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Neues Kräfteverhältnis

Venezuela erhöht Anteil am Ölgeschäft im Orinoco-Gürtel. Weltweit stellen staatlich kontrollierte Unternehmen die Dominanz privater Konzerne in Frage

Von Humberto Marquez (IPS) *

Die venezolanische Regierung hat ihre Beteiligung am Erdölgeschäft im Orinoco-Gürtel drastisch erhöht. So hält der Staatskonzern Petróleo de Venezuela (PDVSA) inzwischen drei Viertel der Gesellschaftsanteile der dort agierenden Firmen. Damit folgt das südamerikanische Land dem Beispiel vieler Erdölfördernationen, den strategisch wichtigen Sektor unter staatliche Kontrolle zu bringen.

Drei Viertel der Rohölreserven der Welt befinden sich in den Händen staatseigener Unternehmen. Nach Informationen des US-Magazins Petroleum Intelligence Weekly gehören dazu 20 der 30 größten Erdölgesellschaften weltweit. Vorbei sind die Zeiten, als die sogenannten Sieben Schwestern, die Erdölriesen BP, Exxon, Mobil, Chev­ron, Texaco, Gulf und Shell, den internationalen Petromarkt dominierten.

Die »neuen Schwestern« sind die saudiarabische Aramco, der russische Gasprom-Konzern, die China National Petroleum Corporation (CNPC), die National Iranian Oil Company (NIOC), die venezolanische PDVSA, der brasilianische Konzern PETROBRAS und der malaysische Mineralölkonzern PETRONAS. Zusammen produzieren sie rund ein Drittel des Erdöls und Erdgases auf dem Weltmarkt. Auf die ehemaligen Ölmultis entfällt nur noch ein Marktanteil von zehn Prozent – mit dem sie allerdings dennoch Quartalsgewinne in zweistelliger Milliardenhöhe realisieren.

Diese Marktkonstellation und der weltweite Bedarf an Energie veranlaßten die privaten Konzerne dazu, sich zu Verbänden zusammenzuschließen, sagt der irakische Erdölexperte Mazhar Al-Shereidah. »Auf diese Weise haben sie wenigstens noch eine Sperrminorität gegen die großen Staatskonzerne, wie zum Beispiel am Orinoco-Gürtel«, so Al-Shereidah.

Keine neuen Funde

Während die globale Nachfrage nach Energie weiter steigt, wurden in den zurückliegenden 30 Jahren keine größeren Vorkommen an fossilen Brennstoffen entdeckt. Nennenswerte Funde gab es lediglich in Kanada und in Venezuela. Dabei handelt es sich vorwiegend um sogenannte schwere Sorten, deren Raffinierung aufwendiger als bei leichten Sorten ist.

Der Orinoco-Gürtel in Venezuela, ein etwa 55000 Quadratkilometer großes Gebiet nördlich des gleichnamigen Stromes, birgt nach Schätzungen rund 1,2 Billionen Barrel Rohöl, vor allem der sehr schweren Sorte. Experten gegen davon aus, daß sich mit den derzeit verfügbaren Technologien rund 270 Milliarden Barrel dieser Reserven fördern lassen. Venezuela wird damit zum Land mit den größten Erdölreserven weltweit.

Seit den 90er Jahren hat sich der Staatskonzern PDVSA mit transnationalen Konzernen für die Förderung und Raffinierung der schweren Rohölsorten zusammengeschlossen. Einige ehemalige Gesellschafter sind heute an gemischten Konzernen beteiligt, andere ziehen sich inzwischen aus dem südamerikanischen Land zurück. Staatschef Hugo Chávez, der im Dezember wiedergewählt wurde, setzt sein Nationalisierungsprogramm fort. Nachdem bereits große Telekom- und Stromkonzerne vom Staat aufgekauft worden waren, blies der Präsident im Januar zum Sturm auf das Ölgeschäft. Er ordnete an, daß die PDVSA einen 60prozentigen Anteil von jeder der im Orinoco-Gürtel operierenden Raffinerien erwerben sollte.

Die vier Unternehmen Ameriven, Sincor, Petrozuate und Cerro Negro, in die mehr als 20 Milliarden US-Dollar investiert worden sind, produzieren zusammen 482000 Barrel Mineralöl am Tag – und dies in einem Land, das nach eigenen Angaben täglich drei Millionen Barrel Rohöl fördert, von denen es fast die Hälfte in die USA exportiert.

In Staatshand

Die Beteiligung Venezuelas an Sincor lag ursprünglich bei 38 Prozent. 47 Prozent der Anteile gehörten dem französischen Konzern Total und 15 Prozent der norwegischen Statoil. Inzwischen stieg der Anteil der PDVSA auf 60 Prozent. In dem Petrochemie- und Erdölunternehmen Petrozuata hielt der US-Konzern ConocoPhillips ursprünglich 50,1 Prozent der Anteile, PDVSA die restlichen 49,9 Prozent. Den venezolanischen Versuch, die Kontrolle zu übernehmen, stieß bei dem US-Unternehmen auf keinerlei Akzeptanz. Es zog sich kurzerhand aus dem Geschäft mit dem Ergebnis zurück, daß PDVSA schließlich das ganze Unternehmen aufkaufte. Auch bei Ameriven und Cerro Negro besitzt der venezolanische Staatskonzern mittlerweile weit mehr als die Hälfte der Anteile. »Mit unserer Vorherrschaft erfüllen wir den Willen des Volkes«, erklärte dazu Energieminister Rafael Ramírez. »Die Konzerne, die dies akzeptieren, haben eine gesicherte Zukunft in unserem Land«, versicherte der Minister.

Bei manchen Experten überwiegt indes die Skepsis. Die Förderung der Erdölvorkommen im Orinoco-Gürtel erfordere ein hohes Maß an Kapital, Technologie und Erfahrung, die einige der staatlichen Unternehmen nicht vorweisen könnten, meint Robert Bottome vom venezolanischen Wirtschaftsmagazin VenEconomía. Der US-Ratingagentur Moody’s reagierte prompt und setzte Ende Juni seine Bewertung von Ameriven, Petrozuata und Sincor von B1 auf B2 herunter. Auch andere Rating-Agenturen kündigten an, die Gesellschaften in Zukunft genauer zu beobachten. Dadurch wird es für die Gesellschaften auf den internationalen Finanzmärkten zwar schwerer, an die benötigten Milliarden für Investitionen zu gelangen. Allerdings ergeben sich unter den Beteiligten auch Finanzierungsmöglichkeiten jenseits diverser Bankkredite oder selbstaufgelegter Anleihen. Das hat nicht zuletzt Gasprom mehrfach bewiesen.

* Aus: junge Welt, 5. Juni 2007


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