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Entscheidende Wochen

Venezuela: Großkundgebung für Maduro und gegen Wirtschaftskrieg

Von Modaira Rubio, Barinas *

Mit Großdemonstrationen in zahlreichen Städten Venezuelas ist am Montag in dem südamerikanischen Land an die Wiederwahl des damaligen Präsidenten Hugo Chávez vor einem Jahr erinnert worden. Am 7. Oktober 2012 hatte sich Chávez mit 55,07 Prozent der Stimmen klar gegen den Kandidaten der rechten Opposition, Henrique Capriles Radonski, durchsetzen können. Vor dem Präsidentenpalast Miraflores, an dem vor zwölf Monaten eine begeisterte Menge den Sieg gefeiert hatte, erinnerte der heutige Staatschef Nicolás Maduro vor Zehntausenden Anhängern daran, daß Hugo Chávez sich nach Beendigung der Chemotherapie gegen seine Krebserkrankung im Sommer 2012 keine Ruhe gegönnt habe und direkt in den Wahlkampf eingestiegen sei. Mit diesem Einsatz zur Verteidigung der Bolivarischen Revolution habe er seine letzten Kräfte aufgebraucht. Wenige Wochen nach seiner Wiederwahl hatte sich Chávez im Dezember erneut zur Behandlung nach Kuba begeben müssen. Am 5. März 2013 mußte sein damaliger Stellvertreter Maduro den Tod des Comandante verkünden.

Die Trauer darüber sah man auch am Montag noch in den Gesichtern der Menschen, die sich am »Balkon des Volkes« des Präsidentenpalastes in Caracas versammelt hatten. Die Gedenkveranstaltung war geprägt von den dramatischen ökonomischen und politischen Angriffen auf den revolutionären Prozeß, der Beobachter inzwischen an die Zeit um den gescheiterten Staatsstreich von 2002 erinnert. Während die Opposition durch das Horten oder Aufkaufen von Waren für Engpässe sorgt, treibt sie gleichzeitig durch Preisspekulation die Inflation in die Höhe. Lebensmittel zur Grundversorgung kosten inzwischen das Doppelte oder Dreifache des normalen Preises. Bei anderen Artikeln ist sogar ein Preisanstieg von bis zu 400 Prozent zu verzeichnen.

Bislang hat die Regierung die Grundversorgung der Bevölkerung garantieren können, aber die Situation spitzt sich zu. Obwohl die Löhne in diesem Jahr schrittweise um 45 Prozent erhöht wurden, reicht dies angesichts der Spekulationsspirale kaum aus.

In einer über alle Rundfunk- und Fernsehsender des Landes übertragenen Ansprache wandte sich Maduro an die Menschen auf der überfüllten Avenida Urdaneta. »Die wichtigste Aufgabe, die uns Chávez hinterlassen hat, ist es, durch die ökonomische Revolution den Kapitalismus in allen seinen Formen zu verändern und einen produktiven Sozialismus aufzubauen. Entweder wir verbessern das ökonomische Modell oder die Bourgeoisie bricht uns das Rückgrat«, redete Maduro Klartext. Am gestrigen Dienstag abend (Ortszeit) wollte Maduro sich von der Nationalversammlung Sondervollmachten zur Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftssabotage erteilen lassen. Ob die dafür notwendige Mehrheit von 80 Prozent der Abgeordneten zusammenkommen würde, war bis zuletzt unklar. Maduro rief deshalb die Bevölkerung auf, sich vor dem Parlamentsgebäude zu versammeln und für seine Regierung zu demonstrieren.

Der Tod des Comandante hat es zweifellos schwieriger gemacht, die Venezolaner zum Widerstand gegen den »ökonomischen Krieg« der Opposition zu mobilisieren. Teile der Bevölkerung beginnen, an der Regierung zu zweifeln. Der Unternehmerverband Fedecámaras ruft gemeinsam mit rechtsgerichteten Gewerkschaften und oppositionellen Kräften im Staatsapparat regelmäßig zu Demonstrationen gegen die Politik der Regierung auf. Die Rechte setzt dabei auf die Unzufriedenheit und hofft, soziale Unruhen schüren zu können. Gerüchte über einen Staatsstreich, Kampagnen zur Diskreditierung wichtiger Persönlichkeiten aus dem Regierungslager und das Anheizen von internen Konflikten schaffen dabei eine Situation, in der sich die Widersprüche zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse zuspitzen. Der bekannte Journalist und frühere Vizepräsident José Vicente Rangel zitierte am Sonntag in seiner wöchentlichen Fernsehsendung aus einem Bericht der venezolanischen Streitkräfte, demzufolge die Rechte durch Terrorakte ein bürgerkriegsartiges Chaos schaffen will, um damit die Kommunalwahlen Anfang Dezember zu verhindern. Andererseits hoffen Teile der Opposition, diese Abstimmung zu einem Votum gegen die Regierung machen zu können. Der Urnengang am 8. Dezember könnte deshalb ähnlich wichtig werden, wie die Präsidentschaftswahl am 14. April, bei der sich Maduro nur knapp gegen Capriles durchsetzen konnte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 9. Oktober 2013


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