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Tote bei Unruhen in Venezuela

Regierung beklagt gezielte Angriffe

Von Harald Neuber *

Zwei tote Demonstranten und über 20 zum Teil schwer verletzte Polizisten – so lautet die vorläufige blutige Bilanz nach Demonstrationen in der venezolanischen Universitätsstadt Mérida. Derweil hat Staatschef Hugo Chávez den sechsten Vizepräsidenten in rund zehn Jahren Amtszeit ernannt. Landwirtschaftsminister Elías Jaua Milano (40) wird Nachfolger des überraschend zurückgetretenen Verteidigungsministers Ramón Carrizalez.

Regierungskritische Aktivisten hatten am Montag (25. Jan.) zu Protesten gegen die Regierung von Präsident Chávez aufgerufen. Die weitgehend ritualisierten Aktionen wurden durch die vorübergehende Schließung des privaten Kabelsenders RCTV angeheizt. Das Signal des regierungskritischen Kanals war am Sonntag gesperrt worden, weil dieser nach Ansicht der Behörden geltende Mediengesetze missachtet. Ein Konflikt zwischen RCTV und der linksgerichteten Regierung hatte 2007 schon einmal für landesweite Proteste gesorgt.

Nach Berichten lokaler Medien nahmen rechtsgerichtete Gruppen von Studierenden den neuerlichen Konflikt zum Anlass, um gegen die Regierung in Caracas zu protestieren. Unterstützt wurden sie dabei vom Bürgermeister Méridas, dem Sozialdemokraten Lester Rodríguez. Bei den folgenden Zusammenstößen zwischen diesen Gruppen und linksgerichteten Jugendlichen wurden zwei Protestteilnehmer durch Schüsse getötet. Die Regierung hat inzwischen Armeeverbände in die Andenstadt rund 700 Kilometer östlich von Caracas entsendet.

Während die oppositionelle Lokalregierung den Einsatz paramilitärischer Verbände beklagte, die der Regierung nahe stehen sollen, erhob der Gouverneur des Bundesstaates Mérida, Marcos Díaz Orellana, seinerseits schwere Vorwürfe gegen rechte Gruppierungen. »Nach unseren Informationen wurden die Kundgebungen von Scharfschützen angegriffen«, sagte Díaz Orellana bei einer Pressekonferenz in der Einsatzzentrale der Polizei von Mérida. Innen- und Justizminister Tareck El Aissami gab an, dass die Schüsse von mehrstöckigen Wohnhäusern nahe der Mobilisierungen abgegeben wurden; verantwortlich dafür seien »faschistische Gruppen der Studentenschaft«. Nach ersten Angaben handelt es sich bei einem der beiden Opfer um einen 14-jährigen Schüler, der in der Jugendorganisation der regierenden »Vereinigen Sozialistischen Partei Venezuelas« aktiv war. Bei dem zweiten Toten soll es sich um einen Medizinstudenten handeln.

Führend beteiligt waren nach Presseberichten auch eine rechtsgerichtete »Bewegung 13. April«. Mitglieder der Organisation waren bei vergangenen Auseinandersetzungen in Mérida bereits bewaffnet aufgetreten. Gegenüber dem deutschen Internetportal amerika21.de berichtete eine Augenzeugin von den gewalttätigen Ausschreitungen. »Gerade zünden sie ein Auto gegenüber der Wohnsiedlung Las Marias an«, schrieb die junge Frau, die das Geschehen live aus einem nahen Wohnblock verfolgte. »Ich vermute, sie wollen wissen, ob das genauso explodiert wie in den Fernsehshows«, so ihr ironischer Kommentar. Venezuelas Bildungsminister Héctor Navarro hat den Universitätsbetrieb nach den tödlichen Übergriffen für drei Tage suspendiert.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Januar 2010


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