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"Perfekte Allianz"

Venezuela vor den Kommunalwahlen: Ringen um Caracas und Maracaibo. Erster Stimmungstest für Präsident Nicolás Maduro

Von André Scheer *

Am 8. Dezember wählt Venezuela seine Kommunalparlamente und die Bürgermeister der Bezirke und Städte. Bis zum Ende der Einschreibefrist am vergangenen Samstag haben sich dazu beim Nationalen Wahlrat (CNE) mehr als 15000 Kandidaten eingeschrieben, wie die Behörde auf ihrer Homepage mitteilte. Zwar sind die Kommunalwahlen in Venezuela nur bedingt ein wirklicher Stimmungstest, da die Beteiligung traditionell weit hinter nationalen Abstimmungen zurückbleibt. In diesem Jahr schauen aber sowohl das Regierungslager als auch die Opposition mit besonderer Spannung auf die Entscheidung, weil sie das erste offizielle Kräftemessen seit der Präsidentschaftswahl vom 14. April ist. Bei dieser hatte sich der sozialistische Präsident Nicolás Maduro nur überraschend knapp gegen den Oppositionsvertreter Henrique Capriles Radonski durchsetzen können.

Inzwischen hat Maduro seine Position stabilisieren können. Wie eine in der vergangenen Woche vom Meinungsforschungsinstitut ICS veröffentlichte Umfrage ergab, könnte er jetzt mit knapp 55 Prozent der Stimmen rechnen. 61,2 Prozent der Befragten zogen eine positive Bilanz seiner bisherigen Tätigkeit, berichtete die US-amerikanische Nachrichtenagentur UPI unter Berufung auf den oppositionellen Fernsehsender Globovisión. Bei den Kommunalwahlen könne das sozialistische Lager darauf hoffen, 80 bis 85 Prozent der Verwaltungen gewinnen zu können.

In der Öffentlichkeit wichtiger wird aber sein, wie die Wahlen in den großen Städten ausgehen. Deshalb treten die Sozialisten in diesen mit prominenten Namen an. So will der bisherige Informationsminister Ernesto Villegas die Hauptstadt Caracas vom oppositionellen Amtsinhaber Antonio Ledezma zurückerobern. Während der Vizechef der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV), Jorge Rodríguez, Favorit für eine Wiederwahl als Bürgermeister des Innenstadtbezirks Libertador ist, versuchen Künstler und Sportler die bislang von Regierungsgegnern kontrollierten Mittelschichtsbezirke der Hauptstadt zu gewinnen. So tritt im Bezirk Sucre im Nordwesten der Millionenmetropole der populäre Baseballspieler und Sänger Antonio »El Potro« (Das Fohlen) Álvarez gegen Amtsinhaber Carlos Ocariz an. Der Showmaster Winston Vallenilla kandidiert im Bezirk Baruta gegen Amtsinhaber Gerardo Blyde – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen in dieser Hochburg der Regierungsgegner, in der Blyde 2008 mit nicht weniger als 83 Prozent der Stimmen gewählt wurde.

Neben Caracas ist auch die zweitgrößte Venezuelas, Maracaibo, heftig umkämpft. Um der Opposition die Hauptstadt des Erdölstaates Zulia abzunehmen, hat Maduro den eloquenten Fernsehmoderator und Philosophen Miguel Ángel Pérez Pirela nominiert, der allabendlich im Staatskanal VTV seine Sendung »Cayendo y Corriendo« präsentiert. Auf seinem Internetportal laiguana.tv hat Pérez Pirela den Wahlkampf bereits eröffnet und wirft Amtsinhaberin Eveling Trejo de Rosales vor, die »schlechteste Bürgermeisterin Lateinamerikas« zu sein. Ihr Amtsvorgänger Giancarlo Di Martino, der heute Konsul seines Landes in Mailand ist, veröffentlichte am Montag über den Internetdienst Twitter Fotos aus Maracaibo, die zahlreiche offenbar funktionsunfähige Fahrzeuge der Polizei von Maracaibo sowie Bilder von Müllbergen zeigen, für die sich offenbar niemand zuständig fühlt.

Ärger droht den Sozialisten aber noch aus den eigenen Reihen. Die Kandidaten wurden weitgehend von Maduro und der Führung der PSUV ausgewählt. Dabei wurden in einigen Fällen offenbar vorherige Absprachen mit den Verbündeten ignoriert. Das kritisierte jedenfalls der Generalsekretär der KP Venezuelas (PCV), Oscar Figuera, am Montag bei einer Pressekonferenz in Caracas. Zwar habe seine Partei alle Kandidaten des »Großen Patriotischen Pols« angemeldet, man behalte sich aber vor, die Unterstützung für einzelne Aspiranten noch zurückzuziehen. »Wo wir Beweise für ein Verhalten haben, das nicht der revolutionären Ethik und Moral entspricht, wird die Kommunistische Partei ihre Vorstellungen der Gesamtheit der Parteien des Prozesses vorstellen«, kündigte Figuera an. Es sei nicht vorstellbar, daß die PCV einen Kandidaten unterstütze, gegen den Korruptionsvorwürfe im Raum stehen, unterstrich der Politiker. Konkret nannte er den Bürgermeister des Bezirks Samuel Darío Maldonado im Bundesstaat Táchira, José Luis Marcano. Seine Partei habe den Amtsinhaber bei der Generalstaatsanwaltschaft, dem Rechnungshof und der Nationalversammlung angezeigt, es sei »sehr schwierig«, ihn nun bei der Wahl zu unterstützen.

