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Akt der Befreiung

Venezuela erwägt Austritt aus OAS und Gründung einer Organisation der freien Völker Lateinamerikas

Von André Scheer *

Nach den scharfen Reaktionen aus Caracas auf den in der vergangenen Woche vorgelegten Jahresbericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) wird nun über einen bevorstehenden Austritt Venezuelas aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) spekuliert. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte einen solchen Schritt am Wochenende angedeutet, als er daran erinnerte, daß die CIDH ein Instrument der OAS ist und diese den »imperialen Interessen der USA untergeordnet« sei. Venezuela könne die OAS verlassen und die Völker des Kontinents einladen, sich von diesen alten Strukturen zu befreien und an ihrer Stelle eine Organisation der freien Völker Lateinamerikas zu gründen.

Es wäre das erste Mal in der Geschichte der OAS, daß ein Land dieser Organisation freiwillig den Rücken kehrt. Bislang gehören der OAS alle Staaten des Kontinents an, nur die Mitgliedschaft Kubas »ruht« seit 1962.

Der Vorstoß des venezolanischen Präsidenten kommt zu einem Zeitpunkt, an dem hinter und vor den Kulissen heftig um die Zukunft der Organisation gerungen wird. So hat OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza angekündigt, beim bevorstehenden Gipfeltreffen Anfang Juni in Honduras die Aufhebung der Suspendierung Kubas beantragen zu wollen. Havanna dagegen hat eine Rückkehr des Landes in die OAS bereits ausgeschlossen.

Venezuelas Kommunisten jedenfalls haben einen Austritt des Landes aus der OAS bereits begrüßt und ihre Unterstützung angekündigt. Bei der wöchentlichen Pressekonferenz der Kommunistischen Partei sagte ihr Parlamentsabgeordneter Douglas Gómez am Montag, die PCV habe die OAS schon immer als ein Instrument des nordamerikanischen Imperialismus angesehen, mit dem dieser die Völker des Kontinents beherrscht. Trotzdem solle Venezuela jedoch zunächst Mitglied der OAS bleiben und dort den Kampf führen. Zugleich solle aber geprüft werden, welche der neuen Alternativen, die auf dem Kontinent entstanden sind, die OAS als Trägerin der regionalen Integration ablösen könnte.

Die oppositionelle Presse Venezuelas hingegen warnt vor einer »internationalen Isolation« des Landes, wenn es der OAS den Rücken kehre. El Universal zitiert den früheren UNO-Botschafter Venezuelas, Milos Alcalay, der Anfang 2004 im Vorfeld des damaligen Amtsenthebungsreferendums gegen Hugo Chávez »aus Protest gegen die Regierung« zurückgetreten war. Alcalay hatte damals gewaltsame Ausschreitungen der Opposition zum Anlaß genommen, der Regierung Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen. Nun erklärte er: »Venezuela isoliert sich immer mehr, weil es die Normen eines Rechtsstaates und die demokratischen Kriterien nicht erfüllt, die in dieser Art von Organisationen vorherrschen«.

Die venezolanische Regierung hatte nach der Veröffentlichung des CIDH-Berichtes unter anderem kritisiert, daß diese Kommission und die OAS nach dem letztlich gescheiterten Staatsstreich vom 11. April 2002 die De-Facto-Regierung der Putschisten implizit anerkannt hätten. Zugleich hätten sie sich geweigert, Maßnahmen zum Schutz des damals entführten Präsidenten Hugo Chávez zu ergreifen. Der frühere kubanische Präsident Fidel Castro hatte im selben Zusammenhang auch daran erinnert, daß die CIDH und die OAS noch nie Washington wegen Menschenrechtsverletzungen angeprangert haben: »kein Wort zu den Kriegen von Bush, die Millionen von Menschen das Leben gekostet haben, kein Wort zu Guantánamo«.

Am 23. und 24. Mai kommt Hugo Chávez in Quito mit Ecuadors Präsidenten Rafael Correa zusammen. Obwohl auf der Tagesordnung dieses Gipfeltreffens offiziell nur Wirtschafts- und Finanzfragen stehen, werden die beiden Staatschefs sicherlich auch über das eine gute Woche später in Honduras beginnende OAS-Gipfeltreffen sprechen. Correa hatte bereits mehrfach einen Austritt aus der OAS und die Gründung einer Organisation Lateinamerikanischer Staaten ins Gespräch gebracht. Auch Boliviens Präsident Evo Morales und Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega hatten die OAS scharf kritisiert. So bezeichnete Ortega sie in der vergangenen Woche als »Müll« und tadelte das Schweigen der Organisation zu den Bombenangriffen der USA in Afghanistan, denen immer mehr Zivilisten zum Opfer fallen.

* Aus: junge Welt, 14. Mai 2009


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