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Kampagne gegen Venezuela

Anschlag auf Synagoge in Caracas für Stimmungsmache gegen Chávez-Regierung ausgenutzt

Von André Scheer *

Rund 15 Personen haben am vergangenen Wochenende in Caracas die jüdische Synagoge im Stadtteil Maripérez überfallen, zwei Wachleute überwältigt, die Thora-Rollen geschändet und weitere religiöse Gegenstände beschädigt sowie antisemitische Parolen an die Wände gesprüht. Die Ermittlungen der Polizei werden dadurch erschwert, daß die Täter offenbar sehr sorgfältig vorgegangen sind, keine Fingerabdrücke oder andere verwertbare Spuren hinterließen und außerdem die Videoaufnahmen der Überwachungskameras entwendet und mitgenommen haben.

Während die oppositionelle Presse Venezuelas sofort Anhänger der Regierung als Verantwortliche für den Überfall ausmachte, verurteilten mehrere Minister und Präsident Hugo Chávez sofort den Angriff auf das jüdische Gotteshaus. »Wir verurteilen die Gewalt, und wir bekämpfen sie, egal, von wem sie ausgeht«, betonte Chávez. Zugleich bezweifelte er, daß tatsächlich Regierungsanhänger hinter dem Überfall stecken: »Wie jeder polizeilicher Ermittler müssen wir uns immer fragen: Wem nutzen diese gewaltsamen Ausschreitungen? Weder der Regierung noch dem Volk noch der Revolution nutzen sie!«

In mehreren Medien wurde darauf hingewiesen, daß sich das planmäßige Vorgehen der Attentäter im Fall der jüdischen Synagoge deutlich von anderen Zwischenfällen unterscheidet, bei denen Gruppen von Regierungsanhängern in Einrichtungen oppositioneller Organisationen oder Institutionen eindrangen. In diesen Fällen sei der spontane Charakter der Überfälle offensichtlich gewesen, wodurch auch die polizeilichen Ermittlungen sehr viel einfacher gewesen seien. Außerdem sei kein Zusammenhang zwischen den hinterlassenen Schmierereien wie »666« oder der Strichzeichnung einer Teufelsfratze und Parolen der bolivarischen Bewegung erkennbar. Auffällig sei außerdem, daß der Überfall sich nicht in der aufgeheizten Atmosphäre während der israelischen Offensive gegen Gaza, sondern auf dem Höhepunkt der Wahlkampagne um das Referendum am 15. Februar ereignet habe. Dann sind die Venezolanerinnen und Venezolaner an die Urnen gerufen, um über eine Verfassungsänderung abzustimmen, mit der Einschränkungen des passiven Wahlrechts aufgehoben werden sollen.

Am Mittwoch (4. Feb.) trafen sich Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro und Informationsminister Jesse Chacón mit hochrangigen Vertretern der jüdischen Gemeinde des Landes und versicherten ihnen erneut, daß die Regierung den verbrecherischen Angriff auf die Synagoge scharf und umfassend verurteile. An dem mehr als zweieinhalb Stunden dauernden Gespräch im Büro des Ministers nahmen der Präsident der Konföderation israelitischer Vereinigungen Venezuelas, Abraham Levy, sein Stellvertreter David Bittan sowie die Vorsitzenden weiterer jüdischer Vereinigungen teil. Maduro betonte, das Treffen sei sehr nützlich und fruchtbar gewesen. »Weder der Chavismus noch die Revolutionäre unserer Zeit können antijüdische Äußerungen in unserem Land hinnehmen«, betonte Maduro. »Wir werden sie festnehmen, und wir werden sie mit aller Macht des Gesetzes bestrafen«, kündigte Maduro mit Blick auf die Attentäter an und erinnerte an eine Gruppe, die vor längerer Zeit Knallkörper in der Nähe der Synagoge plaziert hatte: »Diese Leute sitzen im Gefängnis und büßen Strafen von zehn Jahren ab!«

Zugleich zeigte sich Maduro empört darüber, daß politische Kräfte der Opposition versuchten, den Anschlag auszunutzen, um Stimmung gegen die Regierung zu machen. »Es gibt weltweit eine brutale Kampagne, die Venezuela des Antisemitismus beschuldigt. Das ist Teil der großen Lüge, die sie gegen Venezuela errichten«, sagte er.

Wie zur Bestätigung veröffentlichte die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin einen »Länderbericht« ihres Repräsentanten in Venezuela, Dr. Georg Eickhoff, in der die venezolanische Regierung unter der Überschrift »Wachsender Antisemitismus in Venezuela« in die Nähe des Naziregimes gerückt wird.

* Aus: junge Welt, 6. Februar 2009


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