Bei Wahlen in Venezuela können einzelne Kandidaten auch von mehreren Parteien nominiert werden, so daß sie einige Male auf dem Stimmzettel erscheinen. Die für die einzelnen Listen abgegebenen Stimmen werden bei der Auszählung addiert. Noch bis zum 28. August können die einzelnen Parteien ihre Nominierungen noch ändern, dann werden die Stimmzettel gedruckt. Die »perfekte Allianz«, zu der Nicolás Maduro für die Kommunalwahlen aufgerufen hatte, ist aber bereits zerbrochen. Die linkssozialdemokratische MEP hat angekündigt, in einem Bezirk nicht den Kandidaten der PSUV zu unterstützen. Ursprünglich war in Cedeño im Bundesstaat Bolívar unter den Bündnispartnern ein Mitglied dieser Partei nominiert worden, doch die Regierungspartei ließ einen der ihren eintragen. Auch andere Parteien kritisierten das Verhalten der PSUV, verzichteten bislang aber auf Konkurrenzkandidaturen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. August 2013


Maduro will Vollmachten

Venezuelas Präsident sagt Korruption den Kampf an **

Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro will sich vom Parlament Sonderrechte zur Bekämpfung der Korruption übertragen lassen. »Ich als Präsident und Staatschef werde einen nationalen Notstand im Kampf gegen die Korruption ausrufen und Sonderrechte fordern«, sagte Maduro am Montag während einer Veranstaltung mit Jugendlichen in Caracas. Diese Schritte dienten einer »gründlichen Bekämpfung« der Korruption.

Maduro hatte nach seinem Amtsantritt im April dieses Vorhaben zu seiner Priorität erklärt. Wenn dafür eine Verfassungsänderung oder Gesetzesreformen notwendig seien, würden diese Schritte ergriffen, sagte der sozialistische Staatschef nun.

Die Opposition wirft Maduro vor, mit seiner Anti-Korruptionskampagne eine Hexenjagd zu betreiben, mit der politische Gegner ausgeschaltet werden sollten. Bislang wurden bereits gegen zwei Mitglieder der Partei von Oppositionsführer Henrique Capriles Korruptionsverfahren eingeleitet.

Die Verwendung von Sondervollmachten ist nichts Neues. Bereits seit Einführung der repräsentativen Demokratie 1958 war das Land von einem Präsidialsystem geprägt, das auf Kosten des Parlaments viel Macht in die Hände des Staatsoberhauptes legte. br>
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. August 2013


Maduro eifert Chávez nach

Von Martin Ling ***

Nicolás Maduro geht in die Offensive. Venezuelas Präsident will der weit verbreiteten Korruption im Lande Einhalt gebieten und das mittels Sondervollmachten. Korruption als eines der größten zu bewältigenden Probleme war in den Regierungsjahren von Hugo Chávez (1999-2013) ein Dauerthema. In den Griff bekam er das Problem nicht. Nicht wenige Chavisten von der Basis werfen chavistischen Parlamentariern und Funktionären vor, bei der Umverteilung zuallererst an sich selbst zu denken, dann an die Familie und bestenfalls danach an die Bedürftigen. Wegen dieser Kritik der Basis am Establishment der Chávez-Partei PSUV konnte Chávez auf großen Rückhalt in der Bevölkerung bauen, wenn er per Dekret am Parlament vorbei Dinge auf den Weg brachte.

Maduro, gut 100 Tage im Amt, tritt mit seinem Vorpreschen in Chávez' Fußstapfen. Das ist nicht ohne Risiko. Zwar trifft er mit dem Thema Korruption sicher den Nerv der Venezolaner, doch nun muss er auch liefern. Er hat den Kampf gegen das wohl größte Hemmnis für die Gesellschaftsentwicklung zur Chefsache gemacht. Daran wird er von der Bevölkerung gemessen werden. Dass die venezolanische Opposition in den Sondervollmachten einen Freibrief zur Hexenjagd auf sich selbst sieht, gehört indes zur politischen Folklore Venezuelas – auch wenn das Dekret sie ermöglicht. Denn vom verfassungsmäßig seit 1999 unter Chávez verbrieften Recht, mit fünf Prozent der Wählerstimmen Dekrete zum Referendum zu stellen, hat sie noch nie Gebrauch gemacht. Sie weiß, warum. br>
*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. August 2013 (Kommentar)


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