Bittere Schokolade
Zwangsverstaatlichung einer Kooperative sorgt in Venezuela für Diskussionen über sozialistische Unternehmensformen
Von Gerhard Dilger, Mango de Ocoita *
In der Diskussion um den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« streiten in Venezuela Kooperativen
und Staatsverwaltung um den richtigen Kurs: Soll der Sozialismus von oben verordnet werden?
Oder von unten entstehen? Im Fall einer Kakaokooperative in Barlovento setzte der Staat letzte
Woche eine Verstaatlichung gegen den Willen der Kooperative durch.
In einer Fabrikhalle des Werks »Cacao Oderí« wiegen junge Männer und Frauen Jutesäcke voll
Kakaobohnen und schütten die kieselsteingroßen Bohnen durch ein großes Sieb. Nach dem Rösten
und Mahlen teilt sich der Produktionsprozess: In blitzenden Bottichen brodeln flüssige Kakaobutter
und Kakaomasse. Das feine, bittere Pulver füllen die Arbeiter in 50-Kilo-Säcke mit dem Aufdruck
»Barlovento-Kakao mit feinem Aroma, 100 Prozent organisch« ab.
Der Barlovento, wörtlich »über dem Wind», ist die warme, üppig bewaldete Karibikregion zwei
Autostunden nordöstlich von Venezuelas Hauptstadt Caracas. Schon während der Kolonialzeit
bauten hier afrikanische Sklaven Kakao an. In Europa wurde daraus Trinkschokolade und bereits im
17. Jahrhundert trat Kakao seinen Siegeszug in der Alten Welt an.
Kakao – die Profite ernten die anderen
Kakao ist ein begehrter Rohstoff des Südens – aber wie seit Kolonialzeiten verdienen daran
hauptsächlich Unternehmen des Nordens. In Venezuela etwa kauft Marktführer Nestlé rund ein
Drittel der Kakaoproduktion auf. Die Nachkommen der Sklaven wollen das ebenso ändern wie die
Regierung von Präsident Hugo Chávez. Um den bisherigen Wirtschaftskreislauf zu durchbrechen,
müssen die Bewohner des Barlovento ihren kostbaren Rohstoff jedoch zu wertvoller Schokolade
weiterverarbeiten. Deshalb erhebt sich nun mitten im tropischen Grün die neue Kakaofabrik, die
Chávez im Oktober 2006 eingeweiht hat.
In ein paar Jahren soll dort nicht nur Kakao verarbeitet, sondern sollen auch Tafelschokolade,
Bonbons und Likör hergestellt werden. Der langjährige Geschäftsführer Juan Martínez erläutert,
warum: »Bisher bekommen die Kleinbauern pro Tafel Schokolade fünf Prozent des Erlöses. Die
Kakaoverarbeitung, wie wir sie hier betreiben, wird uns etwa 10 bis 15 Prozent zusätzlich einbringen.
Doch richtig lukrativ ist erst die Schokoladenproduktion mit 35 bis 45 Prozent – der Rest geht an die
Händler.«
Doch das ist Zukunftsmusik. Denn im Barlovento wurde am Freitag letzter Woche ein zäher
Machtkampf um den richtigen Weg zum »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« entschieden. Chávez,
dessen überlebensgroßes Konterfei neben einer Kakaobäuerin die Fassade ziert, hatte vor fünf
Monaten per Dekret die Gründung der sozialistischen Aktiengesellschaft Cacao Oderí angeordnet.
Die Kooperativen sollten 49 Prozent und der Staat sollte 51 Prozent der Anteile bekommen. Seitdem
rangen die genossenschaftlich organisierten Kakaobauern mit den Funktionären des Staatsapparats
um die Kontrolle der Fabrik. Nun wurde ein zweites Dekret veröffentlicht: Der »bolivarianische
Betrieb sozialistischer Produktion Cacao Oderí« wird verstaatlicht.
