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Chávez befolgt Millenniumsziele

Venezuela mit Kurs auf Armutsbekämpfung

Von Helmuth Markov*

Die Bilanz der weltweiten Umsetzung der im September 2000 beschlossenen Millenniumsziele zur Armutsbekämpfung ist insgesamt unbefriedigend. In Venezuela jedoch haben sich unter der Regierung von Hugo Chavez ermutigende Entwicklungen vollzogen.

Die Mütter und Väter der am 18.11.1999 unterschriebenen Venezolanischen Verfassung müssen die von den Vereinten Nationen beschlossenen Millenniumsziele erahnt haben, zumindest widerspiegeln sich diese sowohl in der Präambel als auch insbesondere in den Artikeln 79 bis 91.

Diese verankerten Staatszielbestimmungen und Grundrechte sind eine wichtige Basis, entscheidend ist jedoch, wie dies in der praktischen Politik umgesetzt wird. Mit diesem Thema beschäftigte sich kürzlich eine vom Lateinamerikanischen Parlament organisierte hochrangige Konferenz mit zahlreichen internationalen Gästen aus aller Welt mit dem selbstbewussten Untertitel »Vom Süden her ist eine andere Welt möglich«.

Hugo Chávez hob in seiner Eröffnungsrede hervor, dass der beschrittene Weg erste positive Resultate zeigt, aber noch sehr viel zu tun bleibt. Die Ergebnisse dieser Politik sind bemerkenswert: Die Ausgaben für Bildung wurden von drei Prozent des Staatshaushaltes im Jahre 1988 auf sieben Prozent im Jahre 2001 erhöht. Seit Beginn der Alphabetisierungskampagne im Juli 2003 haben mehr als 1,2 Millionen Menschen Lesen und Schreiben gelernt – fast alle früheren Analphabeten. Eine Million Bücher wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Doch Lesen und Schreiben macht nicht satt. Mit einem Kleinstkreditprogramm versucht die Regierung Arbeitsplätze zu schaffen. Seit seiner Einführung im August 2003 haben mehr als 70000 Familien daran partizipiert und zum Beispiel mit einer Nähmaschine begonnen, sich eine bescheidene Existenz aufzubauen. Auch die zweistufige Agrarreform zielt auf Armutsbekämpfung: In der ersten Stufe werden Rechtstitel über die Kommunen ausgegeben, auf deren Basis in der zweiten Stufe Land zugeteilt wird. Bisher wurden rund 1,5 Millionen Hektar staatlichen Eigentums zugunsten von 130000 Familien (ca. 650000 Personen) aufgeteilt. Die Regierung hat die Gründung von Genossenschaften gefördert, von denen es jetzt 50000 gibt. Der Staat subventioniert die Lebensmittel für etwa acht Millionen Menschen, die diese um 40 Prozent billiger erhalten. Rund eine halbe Million Personen erhält Lebensmittel kostenlos.

Statt Sozialabbau wird in Venezuela der gegenteilige Kurs eingeschlagen. 1,2 Millionen Arbeitslose aus den ärmsten Regionen erhalten staatliche Unterstützung, entweder zur Ausbildung oder zur Integration in das Arbeitssystem. Jede über 65 Jahre alte Person erhält Rente.

Bei allen nach wie vor bestehenden enormen Problemen hat die Politik unter Hugo Chávez zu einer spürbaren Verbesserung der sozialen Situation geführt. Davon kann sich jeder persönlich überzeugen, der die Armenviertel in und am Rande von Caracas besucht. Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie auf der Konferenz in Caracas debattiert wurde. In den Arbeitsgruppen unter anderem zur Schaffung einer sozialökonomischen und ökologischen Gesellschaft und zur Rolle der indigenen Bevölkerung innerhalb einer solidarischen Gesellschaft musste fast jeder Fachminister der venzolanischen Regierung Rechenschaft ablegen über die konkreten gesetzlichen Vorgaben und erreichten Ergebnisse. Viel Zustimmung, aber auch Kritik waren in den Debatten zu erleben. Nicht euphorisch, aber mit Achtung und Unterstützung ist der venezolanische Versuch zu bewerten, eine andere Welt zu schaffen, die mit Armut, Ungleichbehandlung und Ausgrenzung bricht.

* Der Autor ist PDS-Abgeordneter im Europaparlament

Aus: Neues Deutschland, 15. März 2005



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