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Medienguerilla und kein Papier

Venezuelas Regierung ist gegenüber der Opposition ins Hintertreffen geraten

Von André Scheer *

Venezuelas Präsident Hugo Chávez ist jetzt bewaffnet. Bei jeder Gelegenheit zückt er ein kleines schwarzes Gerät mit Internetanschluß, einen sogenannten BlackBerry, und loggt sich im Onlinedienst Twitter ein. Dort schreibt der Staatschef dann kurze Mitteilungen über seine Aktivitäten oder beantwortet Anfragen: »Uns bleibt keine andere Möglichkeit, als die Regulierung des kapitalistischen Marktes zu verschärfen«, und kurz darauf: »Gut, ich glaube, es ist jetzt Zeit, ein bißchen auszuruhen.« Obwohl er sonst für seine langen Reden bekannt ist, muß sich Chávez bei Twitter wie alle anderen Nutzer mit 140 Zeichen pro Mitteilung begnügen. Trotzdem haben seit Ende April mehr als 375000 Menschen die Kurzinfos des venezolanischen Präsidenten abonniert.

Das neue Hobby von »Chávez Cadanga«, wie er sich dort nennt und was mit »Teufel«, »Dummkopf« oder auch etwas freier mit »Frechdachs« übersetzt werden kann, ist Teil einer neuen Medienoffensive, mit der die venezolanische Regierung im Vorfeld der Parlamentswahl im September Boden gegenüber der Opposition gut machen will. Gerade im Internet war die Regierung bislang ins Hintertreffen geraten, denn während Regierungsgegner Seiten wie Facebook nutzten, um sich zu Protestaktionen zu verabreden, verharrten die meisten staatlichen Medien im langweiligen Verlautbarungsstil.

Deshalb rief Kommunikationsministerin Tania Díaz im April die Unterstützer der Regierung auf, »Medienguerillas« zu bilden, um der Propaganda der Opposition »positive Botschaften« entgegenzusetzen und ihr auf allen Kanälen zu antworten. Dabei erinnerte sie an die Ereignisse vom April 2002, als Hunderttausende Menschen trotz einer nahezu vollständigen Gleichschaltung der Medien auf die Straße gegangen waren und den Putschversuch rechter Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung vereitelten.

Dieser »Medienguerilla« steht jedoch nicht nur die Opposition entgegen, sondern auch die immer noch allgegenwärtige Bürokratie. Versuche eines alternativen Journalismus bei einigen staatlichen Medien wie dem Radiosender YVKE Mundial oder dem Fernsehkanal Ávila TV stoßen immer wieder auf den Widerstand von Regierungsbeamten, denen zuviel Offenheit suspekt wurde. Noch heftiger traf es in der vergangenen Woche die regierungsnahe Tageszeitung Vea. In einem Leitartikel berichtete ihr Chefredakteur Guillermo García Ponce über die Schwierigkeiten, an ausreichend Zeitungspapier zu kommen. Aufgrund ihrer hohen Auflage verbraucht die Vea im Jahr bis zu 3500 Tonnen Papier, das teuer aus dem Ausland importiert werden muß. Durch die in Venezuela herrschende Währungskontrolle muß Vea – wie jedes andere Unternehmen in dem südamerikanischen Land – von der zuständigen Behörde CADIVI die Genehmigung zur Devisenausfuhr bekommen, was schon schwer genug ist. Anschließend benötigt das Blatt dann noch ein sogenanntes Akkreditiv, eine Zahlungsgarantie durch eine Bank, weil es im Gegensatz zu Oppositionsblättern wie El Nacional oder El Universal über keine Konten im Ausland verfügt. »Sechs Jahre lang war das mit der Banco Industrial kein Problem. Nachdem einmal alle notwendigen Unterlagen ausgefüllt waren, stellte die Bank das Dokument aus, damit Vea das nötige Papier erwerben konnte. Nach der Schließung der Banco Industrial blieb uns keine andere Wahl, als zur verstaatlichten Banco de Venezuela zu gehen. Dort wurde die Beantragung des Akkreditivs zu einem langen und schweren Kreuzweg, während dem unsere Papiervorräte zur Neige gingen.« Inmitten einer sich zuspitzenden innenpolitischen Situation habe man plötzlich ohne Zeitungspapier dagestanden. Nur mit Hilfe der Kollegen des seit August 2009 von der Regierung herausgegebenen Correo del Orinoco habe die aktuelle Ausgabe erscheinen können.

* Aus: junge Welt, 20. Mai 2010


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