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Oppositionelle Medien verschweigen Ausschreitungen

Capriles sagt Protest in Caracas ab

Von André Scheer, Caracas *

Einen Tag nach den blutigen Ausschreitungen der rechten Opposition herrschte am Dienstag (Ortszeit) in Caracas und anderen Städten Venezuelas angespannte Ruhe. Präsident Nicolás Maduro erklärte, das Volk und die Streitkräfte hätten gemeinsam den Putschversuch der Rechten gestoppt. Sieben getötete Menschen war die offizielle Bilanz der Angriffe von Regierungsgegnern auf Einrichtungen des Nationalen Wahlrates (CNE), Gesundheitszentren und kubanische Ärzte sowie Büros der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV). 61 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

In den oppositionellen Medien spielten die Opfer keine Rolle. Stundenlang wurden Ansprachen des am Sonntag dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro unterlegenen Oppositionskandidaten Henrique Capriles Radonski übertragen, ansonsten liefen Telenovelas und Zeichentrickfilme. In einigen Zeitungen wurde sogar angezweifelt, ob es die Morde überhaupt gegeben habe. Darauf reagierten die staatlichen Fernsehsender mit einer Liveübertragung der Trauerfeier für einen der Getöteten und Interviews mit dessen Angehörigen. José Luís Ponce war am Montag im Hauptstadtbezirk Baruta erschossen worden. Er war ein Bewohner einer im Rahmen des Wohnungsbauprogramms Gran Misión Vivienda Venezuela neu entstandenen Siedlung in La Limonera. Die neuen Bewohner werden von ihren Nachbarn angefeindet. Diese gehören zumeist der gehobenen Mittelschicht an und empfinden die Nähe von Ärmeren als störend. Im staatlichen Fernsehen VTV berichteten Betroffene, daß sogar aus umliegenden Hochhäusern auf sie geschossen werde, ohne daß die zuständige Bezirkspolizei PoliBaruta etwas unternehme. Sie forderten das Eingreifen der Zentralregierung, um eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern. Auch in anderen Bundesstaaten organisierten sich die Anhänger der venezolanischen Regierung gegen die Putschgefahr. Aus Barinas berichtete jW-Korrespondentin Modaira Rubio, dort sei es gelungen, mehrere Gesundheitszentren vor Übergriffen zu verteidigen.

Für den Abend hatte Capriles seine Anhänger erneut zu einem »Cacerolazo« aufgerufen. Durch das lautstarke Trommeln auf Kochtöpfe sollten diese für eine Neuauszählung der Stimmen demonstrieren. Allerdings hat die Opposition diese bislang gar nicht offiziell beantragt. Venezuelas Informationsminister Ernesto Villegas erteilte Capriles deshalb über den Internetdienst Facebook Nachhilfeunterricht: »Capriles, laß es mich dir erklären: Erst einmal mußt du ein verwaltungsrechtliches Dokument erstellen und die Beschwerde beim CNE mit allen Beweisen belegen, die du hast. Anschließend wird der CNE das Dokument und alle Beweise prüfen und entscheiden, ob er dem Antrag auf eine Neuauszählung der Stimmen stattgibt oder nicht. Wenn der CNE feststellt, daß der Antrag unbegründet ist, mußt du dich an die Wahlabteilung des Obersten Gerichtshofes wenden und die Beschwerde auf diesem Weg verfolgen. Das ist die verantwortungsvolle und legale Vorgehensweise – und das weißt du, denn du bist Rechtsanwalt. Capriles, warum hast du es nicht so gemacht?«

Der Oppositionsführer hatte bei einer Pressekonferenz angebliche Unregelmäßigkeiten präsentiert, die ihm den Sieg bei der Wahl am Sonntag gekostet haben könnten. So behauptete er, daß in einem Wahllokal mehr Stimmen abgegeben worden seien als dort Wähler registriert wären. Tatsächlich gab es in dem Wahllokal zwei Urnen, für die jeweils einige hundert Venezolaner wahlberechtigt waren. Capriles hatte zwar korrekt die Zahl der an einer dieser Urnen stimmberechtigten Bürger genannt, allerdings die Zahl der in beiden Urnen abgegeben Stimmen zusammengezählt. »Das ist nicht der Fehler von jemandem, der der Mathematik nicht mächtig ist, sondern eine bewußte Manipulation«, prangerte Villegas dieses Vorgehen an.

Auf das erneute Krachschlagen der Opposition – das offenkundig deutlich leiser als noch am Montag ausfiel – reagierten die Chavistas mit lautstarker Musik und Feuerwerk. In mehreren Vierteln der Hauptstadt entwickelten sich daraus regelrechte Straßenfeste. Zudem entspannte sich die Lage dadurch, daß Capriles eine für Mittwoch angekündigte Demonstration im Zentrum von Caracas absagte. Die Regierung hatte zuvor angekündigt, den Marsch auf den Zentralsitz des CNE nicht zuzulassen, weil das eigentliche Ziel der Aktion das Schüren von Gewalt sei.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. April 2013


"Venezuela ist Referenzpunkt geworden"

UN-Ausschuß für die Rechte des palästinensischen Volkes tagt in Caracas. Bevölkerung wehrt Putschversuch ab. Ein Gespräch mit David Velásquez

Von André Scheer, Caracas **


David Velásquez ist Vizeaußenminister der Bolivarischen Repubik Venezuela.

