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"Imperialer Wahnsinn"

Rußlands Außenminister Lawrow in Venezuela

Von Modaira Rubio, Caracas *

In Caracas sind am Mittwoch (24. Aug.) Venezuelas Präsident Hugo Chávez und der russische Außenminister Sergej Lawrow zu einem Arbeitstreffen zusammengekommen. Während es bei der gut einstündigen Beratung im Präsidentenpalast Miraflores vor allem um einen Ausbau der wirtschaftlichen, finanziellen und militärischen Zusammmenarbeit beider Länder ging, war das Treffen überschattet von den jüngsten Ereignissen in Libyen. Unmittelbar vor Beginn der Begegnung war bekanntgeworden, daß eine Gruppe bewaffneter Männer die Residenz des venezolanischen Botschafters in Tripolis überfallen und geplündert hatte.

Gegenüber internationalen Pressevertretern sagte Chávez nach der Begegnung, die Aggression gegen Libyen habe die Welt in die Steinzeit zurückgeworfen und das Völkerrecht zerstört. Er forderte die an dem Konflikt beteiligten Seiten auf, das Leben und die Menschenrechte der venezolanischen Diplomaten in dem nordafrikanischen Land zu respektieren. »Abgesehen von dem Schicksal unseres Freundes Oberst Ghaddafi muß man sich fragen: Wieviele Kinder sind gestorben? Wir haben Berichte von Augenzeugen, wonach die ›Rebellen‹ bei ihrem Einzug in Tripolis ein wirkliches Massaker angerichtet haben. Niemand weiß es ganz genau, aber es wird von mehr als 2000 bis 3000 Toten gesprochen«, erklärte Chávez. Die Aggressoren hätten das Land zerstört, um sich dessen Erdöl anzueignen.

»Libyen hat ein Recht auf Frieden, aber seine Tragödie beginnt gerade erst. Sie haben ein Land zerstört und in Brand gesteckt. Und das waren nicht Ghaddafi, sondern der imperiale Wahnsinn und die Krise des globalen Kapitalismus«, unterstrich der venezolanische Präsident. Zugleich begrüßte er die Haltung Chinas und Rußlands im UN-Sicherheitsrat, eine Aggression der NATO wie gegen Libyen in Syrien nicht zuzulassen.

Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Rußland erläuterte Chávez, daß die in Moskau als Kredit beantragten vier Milliarden US-Dollar in eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Venezuelas investiert würden. Eines der ersten Projekte sei dabei die Errichtung eines Luftabwehrsystems mit russischer Technologie.

Einer direkten Antwort auf die Frage eines Journalisten, der sich mit Blick auf die russisch-venezolanischen Beziehungen erkundigte, ob Chávez nach der Ankündigung, die Gold- und Währungsreserven Venezuelas aus westlichen Banken abzuziehen, dafür einen neuen Aufbewahrungsort suche, wich der Staatschef aus. Es sei zunächst einmal »ein schlechtes Geschäft«, Geld in den USA anzulegen, wo eine Bank nach der anderen zusammenbreche. Die gegenwärtige Krise in den Vereinigten Staaten und die Ankündigung des Pentagon, sich einer Kürzung der ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu widersetzen, belege, daß dort nicht Präsident Barack Obama regiere, sondern der militärisch-industrielle Komplex.

Lawrow seinerseits hob die hohe Bedeutung hervor, die die Beziehungen zu Venezuela für sein Land hätten. Beide Staaten seien daran interessiert, daß die Welt »polizentrischer« werde. Deshalb wolle Rußland seine Beziehungen mit den wirtschaftlichen Hauptzentren der Welt weiter ausbauen, und dazu gehöre Lateinamerika. »Wir verfolgen mit großer Sympathie die Integrationsprozesse, die sich in dieser Region entwickeln«, unterstrich der Minister. Zugleich lud er Chávez ein, zum Jahresende Moskau zu besuchen.

* Aus: junge Welt, 26. August 2011


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