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"Venezuela beweist, dass eine neue und bessere Welt möglich ist"

Souveräner Wahlsieg: Chávez errang die Mehrheit in allen 24 Bundesstaaten

Bei der diesjährigen Präsidentenwahl in Venezuela am 3. Dezember ging es eigentlich nicht um den Wahlsieg. Der stand schon vorher fest. Es ging um die Höhe des Siegs, darum, ob der populäre amtierende Präsident sein hochgestecktes Wahlziel auch würde erreichen können. Ob er tatsächlich die angestrebten zehn Millionen Stimmen erreicht hat, steht noch nicht fest. Mit über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen fällt sein Wahlsieg aber imponierend genug aus.
Im Folgenden zwei Artikel über das Wahlergebnis und ein Interview mit einem Wahlbeobachter des Europäischen Parlaments.



"Bessere Welt ist möglich"

Chávez-Anhänger feiern in Venezuela den Wahlsieg ihres Idols

Von Dario Azzellini, Caracas *

»Venezuela beweist, dass eine neue und bessere Welt möglich ist«, rief Venezuelas Präsident Hugo Chávez vom »Balkon des Volkes« des Regierungspalastes Miraflores wenige Minuten nach Bekanntgabe seines Wahlsieges Zehntausenden Anhängern zu.

Die Massen hatten trotz strömenden Regens die Verkündung des ersten Ergebnisses durch den Nationalen Wahlrat (CNE) vor dem Palast abgewartet. Gegen 22 Uhr, nach Auszählung von 78 Prozent der Stimmen, verkündete CNE-Direktorin Tibisay Lucena, Chávez liege mit 61,35 Prozent der Stimmen uneinholbar vor dem Sammelkandidaten der Opposition, Manuel Rosales, der auf 38,39 Prozent kam. Die Feierlichkeiten der Chávez-Anhänger verwandelten sich nach Bekanntgabe des Ergebnisses in ein riesiges Fest, das Caracas und das Land erfasste.

Angesichts des deutlichen Stimmenunterschieds und des strömenden Regens blieb eine Mobilisierung der Opposition weitgehend aus. Bis auf wenige von Oppositionellen verursachte Zwischenfällen verlief der Wahltag ruhig. Bedeutende Unregelmäßigkeiten wurden nicht gemeldet. Nach Auszählung von 85 Prozent der abgegebenen Stimmen verbesserte sich das Ergebnis weiter zu Gunsten von Chávez, der mit 61,62 Prozent gegen 38,12 Prozent für Rosales führt. Da die noch auszuzählenden Stimmen aus ländlichen Regionen stammen, in denen Chávez noch größere Unterstützung genießt, dürfte sein Anteil weiter steigen.

Chávez erzielte die Mehrheit in allen 24 Bundesstaaten. Selbst in der im Westen an der Grenze zu Kolumbien gelegenen erdölreichen Region Zulia, in der Rosales bis zu seiner Aufstellung als Präsidentschaftskandidat Gouverneur war, gewann Chávez mit 50,57 gegen 49,26 Prozent.

Die zweite reguläre Amtszeit des venezolanischen Präsidenten, der im Dezember 1998 erstmals mit knapp 54 Prozent gewählt wurde, beginnt im Februar und dauert sechs Jahre. Chávez bekräftigte erneut, er werde sich persönlich dafür einsetzen, die Übertragung der Macht an das Volk auszuweiten. Es sei eine neue Ära angebrochen und es gelte nun die »bolivarianische Revolution« zu vertiefen. Die Entscheidung der Wähler sei eine Entscheidung für den Sozialismus gewesen. Er versprach, den Wohnungsbau zu verstärken und das kostenlose Bildungs- und Gesundheitssystem, das während seiner Amtszeit aufgebaut wurde, weiter auszudehnen. Zudem werde der Umbau der Wirtschaft zum Sozialismus beschleunigt werden.

Zugleich rief Chávez unter dem Jubel seiner Anhänger einen »Krieg auf Leben und Tod gegen die bürokratische Konterrevolution und die Korruption« aus.

