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Angriff ins Leere

Deutscher Außenminister übt scharfe Kritik an venezolanischer Regierung. Besonnene Reaktion in Caracas

Von Harald Neuber *

Es war eine Provokation mit Kalkül: Unmittelbar vor den deutsch-spanischen Regierungskonsultationen am vergangenen Donnerstag (31. Januar) auf der Mittelmeerinsel Mallorca hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in ungewohnter Schärfe die Regierung von Präsident Hugo Chávez angegriffen. »Was wir derzeit in Venezuela erleben, ordne ich unter der Überschrift Populismus ein«, sagte der SPD-Politiker im Gespräch mit der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Ein »wirklich gefestigter ideologischer Unterbau« sei beim Regierungsprojekt in Venezuela nicht zu erkennen, so Steinmeier weiter, um auf das gescheiterte Referendum über eine Änderung der Verfassung Anfang Dezember zu verweisen. Dessen Ablehnung führte der Sozialdemokrat als Beleg dafür an, daß »die Wählerinnen und Wähler in Venezuela (...) nicht ohne weiteres bereit sind, den Kurs von Herrn Chávez mitzugehen«.

Der verbale Frontalangriff auf die Regierung Chávez löste bei politischen Beobachtern Erstaunen aus. Zwar schilderte ein Bundestagsmitarbeiter im Gespräch mit junge Welt, daß Vertreter der Regierungsparteien in parlamentarischen Gremien Venezuela immer wieder mit »blankem Haß« begegneten. Doch in der Öffentlichkeit haben sich Regierungsvertreter seit Antritt der großen Koalition Ende 2005 zurückgehalten. Die neue Aggressivität gegenüber Caracas steht nur nachrangig mit den belanglosen Beratungen Ende vergangener Woche in Mallorca in Verbindung. Tatsächlich zielt die Attacke Berlins auf den EU-Lateinamerika-Gipfel, der Ende Mai in der peruanischen Hauptstadt Lima stattfinden wird.

Auf diesem fünften Treffen zwischen der EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik wird ein direkter Konflikt zwischen den links regierten Staaten des Südens und den Abgesandten Brüssels erwartet. Für Streit sorgen nach wie vor die antisoziale Außenhandelspolitik der EU, aber auch die zunehmenden Angriffe auf die Souveränität der nach Autonomie strebenden Länder Lateinamerikas. Beim letzten Gipfel im Mai 2005 hatten sich die Befürworter des europäischen Neoliberalismus gegen die Kritiker der Gegenseite nicht durchsetzen können. Inzwischen ist die lateinamerikanische Linke um Venezuela und Kuba besser aufgestellt. Steinmeiers Kommentar zeigt, daß sich die führenden EU-Staaten auf einen Schlagabtausch mit diesen Protagonisten des lateinamerikanischen Sozialismus vorbereiten. Folglich reizte der SPD-Politiker im Gespräch mit der spanischen Agentur auch die sozialistische Regierung in Havanna mit dem Hinweis auf »sich abzeichnende Veränderungen in Kuba«.

Als »nicht überraschend« bezeichnete die Bundestagsabgeordnete der Linken, Heike Hänsel, Steinmeiers Wortmeldung. Venezuela verunsichere ihn, »weil die SPD sich längst davon verabschiedet hat, Politik für die Interessen der Bevölkerungsmehrheit zu entwickeln«. Venezuela indes belege, daß eine solche Regierung möglich sei, meint die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion.

In Caracas begegnete man der Provokation gelassen. Das venezolanische Außenministerium sah nach Prüfung der Angelegenheit von einer direkten Reaktion ab. Nach Einschätzungen venezolanischer Diplomaten versucht die deutsche Regierung, das Verhältnis vor den Konsultationen in Lima vorsätzlich zu belasten. Eine gebührende Reaktion könnte schließlich als Vorwand zur Absage bilateraler Gespräche angeführt werden, die von Caracas geplant sind. Inzwischen wurde der ehemalige Grünen-Politiker und amtierende deutsche Botschafter in Caracas, Georg Clemens Dick, zum Gespräch gebeten. Damit sehe man die Sache als erledigt an, heißt es in Venezuela.

* Aus: junge Welt, 4. Februar 2008


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