf Regierungsstellen. Damit sollen knapp 100 Kleinproduzenten und Kooperativen in dem Sektor gestärkt werden. Die Regierung von Präsident Hugo Chávez verspricht sich davon eine Vergrößerung des Kaffeeangebotes auf dem nationalen Markt. »Fama de América« und »Café Madrid« dominieren Regierungsangaben zufolge bislang 70 Prozent des Kaffeemarktes in dem südamerikanischen Land.

Im Sommer hatte die Regierung die nun verstaatlichten Produktionsanlagen besetzen und überprüfen lassen. Die Eigentümer wurden beschuldigt, Waren zu horten sowie Spekulation und Schmuggel nach Kolumbien zu betreiben. Dem Handelsministerium zufolge haben sich die damaligen Vorwürfe bestätigt. Mit der Ausfuhr der Lebensmittel in das Nachbarland wollten die Privatunternehmer nationale Preisregulierungen umgehen.

Gewerkschafter der nun verstaatlichten Kaffeebetriebe äußerten die Hoffnung, daß nun die Beteiligung der Arbeiter an den Entscheidungsprozessen der Unternehmen vergrößert werde. »Es wird ein Treffen mit Handelsminister Eduardo Samán geben, um über die zukünftige Unternehmensstruktur zu beraten«, sagte der Gewerkschaftsvertreter bei »Fama de América«, Wilfredo Bejarano, gegenüber dem staatlichen Fernsehen. Die Arbeiter hatten in den vergangenen Wochen auf eine Verstaatlichung ihrer Betriebe gedrängt, nachdem die Produktionsanlagen von »Cafea« schon im April von der Belegschaft selbstständig besetzt worden waren, weil die Produktion seit Dezember 2008 stillstand und die Entlassung von Mitarbeitern drohte.

Der venezolanische Staat hat bereits in verschiedenen Wirtschaftsbereichen Mehrheitsanteile von Unternehmen aufgekauft oder Wirtschaftszweige komplett übernommen, darunter neben Teilen der Nahrungsproduktion auch in der Energieversorgung, Ölförderung, Telekommunikation, sowie in der Zement- und Stahlproduktion. Versprochene Mitbestimmungsrechte der Arbeiter sind bisher allerdings kaum eingeführt worden.

Im Oktober waren auch die zwei größten Zuckerproduzenten des Landes vom Staat übernommen worden, da sich auch deren Besitzer nach Angaben der Regierung nicht an die staatlichen Regulierungsvorgaben halten wollten. Der venezolanische Staat baut seine Aktivitäten im Nahrungsmittelsektor seit Anfang 2008 immer weiter aus. Staatliche Übernahmen privater Unternehmen und staatliche Firmenneugründungen sowie die Nutzung von brachliegendem Land durch Kooperativen und »Betriebe Sozialer Produktion« (EPS) konnten die nationale Produktion allerdings bisher nicht ausreichend steigern, um den eigenen Anspruch zu erfüllen, die komplette Bevölkerung mit günstigen Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Deshalb ist Venezuela noch immer stark von Importen abhängig. Doch die früher manchmal prekäre Versorgungslage bei subventionierten Grundnahrungsmitteln hat sich deutlich verbessert. Das Angebot an Milch, Mais, Teigwaren und Reis konnte weitgehend gesichert werden. Allerdings gab es bisher vor allem bei Kaffee und Zucker noch Engpässe. Auf dem Schwarzmarkt sind diese Waren allerdings zu überhöhten Preisen leicht erhältlich. Diese Situa­tion soll durch die neuen Verstaatlichungen überwunden werden.

* Aus: junge Welt, 18. November 2009


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