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Land für Bauern

Venezuela: Regierung Chávez nationalisiert immer mehr Latifundien

Von Maxim Graubner, Caracas *

Fast 20000 Hektar Großgrundbesitz hat das venezolanische Agrarinstitut INTI am vergangenen Wochenende von Sicherheitskräften besetzen lassen. Es soll nun an Kleinbauern verteilt werden, so Landwirtschaftsminister Elías Jaua zu Beginn dieser Woche. Die aktuelle Intervention hat besondere Brisanz, da dadurch auch der vor Korruptionsverfahren nach Peru geflüchtete ehemalige Oppositionsführer Manuel Rosales Farmland verliert. Zudem sei laut Medienberichten Gustavo Cisneros, der reichste Mann des Landes, betroffen. Das größte nationalisierte Gebiet im zentral gelegenen Bundesstaat Guárico gehörte demnach zu seinem Imperium.

José Manuel González, Expräsident des Unternehmerverbandes Fedecamaras, schimpfte am Montag live im Oppositionssender Globovisión, die enteigneten Ländereien seien hochproduktiv gewesen und der Staat sowie Kleinbauern seien nicht in der Lage, die Produktion aufrechtzuerhalten. »Diese Enteignungen sind illegal und ein Angriff auf die Versorgungssouveränität Venezuelas«, schrie er in die Mikrofone und fügte aufgeregt hinzu, die Armee solle sich darum kümmern, anstatt sich an den Vorgängen zu beteiligen. Dies klang wie ein Appell zum Militärputsch. Im Jahr 2002 hatte Fedecamaras-Präsident Pedro Carmona den gescheiterten Staatsstreich gegen Venezuelas Präsident Hugo Chávez angeführt.

Landwirtschaftsminister Jaua konterte im Staatsfernsehen VTV: »Wir handeln auf Grundlage geltender Gesetze.« Die 31 übernommenen Ländereien seien nicht ausreichend genutzt worden, was laut dem seit 2001 geltenden Gesetz für landwirtschaftliche Entwicklung (Ley de Tierras y Desarrollo Agrario) einen staatlichen Eingriff rechtfertige. Zudem konnten manche der angeblichen Eigentümer keine reguläre Besitzurkunde vorweisen. »Wer sich ungerecht behandelt fühlt, kann bei den zuständigen Institutionen Einspruch einlegen«, versuchte Jaua zu beschwichtigen. Der Minister betont zudem immer wieder, daß es sich bei solchen Maßnahmen nicht um Enteignungen handele. Statt dessen gehe es um einen »Prozeß der Rückgewinnung« von nationalem Land, welches »Privatleute besetzt« und nicht genutzt hätten.

Daß Kleinbauern, Kooperativen und Staat nicht in der Lage seien, die nationale Produktion zu erhöhen, wird durch die Zahlen des Landwirtschaftsministeriums konterkariert. Demnach konnte in den letzten zehn Jahren durch die Umverteilungspolitik eine Ertragssteigerung von über 50 Prozent erzielt werden. Allerdings gibt es auch Rückschläge: in diesem Jahr soll beispielsweise die nationale Produktion von Reis wieder rapide gesunken sein, was auch die Regierung eingestehen mußte. Allerdings führt sie dies auf die anhaltende Trockenheit zurück.

Der ebenfalls enteignete Manuel Rosales, unterlegener Kandidat der Opposition bei der Präsidentschaftswahl 2006 und seit April im peruanischen Exil, verliert unterdessen seine 300 Hektar große Länderei im Bundesstaat Zulia. Über hundert Kleinbauern sollen in Zukunft das Land bewirtschaften dürfen. Sie werden dabei von dem staatlichen Agrarunternehmen Corporación Venezolana Agraria (CVA) unterstützt und erhalten zudem Kredite des staatlichen Agrarentwicklungsfonds.

Evelyn Trejo, die Ehefrau von Rosales, sieht laut der oppositionellen Tageszeitung Tal Cual eine politische Motivation hinter dem Vorgehen des Staates. Dies wies Minister Jaua entschieden zurück: »Egal, ob man der Opposition oder dem Regierungslager angehört, niemand kann sich hinter seiner politischen Position verstecken, um Gesetze zu mißachten.«

Die landwirtschaftliche Erzeugung auf den »befreiten Ländereien« soll nun reaktiviert werden – im Rahmen einer »nationalen Strategie zur Nahrungsproduktion«. Besonders die Steigerung der Produktion von Fleisch und Milch sei das Ziel der aktuellen Maßnahmen, so Landwirtschaftsminister Jaua. Der Ausbau der Agrarwirtschaft hat für die Regierung derzeit hohe Priorität. Präsident Chávez erklärte die Ernährungssouveränität Anfang des Jahres zur zentralen Aufgabe der »Dritten Phase der Bolivarischen Revolution«, in der man sich derzeit befinde.

* Aus: junge Welt, 27. November 2009


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