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Geld, Erdöl und Konfrontation

Venezuela trat der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur bei

Von Tommy Ramm, Bogotà

Bis 2013 soll Venezuela Vollmitglied in der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur werden. Darauf einigten sich die anderen Mitglieder Mitte Mai.

»Aus sozialer, politischer und wirtschaftlicher Sicht sind wir jetzt da angekommen, wo wir hin gehören«, so Präsident Hugo Chávez, der die Unterzeichnung des Beitrittsprotokolls in Buenos Aires als historisch feierte. Bis 2013 soll Venezuela die volle Mitgliedschaft erhalten und ist neben Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay das fünfte Mercosur-Mitglied. Die 1991 gegründete Gemeinschaft wird dann 12,5 Millionen Quadratkilometer und 250 Millionen Bewohner umfassen. Das jährliche globale Handelsvolumen steigt auf rund 240 Milliarden Euro.

Überraschend schnell hatte sich Venezuela mit den anderen Mitgliedern geeinigt, obwohl es erst 2005 sein Interesse für einen Beitritt bekundet hatte. »Wir dürfen uns nicht der Gefahr von rechtlichen Lücken aussetzen«, warnte deshalb auch der Chef für wirtschaftliche Angelegenheiten des uruguayischen Außenamts, Carlos Amorin. »Sonst wird das System nicht funktionieren.« Bis Ende 2006 soll ein gemeinsames Parlament der Mercosur-Mitglieder eingerichtet werden. Eine künftige Integration Venzuelas fand im Protokoll jedoch keine Erwähnung. Ins gleiche Horn bliesen Wirtschaftsexperten der Mitglieder, die ein Beitrittsprotokoll erst 2008 nach gründlichen Prüfungen erwartet hatten. Ihre Sorge: Mit dem Neuzugang könnte sich das Gleichgewicht im Mercosur verschieben.

Uruguay und Paraguay, die im Vergleich zu Brasilien und Argentinien eine wirtschaftliche Nebenrolle spielen, könnten weiter an den Rand gedrängt werden. Bereits jetzt erlebt der Mercosur eine Krise, nachdem Uruguay und Argentinien ihren Streit um zwei Papierfabriken nicht beilegen konnten und ihn zum Internationalen Gerichtshof getragen haben. Zudem kündigte Uruguay an, wegen wirtschaftlicher Benachteiligung weltweit Partner zu suchen. Binationale Wirtschaftsbündnisse aber könnten den Mercosur in Frage stellen.

Während für diese Länder wirtschaftliche Gründe vorrangig sind, spielen bei Venezuelas Beitritt politische Interessen von Chávez hinein, der eine Umstrukturierung innerhalb der bisher existierenden südamerikanischen Handelsblöcke in Gang gesetzt hat. Chávez will dem Versuch der USA, wieder Einfluss auf dem nach links tendierenden Kontinent zu gewinnen, entgegensteuern und seine Idee eines vereinigten südamerikanischen Kontinents voranbringen. Hierfür tanzt er auf mehreren Hochzeiten und Scheidungen gleichzeitig. Neben der Ankündigung, aus dem G3-Bündnis mit Mexiko und Kolumbien aussteigen zu wollen, erklärte er die Andine Wirtschaftsgemeinschaft (CAN) für tot, nachdem Peru und Kolumbien Anfang 2006 Freihandelsabkommen mit den USA beschlossen hatten. »Unser Beitritt zum Mercosur festigt die Mauer gegen die Freihandelsabkommen«, sagte Chávez. Doch die Bemühungen sollen nicht im Mercosur enden, glaubt man den Plänen, die eine 17 Milliarden Euro teure Megagas-Pipeline von Patagonien bis zur Karibik einschließen, um die kontinentale Energieversorgung zu sichern. Mit Kuba und Bolivien arbeitet Chávez an dem alternativen Bolivarianischen Bündnis für Lateinamerika und die Karibik (ALBA), das auch im Mai konkretisiert wurde.

»Venezuela bringt Geld, Erdöl und Konfrontation in den Merco-sur«, meint der uruguayische Ex- Außenminister Sergio Abreu, der befürchtet, dass die politische Achse zwischen Argentinien und Brasilien unter Chávez’ Zielen leiden könnte. »Venezuela benutzt den Mercosur als Sprungbrett«, so Abreu, um seiner Vision eines südamerikanischen Bündnisses näher zu kommen. Konflikte mit Brasilien scheinen programmiert. Das Land verfolgt zwar ähnliche Ideen, aber nicht unter der Führung von Venezuela. »Brasilien nutzt den Mercosur, um durch seine Führerschaft dort zu einem globalen Spieler zu werden, so wie es bereits ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat ist«, meint der uruguayische Analyst Gerardo Caetano. Doch Chávez hat in den letzten Monaten deutlich gemacht, wer auf dem Kontinent derzeit den Ton angibt.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Juni 2006


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