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Generalprobe

Einen Monat vor der Parlamentswahl in Venezuela sagen Umfragen Erfolg für Chávez-Lager voraus

Von André Scheer *

Mit einem landesweiten Testlauf hat der Nationale Wahlrat (CNE) Venezuelas am Sonntag ausprobiert, ob die Technik und Infrastruktur für die Parlamentswahlen am 26. September bereit sind. CNE-Chefin Tibisay Lucena zeigte sich anschließend zufrieden mit den Ergebnissen und vor allem mit der Beteiligung durch die Bevölkerung. »Eine große Zahl der Wählerinnen und Wähler ist dem Aufruf des CNE gefolgt und hat an dieser Probe teilgenommen. Die Beteiligung war beeindruckend und höher, als wir erwartet haben.« Das mache Hoffnung auf eine hohe Beteiligung am eigentlichen Wahltag.

Auch wenn Lucena keine politischen Ergebnisse der Probeabstimmung bekanntgab, zeichnet sich einen Monat vor der Wahl ein Erfolg des Regierungslagers ab. Jüngste Umfragen verschiedener Institute sagen voraus, daß die Allianz aus der von Präsident Hugo Chávez geführten Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) und den Kommunisten der PCV in der nächsten Nationalversammlung erneut die Mehrheit der Mandate stellen wird. Das regierungsnahe Institut GIS XXI, das vom früheren Minister Jesse Chacón geleitet wird, sieht das linke Lager bei 50 bis 55 Prozent der Stimmen. Das entspräche zwar einer deutlichen, allerdings keiner Zwei-Drittel-Mehrheit, die für die Verabschiedung der wichtigen Organgesetze notwendig ist. Das der Opposition nahestehende Unternehmen Hinterlaces sieht die Opposition mit 28 Prozent knapp vor den Linken mit 27 Prozent. Trotzdem werde das Regierungslager die Mehrheit im Parlament stellen, so Hinterlaces. Grund dafür sei die regionale Verteilung der Wahlbezirke.

Der Fernsehjournalist und frühere venezolanische Vizepräsident José Vicente Rangel zog die Ergebnisse der Hinterlaces-Befragung in seinem wöchentlichen Programm »José Vicente Hoy« auf dem Privatkanal Televen in Zweifel. Sie widerspiegele nicht die tatsächlichen Verhältnisse, sondern diene lediglich dazu, den Regierungsgegnern Mut zu machen. Diese seien in einem sehr viel geringeren Maß als die Chávez-Unterstützer entschlossen, tatsächlich zur Wahl zu gehen, so Rangel. Grund dafür sei die interne Zersplitterung der Opposition sowie ein bislang müder Wahlkampf. Tatsächlich haben sich die Umfrageergebnisse von Hinterlaces und anderen oppositionellen Instituten bei früheren Wahlen immer wieder als falsch herausgestellt. So hatte das Institut für die letzte Präsidentschaftswahl 2006 für Chávez magere 45 Prozent der Stimmen vorausgesagt. Tatsächlich wurde der Staatschef dann mit knapp 63 Prozent im Amt bestätigt.

Vor diesem Hintergrund hat PCV-Kandidat Yul Jabour die Wähler aufgerufen, sich nicht von den Umfragen irritieren zu lassen und an die Erfahrungen bei der Präsidentschaftswahl in Kolumbien erinnert. Vor der ersten Wahlrunde Ende Mai hatten dort die meisten Umfragen den Kandidaten der Grünen Partei, Antanas Mockus, deutlich vor dem späteren Wahlgewinner Juan Manuel Santos gesehen. »Das führte dazu, daß die Kräfte um Mockus an einen sicheren Sieg glaubten und ihre Aktivitäten im Wahlkampf reduzierten. Das Ergebnis war dann im Augenblick der Abstimmung die historisch geringen Wahlbeteiligung.«

Auch Hugo Chávez rief dazu auf, nicht nachzulassen. In seiner wöchentlichen Zeitungskolumne »Las Líneas de Chávez« erklärte er am Sonntag: »Jede und jeder, der und die das Heimatland wirklich liebt, ist zuallererst verpflichtet, alle Kraft für den patriotischen Sieg am 26. September einzusetzen. Zerschlagen wir die schändliche fünfte Kolonne, die sich die Nationalversammlung aneignen will, um das Land zu destabilisieren und die Revolution abzuwürgen!« Chávez hat in den vergangenen Wochen wiederholt davor gewarnt, daß ein eventueller Erfolg der Opposition die Gefahr eines Staatsstreichs nach honduranischem Muster in sich berge. Dort hatte sich die Mehrheit der Abgeordneten dazu hergegeben, den Putsch gegen den honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya abzusegnen.

Absehbar ist jedoch, daß die Opposition stärker als bisher im venezolanischen Parlament vertreten sein wird. Die letzte Abstimmung 2005 war von den Regierungsgegnern boykottiert worden, wodurch die Nationalversammlung fast ausschließlich durch Parteien des Regierungslagers gebildet wurde. Erst das Ausscheren der sozialdemokratisch orientierten Parteien »Podemos« 2007 und PPT Anfang 2010 aus der Regierungskoalition sorgte dafür, daß die Opposition überhaupt wieder eine parlamentarische Präsenz bekam. Während »Podemos« mittlerweile voll am Bündnis der Regierungsgegner, »Unidad Venezuela«, beteiligt ist, sieht sich die PPT als »dritte Kraft« und tritt allein an. Die Umfragen sehen sie bei mageren zwei Prozent.

* Aus: junge Welt, 24. August 2010


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