Am Mittwoch hat in Caracas eine Beratung der Vereinten Nationen über die Rechte des palästinensischen Volkes begonnen. Welche Bedeutung hat diese Sitzung?

Es handelt sich um eine offizielle Sitzung des Ausschusses für die Ausübung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes (UNISPAL), einem offiziellen Komitee der Vereinten Nationen. Dieser Ausschuß wird in Caracas diskutieren, welche Auswirkungen der im vergangene Jahr von der UN-Vollversammlung verabschiedete Beschluß gehabt hat, Palästina den Status eines Beobachterstaates zu gewähren. Als positiv ist dabei die Zunahme der bilateralen Beziehungen und Kontakte der Welt mit dem Staat Palästina zu bewerten. Andererseits haben die USA und Israel die wirtschaftliche Blockade und die Repression gegen Palästina verschärft. So hat der israelische Staat über Monate hinweg die der palästinensischen Regierung zustehenden Steuereinnahmen zurückgehalten. Das war eine klare Strafmaßnahme gegen das palästinensische Volk, weil dieses die Entscheidung getroffen hat, bei der UNO den Antrag auf Anerkennung zu stellen. Auch die Politik des illegalen Siedlungsbaus auf palästinensischem Gebiet ist ausgeweitet worden.

Wenige Tage nach der Anerkennung durch die UNO haben Palästina und Venezuela mehrere Abkommen unterzeichnet. Das war eine Zeremonie der Anerkennung des Rechts Palästinas auf seine Existenz und Würde.

Der UNISPAL besteht aus 24 Staaten als Vollmitgliedern und 25 Beobachtern, und praktisch alle werden an den Beratungen in Caracas teilnehmen. Zudem wurden die Vertreter internationaler, multilateraler Organisationen eingeladen, die ebenfalls hier in Caracas sein werden.

Die Durchführung einer solchen Sitzung in diesen Tagen hat vor dem Hintergrund der zugespitzten politischen Situation in Venezuela eine besondere Bedeutung…

Diese besondere Bedeutung geht zurück auf die internationale Führungsrolle des Comandante Hugo Chávez und der Bolivarischen Revolution. Diese haben es ermöglicht, daß internationale Organisationen unser Land als Tagungsort auswählen, sogar bevor sie offiziell das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom vergangenen Sonntag kennen. Bereits am Montag abend trafen in Caracas Mitarbeiter des UN-Generalsekretariats ein, die Teil des Ausschusses sind. Diese offizielle Sitzung ist somit ebenso eine Anerkennung Venezuelas wie die zahlreichen Glückwunschschreiben an Präsident Nicolás Maduro aus aller Welt, angefangen bei China und Vietnam über Südafrika und viele andere Länder.

Exakt elf Jahre nach dem faschistischen Putsch gegen Hugo Chávez erleben wir aber in Venezuela eine ähnliche Situation wie damals. Wir haben die Gewalt und die Straßenaktionen einer fanatisierten Rechten erlebt, die Ausländerfeindlichkeit und politische Intoleranz, die Aggressionen auf Bürger anderer Staaten, auf Einrichtungen der PSUV oder des CNE. Ziel dieser Ausschreitungen war es, eine innere Krise zu provozieren, in der Venezolaner gegen Venezolaner vorgehen, und so Bedingungen für eine ausländische Intervention oder andersartige Einmischung zu schaffen. Diese Strategie ist vom venezolanischen Volk vereitelt worden, das geduldig und ohne sich provozieren zu lassen, auf diese Aktionen reagiert hat, die das Leben von sieben Landsleuten gekostet haben.

Ebenso wie während des Putsches vor elf Jahren spielen Spanien, Deutschland und die Europäische Union in dieser Situation eine fragwürdige Rolle und haben eine Anerkennung des Wahlsieges von Nicolás Maduro hinausgezögert. Wie schätzen Sie dies ein?

Wir kennen dieses doppelte Gesicht der internationalen Rechten bereits. Die proimperialistischen Kräfte attackieren seit langem die Bolivarische Revolution, weil diese zu einem weltweiten Referenzpunkt für die linken und fortschrittlichen Kräfte geworden ist. Spanien hat inzwischen eine Erklärung abgegeben, in der Nicolás Maduro gratuliert wird, aber die USA beispielsweise verharren noch immer ohne eine offizielle Stellungnahme und unterstützen offen die Forderung des Exkandidaten Capriles und der Rechten nach einer »Neuauszählung« der Stimmen. Dabei ist die übliche Kontrolle von 54 Prozent der Akten bereits durchgeführt worden, und diese Überprüfung hat keine Unregelmäßigkeiten ergeben. Dieses Ergebnis ist von allen Zeugen der Opposition mit ihrer Unterschrift bestätigt worden.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. April 2013


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