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Fliegende Stühle

Venezuela: Parlamentsabgeordnete gehen aufeinander los. Hunderttausende demonstrieren zum 1.Mai für ihren »Arbeiterpräsidenten« Nicolas Maduro

Von André Scheer *

Hunderttausende Menschen sind am 1. Mai in Caracas dem Aufruf der Regierung und der linken Gewerkschaftsverbände gefolgt und zur Unterstützung ihres »Arbeiterpräsidenten« Nicolás Maduro auf die Straße gegangen. Maduro, der selbst an der Spitze des Zuges mitmarschierte, hatte das Datum genutzt, um eine Anpassung des vor einem Jahr verabschiedeten neuen Arbeitsgesetzes zu unterzeichnen. Künftig beträgt die Höchstarbeitszeit in Venezuela nur noch 40 Wochenstunden, statt wie bisher 44. Arbeitstage sind Montag bis Freitag, die Beschäftigten haben Anspruch auf zwei zusammenhängende Erholungstage. Arbeit am Wochenende wird als Überstunden gewertet und muß mit zwei Ausgleichstagen abgegolten werden.

Will Rangel, der Präsident der Bolivarischen Sozialistischen Arbeiterzentrale (CBST), des größten regierungsnahen Gewerkschaftsbundes Venezuelas, würdigte diese Arbeitszeitverkürzung als weiteren Erfolg der Bolivarischen Revolution. Zu Beginn der Maidemonstration unterstrich er: »Nicolás Maduro kann auf die Unterstützung aller Arbeiter unseres Landes zählen. Wir werden ihn gegen die verteidigen, die der Arbeiterklasse nie wohlgesonnen waren, sich heute aber als Arbeiter verkleiden wollen. Sie werden nicht zurückkehren!« Damit spielte er auf die zeitgleich stattfindenden Demonstrationen der Opposition an, die sich gegen die ebenfalls am 1.Mai in Kraft getretene Erhöhung des Mindestlohns um 20 Prozent richtete. Sie forderten eine sofortige Steigerung um 40 Prozent.

Venezuelas Vizepräsident Jorge Arreaza unterstrich am Mittwoch, daß der Aufbau des Sozialismus entscheidend von der Arbeiterklasse des Landes abhänge. »Ohne die organisierten Arbeiter, ohne die Arbeiter als Avantgarde, kann es keinen Sozialismus geben«, unterstrich er während der Maidemonstration.

Am Vorabend war es in der venezolanischen Nationalversammlung zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten der Opposition und des Regierungslagers gekommen. Auslöser war die Entscheidung von Parlamentspräsident Diosdado Cabello, keinen Abgeordneten mehr das Rederecht zu erteilen, die den gewählten Präsidenten Nicolás Maduro nicht anerkennen. Das sei eine »Maßnahme auf Gegenseitigkeit«, begründete er diese Entscheidung. Die Opposition zeigte daraufhin im Plenarsaal ein Transparent, auf dem ein »Golpe contra el parlamento«, ein »Schlag« oder »Putsch« gegen das Parlament, beklagt wurde. Daraufhin eskalierte die Situation, Parlamentarier beider Seiten wurden verletzt. Auch Oppositionsführer Julio Borges erlitt ein blaues Auge, als er von einem Stuhl getroffen wurde. Den hatte Medienberichten zufolge ein Angehöriger seiner eigenen Fraktion durch den Saal geschleudert.

Cabello bedauerte, daß sich einige Kollegen hätten provozieren lassen. Zugleich warf er den Regierungsgegnern vor, eine Show für die Medien vorbereitet zu haben. Darauf deuteten auch Ankündigungen von Oppositionsabgeordneten hin, die im Vorfeld über den Internetdienst Twitter Stimmung gemacht hatten. Einer von ihnen war sogar mit einem Helm ausgerüstet im Plenum erschienen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 3. Mai 2013


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