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Venezuela senkt Stromverbrauch

Sparzwang durch Anreize und Sanktionen

Von Tobias Lambert *

Einen Stromnotstand wie Anfang 2010 aufgrund einer langen Dürreperiode soll es in Venezuela nicht mehr geben. Zwar ist Caracas auch künftig nicht gegen extreme Wetterereignisse gefeit, doch durch Verbrauchseinsparung soll Engpässen vorbeugend begegnet werden.

Nachdem es in jüngster Zeit wiederholt zu größeren Stromausfällen gekommen war, kündigte die venezolanische Regierung an, den Verbrauch von Elektrizität senken zu wollen. In vielen Landesteilen wird der Strom bereits rationiert. Anfang der vergangenen Woche gab Vizepräsident Elías Jaua zudem neue Maßnahmen bekannt. Ab Mitte Juli soll die Nachfrage durch ein System aus Anreizen und Sanktionen landesweit reguliert werden. Es gehe nicht darum, »das Recht auf Elektrizität zu begrenzen«, versicherte Jaua, »sondern unangemessenen und exzessiven Energieverbrauch zu vermeiden, um eine sichere und stabile Versorgung zu garantieren«.

Das neue Tarifsystem sieht vor, dass private Konsumenten mit hohem Verbrauch, die ihre Nachfrage um 10 bis 20 Prozent senken, einen Rabatt von 25 Prozent auf ihre Stromrechnung erhalten. Bei einer Senkung von über 20 Prozent beträgt der Rabatt 50 Prozent. Wer den Konsum allerdings um weniger als zehn Prozent senkt oder sogar erhöht, muss Aufschläge zwischen 75 und 200 Prozent zahlen. Unternehmen mit sehr hohem Verbrauch sind angehalten, in zwei aufeinander folgenden Monaten jeweils mindestens zehn Prozent einzusparen und eigene Stromgeneratoren bereitzustellen.

Die Maßnahmen gelten auch für den öffentlichen Bereich, also Behörden, Ministerien oder den Präsidentenpalast. Ausgenommen sind dagegen Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser, die Erdölproduktion, der Lebensmittelbereich, Polizei und Medien.

Elekrizitätsminister Alí Rodríguez Araque gab sich zuversichtlich, dass die Maßnahmen »von den Konsumenten verstanden« werden. Opposition und Privatwirtschaft übten dagegen scharfe Kritik. Sie befürchten, dass die Auferlegung von Energieeinsparungen die gerade erst einsetzende wirtschaftliche Erholung gefährden könnte. Dieses Jahr soll die Wirtschaft erstmals seit zwei Jahren wieder wachsen, im ersten Quartal legte sie um 4,5 Prozent zu. »Wir zahlen den Preis für ein schlechtes Management, sie improvisieren«, kritisierte Guillermo Ovalles, Präsident der Energiekommission des Unternehmerverbandes Fedecámaras. Die einzige Form, den Verbrauch wie vorgeschrieben zu reduzieren, sei es, »die Produktion zu drosseln«, was wiederum mit Folgekosten verbunden sei.

Die Regierung schreibt die Defizite vor allem dem alten Management zu und verweist auf das jahrelange Ausbleiben von Investitionen. Linke Gewerkschafter im 2007 gegründeten staatlichen Elektrizitätsunternehmen CORPOELEC geben auch der Bürokratie und der Funktionärselite im Energiebereich eine Mitschuld für die Probleme.

Venezuela zählt zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Elektrizität in Lateinamerika. Laut offiziellen Angaben wurde die Leistung der Stromerzeuger, überwiegend auf Wasserkraft basierend, zwischen 1999 und 2010 um gut 5400 Megawatt ausgebaut. In dem Jahrzehnt zuvor waren es nur rund 2500 Megawatt gewesen. Durch Wirtschaftswachstum und einen Anstieg des Lebensstandards zuvor marginalisierter Bevölkerungsgruppen stieg die Nachfrage nach Strom seit 1998 um fast 50 Prozent. Ende 2009 führte eine Dürreperiode zu Engpässen in der Stromversorgung, die bis April 2010 anhielten und zur zeitweisen Rationierung führten. Durch die Energiekrise wurde der Verbrauch zwar leicht vermindert, stieg danach jedoch wieder an.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Juni 2011

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