Oppositionsführer Manuel Rosales räumte erst kurz vor Mitternacht seine Niederlage ein und verkündete, nach eigenen Umfragen sei die Unterstützung für ihn größer als an den Ergebnissen ablesbar. Er vermied allerdings, von Wahlbetrug zu sprechen. Das Eingeständnis erfolgte so spät, da die Entscheidung der Anerkennung des Wahlsieges von Chávez im Wahlbündnis von Rosales lange kontrovers diskutiert wurde. Ein Teil weigerte sich und wollte unter dem Banner eines angeblichen Wahlbetrugs in die direkte Konfrontation treten. Letztlich setzte sich aber Rosales durch, der verkündete er werde nun »auf der Straße kämpfen«.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Dezember 2006

"Die Wahl war fair"

EU-Linkspolitiker André Brie über den Verlauf der Abstimmung in Venezuela

Als einziges deutsches Mitglied der Wahlbeobachtungskommission des Europäischen Parlaments waren Sie in Venezuela bei den Präsidentschaftswahlen am Ort. Der unterlegene Kandidat Manuel Rosales hatte über Unregelmäßigkeiten geklagt. Zu Recht?

Sowohl aus eigener Erfahrung als auch nach dem, was ich von Kollegen und von vielen anderen Wahlbeobachtern gehört habe, ist die Wahl sehr gut organisiert worden und sehr fair abgelaufen. Probleme betrafen zum Teil lange Wartezeiten, zum Teil das Scannen der Fingerabdrücke bei den elektronischen Wahlautomaten. Aber das sind keine wahlrechtlich relevanten Fragen. Ich habe wirklich in jedem von mir besuchten Wahllokal mit Vertretern der Opposition, sogenannten Zeugen, gesprochen, und ausnahmslos alle waren zufrieden mit dem Wahlablauf und mit der Fairness vor Ort.

Demnach also eine faire Wahl?

Ja, eindeutig. Man kann über den Wahlkampf streiten, aber das betrifft beide Seiten. Die Wahl selbst ist nach Einschätzung der internationalen Beobachter wirklich rechtskonform und transparent verlaufen.

Vorangegangene Wahlen waren durch geringe Beteiligung gekennzeichnet. Wie sah es diesmal aus?

Die Beteiligung war für venezolanische Verhältnisse sehr hoch. Das zeigt, in welchem Maße die Bevölkerung von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen will. Es zeigt zudem – was auch wichtig ist –, dass die Politik der Opposition, sich aus dem demokratischen Verfahren selbst auszuschließen, gescheitert ist. Und dass es dort, zumindest bei wichtigen Teilen der Opposition, auch ein Umdenken zu geben scheint.

Demnach erkennt die unterlegene Seite die Wiederwahl von Präsident Chávez voll und ganz an?

Bemerkenswerterweise hat Gegenkandidat Rosales bei allen Einschränkungen, die er genannt hat, die Niederlage eingestanden, was beim gescheiterten Amtsenthebungsreferendum von 2004 nicht geschah. Es gibt in der Opposition Kräfte, die das ablehnen, aber offensichtlich sind doch die größeren Teile der Opposition und vor allem Rosales selbst bereit, in den demokratischen Dialog des Landes zurück zu kehren. Es ist also keine Destabilisierung zu erwarten, und die Legitimität von Hugo Chávez steht nicht in Frage.

Wie bewerten Sie die Arbeit der vom Europaparlament entsandten Wahlbeobachtungskomission, der Sie angehören?

Ich selber spreche ja nur ein paar Brocken Spanisch, habe aber zwei hervorragende Dolmetscher für mich persönlich hier gehabt. Ansonsten ist das hier natürlich eine spanische Domäne. Ich sage natürlich, aber eigentlich ist es auch nicht akzeptabel, dass die Europäische Union diese wichtigen Angelegenheiten hier in Venezuela den Spaniern überlässt.
In Zukunft sollte vielleicht auf eine ausgewogenere Zusammensetzung bei der vorangehenden Auswahl eines solchen Beobachterteams geachtet werden.

