Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Anpassung an Realitäten"

Venezuelas Regierung ändert Wechselkurs des Bolívar zum Dollar. Opposition kritisiert "Neoliberalismus"

Von Modaira Rubio, Barinas *

Für einen US-Dollar gibt es künftig 6,30 venezolanische Bolívares (Bs.), zwei mehr als bisher. Diese Veränderung des offiziellen Wechselkurses kündigten Venezuelas Finanzminister Jorge Giordani und Zentralbankpräsident Nelson Merentes am vergangenen Freitag (Ortszeit) an. Zugleich wird der besondere Wechselkurs für Transaktionen mit Wertpapieren in ausländischer Währung, der bislang bei 5,30 Bs. für einen Dollar lag, abgeschafft.

Giordani erklärte, daß die Anpassung eine Konsequenz aus den wirtschaftliche Realitäten des Landes sei, in dem eine 0,3-Liter-Flasche Trinkwasser acht Bs., ein Liter Benzin jedoch nur 0,10 Bs. kostet. »Durch den Plan Siembra Petrolera (Aussaat des Erdöls, Anm. d. Red.) konnten Einnahmen von mehr als 280 Milliarden Dollar generiert werden, die in soziale Aufgaben, in den Wohnungsbau und in Produktionssteigerungen im Orinoco-Erdölgürtel investiert wurden.« Es sei der Verdienst von Präsident Hugo Chávez gewesen, die Einnahmen aus dem »schwarzen Gold« zu einer Verbesserung der Lebensqualität zu verwenden, »aber wir können nicht weiter von den Erdölgewinnen abhängig bleiben«. Der Minister erinnerte an das in den vergangenen Jahren umgesetzte Recht auf Wohnraum sowie die kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Zudem würden die Strom- und Wasserpreise durch die Regierung subventioniert. Die nun angekündigte Maßnahme bezwecke deshalb, »daß diejenigen bezahlen, die mehr haben«. Nur so könnten etwa die Pensionen für mehr als zwei Millionen Rentner gezahlt werden.

»Diskutieren wir das offen und schauen, was in Spanien, Griechenland oder einem anderen Volk Europas passiert, dem sie den Wohlfahrtsstaat genommen haben,« so Giordani. Die kapitalistische Gesellschaft befinde sich im Niedergang, »und wir können keinen Sozialismus auf der Grundlage der Erdölrente schaffen. Präsident Chávez hat uns beauftragt, effizienter zu werden. Das bedeutet, weniger auszugeben und mehr von dem, was wir brauchen, selbst zu produzieren«, unterstrich der Minister.

Die Kritik der Opposition an den Maßnahmen ließ nicht lange auf sich warten. Der wichtigste Sprecher der rechten Regierungsgegner, Mirandas Gouverneur Henrique Capriles Radonski, bezeichnete die »Abwertung« des Bolívar als »neoliberales Sparpaket«. Der Parlamentsabgeordnete Jesús Faría von der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas, ein in Deutschland ausgebildeter Ökonom, wies das zurück. Es handele sich nicht um eine Abwertung, sondern um eine Anpassung des Wechselkurses an die Realitäten. »Diese Maßnahme ist weit davon entfernt, irgendeine Ähnlichkeit mit den Rezepten des Internationalen Währungsfonds zu haben«, sagte er mit Blick auf die Finanzpolitik früherer Regierungen in Venezuela. Damals hätten die Herrschenden die Währung abgewertet, um die Auslandsschulden bezahlen zu können. »Das war eine abscheuliche Politik, die dem transnationalen Kapital gedient hat, während sie die Kaufkraft der Arbeiterklasse einschränkte« und Arbeitsplätze kostete. Demgegenüber werde die bolivarische Regierung nun Maßnahmen ergreifen, um den durch die Maßnahme und die Inflation verursachten Kaufkraftverlust der Bevölkerung zu kompensieren. »Heute werden eine Gehaltspolitik und soziale Investitionen praktiziert, die dem Volk zugute kommen«, so der sozialistische Parlamentarier.

* Aus: junge Welt, Montag 11. Februar 2013


Zurück zur Venezuela-Seite

Zurück zur Homepage