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Pilgerziel für Revolutionäre

Venezuela: Letzter Trauerzug durch Caracas für Hugo Chávez. Millionen Menschen nehmen noch einmal Abschied

Von André Scheer *

Begleitet von mehreren Millionen Menschen, so Schätzungen des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur, ist der am 5. März verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chávez zur letzten Ruhe gebettet worden. Nachdem er mehr als neun Tage lang in der Militärakademie von Caracas aufgebahrt worden war, wo Hunderttausende Menschen Tag und Nacht an dem offenen Sarg vorüberdefilierten, wurde er am Freitag in einem weiteren Trauerzug in das Militärgeschichtliche Museum überführt. Diese unweit des Präsidentenpalastes Miraflores gelegene frühere Kaserne hatte Chávez am 4. Februar 1992 als Befehlsstand gedient, als er mit mehreren hundert Soldaten versucht hatte, den damaligen Staatschef Carlos Andrés Pérez zu stürzen. Die Rebellion scheiterte zwar und Chávez mußte für zwei Jahre ins Gefängnis, doch heute gilt der Aufstand als eigentlicher Beginn der »Bolivarischen Revolution« in Venezuela. Das 1907 errichtete Gebäude ist seit 1981 ein militärgeschichtliches Museum und wurde in den vergangenen Jahren zu einem »Museum der Revolution« umgestaltet, in dem speziell des »4-F« gedacht wird.

In dem Gebäude, das inmitten des für seine kämpferischen Traditionen bekannten Stadtviertels 23 de Enero liegt, ist eine separate Kapelle eingerichtet worden, in der Hugo Chávez nun in einem Steinsarg ruht. Symbolisch bewacht wird dieser durch Statuen des venezolanischen Nationalhelden Simón Bolívar, von dessen Lehrer Simón Rodríguez sowie des Bürgerkriegsgenerals Ezequiel Zamora. Die Gedanken dieser Persönlichkeiten, »der Baum mit den drei Wurzeln«, bildeten für Chávez die ideologischen Grundlinien der von ihm geführten Revolution: Unabhängigkeit und Volkssouveränität, Bildung und Gesundheitsversorgung sowie eine gerechtere Verteilung von Grund und Boden.

Venezuelas Informationsminister Ernesto Villegas erklärte, er erwarte, daß das Museum eine »Pilgerstätte für die Revolutionäre aus aller Welt« werde. Bereits am Freitag abend, nach Abschluß der offiziellen Trauerzeremonie, aber Stunden vor der angekündigten Öffnung, bildeten sich vor den Türen des Museums lange Warteschlangen.

Diskutiert wird in Venezuela weiterhin eine Überführung des Leichnams in den Panteón Nacional, die Ruhmeshalle, in der unter anderem Bolívar, Rodríguez und Zamora bestattet sind. Dazu ist eine Verfassungsänderung notwendig, da dies nach den aktuellen Bestimmungen erst in 25 Jahren möglich wäre. Ursprünglich sollte die Nationalversammlung bereits am vergangenen Dienstag einen entsprechenden Antrag verabschieden, der dann in einem Pebleszit ratifiziert werden müßte. Die Abstimmung im Parlament wurde jedoch kurzfristig verschoben. Offenbar soll die Diskussion um die letzte Ruhestätte des verstorbenen Staatschefs nicht mit dem begonnenen Wahlkampf vermischt werden. Venezuela entscheidet am 14. April über den künftigen Präsidenten.

Eine Einbalsamierung des Leichnams von Hugo Chávez ist dagegen offenbar nicht mehr geplant. In einer über den Internetdienst Twitter verbreiteten Nachricht erklärte Villegas in der Nacht zum Sonnabend, nach einer Untersuchung durch eine russische Expertenkommission sei die erfolgreiche Durchführung »ausgeschlossen«.

* Aus: junge Welt, Montag, 18. März 2013


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