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Viele Tentakel

Korruptionsskandal in drittgrößter Stadt Venezuelas: Sozialistischer Bürgermeister von Valencia in Haft

Von André Scheer *

Venezuelas Geheimdienst hat das Rathaus von Valencia, der drittgrößten Stadt des südamerikanischen Landes, durchsucht. Polizisten durchwühlten die Wohnung des Bürgermeisters und gruben sogar in dessen Vorgarten, um versteckte Beweismittel zu finden. Edgardo Parra selbst sitzt seit dem vergangenen Sonnabend im Gefängnis, nachdem er wegen Korruptionsverdacht festgenommen wurde. Am Montag entschied das zuständige Gericht des Bundesstaates Carabobo, dessen Hauptstadt Valencia ist, daß der Politiker in Untersuchungshaft bleiben muß.

Für Präsident Nicolás Maduro kommt die Festnahme Parras zur Unzeit, denn immerhin gehört dieser wie der Staatschef der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) an – und am 8. Dezember finden im ganzen Land Kommunalwahlen statt. Auch in Valencia will die PSUV im Bündnis mit elf anderen Linksparteien die Mehrheit im Rathaus verteidigen, der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. In dieser Phase in den Strudel eines Korruptionsskandals zu geraten, ist verheerend. Zudem glaubt in Valencia kaum jemand, daß sich nur der Bürgermeister und dessen Familienangehörige bereichert haben. Der linke Wirtschaftswissenschaftler und Politanalyst Pedro Patiño kommentierte am Mittwoch die Vorgänge: »Zu glauben, daß die Familie Parra allein darin verstrickt war, wäre ein Irrtum. Die in alle Richtungen weisenden Tentakel reichen bis zu Industriellen, Zeitungen, Kliniken, Handwerkskammern, Vertragspartnern, der Kirche, Berufsverbänden usw. Dieses Korruptionsgeflecht stammt aus der Vergangenheit, Parra hatte jedoch nicht den politischen, ethischen und moralischen Willen, es aufzulösen, sondern hat es perfektioniert. Dabei gab es nur einen Fehler: seinen Sohn.«

Dieser Sohn, der ebenfalls Edgardo heißt und sich – »aus beruflichen Gründen« – im Ausland aufhält, war am Donnerstag vergangener Woche in das Visier der Ermittler geraten, seine Wohnung und Büroräume wurden durchsucht. Damals hatte sich der Bürgermeister gegenüber Journalisten noch souverän gegeben: »Mein erwachsener Sohn ist für seine Handlungen selbst verantwortlich, und wenn man ihm nachweist, daß er irgendein Delikt begangen hat, muß er sich seiner Verantwortung stellen, denn so ist er erzogen worden.« Er selbst sei bereit, sich jeder Befragung zu stellen, »denn wer am meisten daran interessiert ist, daß man mich untersucht, bin ich«, so Parra. Zwei Tage später wurde er festgenommen.

Der Kandidat der rechten Opposition für das Bürgermeisteramt in Valencia, Miguel Cocchiola, sieht sich nun im Aufwind. »Nach nur einem Jahr der gegenwärtigen Regierung haben wir den Rücktritt von Bürgermeister Parra verlangt. Jetzt wird er von seinen eigenen Genossen verfolgt«, kommentierte er am Dienstag über den Internetdienst Twitter. Doch die Kampagne könnte nach hinten losgehen: Bislang hatte die Opposition dem Staatschef regelmäßig vorgeworfen, unter dem Banner der Korruptionsbekämpfung nur Regierungsgegner zu verfolgen, die eigenen Parteifreunde aber ungeschoren zu lassen. Nun sieht sich jedoch Francisco Ameliach, der sozialistische Gouverneur des Bundesstaates Carabobo, bestätigt. »Wie unser Präsident Nicolás Maduro erklärt hat, müssen wir im Kampf gegen die Korruption unnachgiebig sein. Er kann auf uns zählen, denn von hier aus werden wir der Korruption keine Ruhepause gönnen, wo auch immer sie auftritt und welche Farbe auch immer sie trägt, sei sie rot, orange oder gelb.« Die Staatsanwaltschaft rief er auf, die Einrichtungen der Stadtverwaltung von Valencia zu besetzen, um eine weitere Schädigung der Einwohner zu verhindern.

Miguel Flores, der sozialistische Kandidat für die Kommunalwahl am 8. Dezember, will ebenfalls nicht aufgeben und warnte bei einer Wahlkampfkundgebung die Vertreter der Rechten davor, schon eine »Fiesta« zu veranstalten. Man werde auch nicht davor zurückschrecken, gegen rechte Bürgermeister vorzugehen, unterstrich er und verwies darauf, daß schon seit Monaten Ermittlungen gegen den Bürgermeister von Naguanagua, Alejandro Feo La Cruz von der Oppositionspartei Proyecto Venezuela, laufen. Dieser soll Gelder unterschlagen haben, die der Stadtverwaltung zugunsten der Einwohner des Bezirks zugeteilt worden waren.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Oktober 2013


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