Interview: Benjamin Beutler

Aus: Neues Deutschland, 5. Dezember 2006



Venezuela bleibt rot

Von Harald Neuber, Caracas **

Gut drei Viertel der Stimmen waren in Venezuela am Sonntag abend (Ortszeit) ausgezählt, als der Oppositionskandidat Manuel Rosales vor die Presse trat. Amtsinhaber Hugo Chávez lag zu dieser Zeit bei 61 Prozent, Rosales selbst bei 38.

»Ich erkenne das Ergebnis der Wahl an«, sagte der 54jährige und erntete wütende und enttäuschte Proteste seiner Anhänger. Das Eingeständnis überraschte beide politische Lager, weil Rosales’ Team in den vergangenen Wochen immer wieder die These eines wahrscheinlichen Wahlbetrugs ins Spiel gebracht hatte. An dem Ergebnis änderte sich nichts mehr, die Wahlbeteiligung lag bei rund 75 Prozent.

Noch am Nachmittag war die Situation in der Hauptstadt gespannt. Pünktlich mit der planmäßigen Schließung der Wahllokale um 16 Uhr begannen die chávezfeindlichen privaten Fernsehsender Globovisión und Venevisión wie auf Kommando, über angebliche Unregelmäßigkeiten zu berichten. Während sich Wahlbeobachter in ersten Reaktionen zurückhaltend äußerten, griff Rosales’ Wahlkampfteam die Vorlagen der Medien auf. Am späten Nachmittag hatte Eliseo Fermín, Mitglied in der Mannschaft des Oppositionskandidaten, die Unregelmäßigkeiten kritisiert; zeitgleich erklärte Rosales, die elektronischen Wahlmaschinen hätten in mehreren Fällen ausgesetzt, wenn die Leute für ihn gewählt haben.

Der Rückschlag für Rosales kam mit den ersten Hochrechnungen, die einen Vorsprung des Amtsinhabers von 20 Prozent erkennen ließen. Armeegeneral Wilfredo Silva, der für die öffentliche Sicherheit während der Wahlen Verantwortung trug, kündigte zugleich an, auf jedwede Destabilisierungsversuche unmittelbar zu reagieren. Aber in Caracas regnete es seit dem Nachmittag in Strömen. Die Voraussetzungen für eine Mobilisierung der Opposition waren denkbar schlecht.

Jubel herrschte bei den Chavisten. Schon am Vormittag hatte sich Präsident Chávez bei der Stimmabgabe im traditionell linken Stadtteil »23. de Enero« zuversichtlich gezeigt. Gut gelaunt und am Steuer eines knallroten VW-Käfer kam er vorgefahren, um zur Teilnahme an den Wahlen aufzurufen: »Eine Demokratie ohne Volk ist keine Demokratie«, sagte er und zeigte sich zuversichtlich, »daß Venezuela seine Demokratie einmal mehr unter Beweis gestellt hat«.

Rosales steht nach dem Eingeständnis seiner Niederlage nun vor einer schwierigen Situation. Auf Druck der extremen Rechten hatte die Opposition die Parlamentswahlen vor einem Jahr boykottiert, um die Volksvertretung gänzlich dem Regierungslager zu überlassen. Nachdem sich die gemäßigten Kräfte um Rosales erfolgreich gegen einen zweiten Boykott der Präsidentschaftswahlen durchgesetzt haben, wird eine Reintegration in das demokratisch-parlamentarische System für die Regierungsgegner schwierig. Auch wenn der Wahlsieger Chávez – wie seit sieben Jahren– zum Dialog aufrief, schloß er eine Integration der Opposition in das Parlament außerhalb regulärer Abgeordnetenwahlen aus. »Sie haben sich außerhalb der demokratischen Spielregeln gestellt und müssen nun mit den Konsequenzen leben«, sagte Chávez im Gespräch mit dem US-Fernsehsender CNN.

** Aus: junge Welt, 5. Dezember 2006


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