Genossenschafter und Staatsfunktonäre sprechen bereitwillig über den Konflikt. »Wir haben das
alles hier sieben Jahre lang unter großen Entbehrungen aufgebaut«, sagt Germán Huise. Vor
Jahrzehnten hat der Afrovenezolaner als Tagelöhner für Großgrundbesitzer gearbeitet, wie zuvor
schon seine Eltern. Heute ist er mit seinen 56 Jahren einer der Veteranen des
Kooperativendachverbands, dem 18 000 Bauern angehören. »Seit 15 Jahren beschäftigen wir uns
mit organischem Landbau und haben Kooperativen gebildet«, erzählt Huise. »2004 hat der
Präsident unser Projekt der Kakaofabrik gutgeheißen. Wir haben das ganze Personal gründlich
angelernt, das sind Leute wie wir. Doch dann haben uns die anderen überrumpelt und 51 Prozent an
sich gerissen.« Empört fügt er hinzu: »So behandelt man die Bauern nicht. Wir wollen respektiert
werden. Manche fürchten wohl, dass wir Schwarze ihnen zu mächtig werden.«
Die Seite des Präsidenten Hugo Chávez in der gerade verstaatlichten Kooperative vertritt Javier
Abreu, Verwaltungsexperte und studierter Ingenieur. »Wir müssen reden, wir dürfen nicht
scheitern«, beschwört er seine skeptischen Gegenüber. »Euer Kampf war hart – aber Präsident
Chávez ist ein Instrument Gottes, das es uns ermöglicht hat, das hier zu schaffen. Ohne ihn wären
wir aufgeschmissen.« Deutlicher wird der weiße Technokrat erst im Büro des Fabrikdirektors: »Um
entscheiden zu können, musst du ausgebildet sein. Vater Staat begleitet die Bauern und gibt ihnen
das Werkzeug, damit sie vorankommen. Das ist wie bei einem Baby, das laufen lernt.« Edgar Rivas,
den die Regierung als Direktor eingesetzt hat, spricht davon, dass das Management schrittweise an
die Produzenten übergehen soll. »Doch gerade in der jetzigen Phase brauchen wir auch
qualifiziertes Personal von außen«, sagt Rivas. Vor einem roten Che-Guevara-Plakat verweist er
darauf, dass viele genossenschaftlich geführten Betriebe gescheitert seien. Sein wichtigstes Credo
lautet: »Die Fabrik gehört dem Staat, also allen Venezolanern.«
Konflikte mit den Kooperativisten hat es immer gegeben, aber bisher haben wir uns immer wieder
zusammengerauft«, sagt Rivas, ein schlanker Mann mit grau meliertem Dreitagebart. »Unser Streit
ist technisch und politisch zugleich«, fasst er zusammen. Er dreht sich um das effektivste
Managementmodell, darum, ob über die technischen Fragen des täglichen Betriebs immer die
Vollversammlung der Kooperativisten entscheiden soll oder ob das auch das fünfköpfige
Führungsgremium kann.
Eine schwierige Situation, denn: »Bis jetzt haben wir die Fabrik allein verwaltet«, stellt Martínez, ein
drahtiger 47-Jähriger, fest. »Die Staatsfunktionäre, die seit November hier sind, agierten wie eine
Besatzungsmacht, doch solange die Anlagen auf unseren Namen liefen, konnten sie nichts
machen.« Doch am Dienstag vor einer Woche wurde die Verstaatlichung bekanntgegeben. Bereits
zuvor sei Agrarminister Elías Jaua von seiner Zusage abgerückt, die Fabrik nach einer
Übergangsphase der Mitbestimmung von vier Jahren wieder den Kooperativen zu übergeben, sagt
Martínez. »Er will uns zu Lohnempfängern degradieren. Das ist überholter Staatskapitalismus. Für
uns heißt Sozialismus Selbstverwaltung.«
Kein direkter Draht zu Hugo Chávez
Weil es den Kooperativisten nicht gelungen war, direkt zu Chávez vorzudringen, hatten sie den
Konflikt bereits Anfang März in der Tageszeitung »Últimas Noticias« und im Internet öffentlich
gemacht. »Wir wollen eine breitere Debatte über den Sozialismus und sozialistische Betriebe
anstoßen«, sagt der Ökonom José Bonilla, neben Martínez der wichtigste Stratege der
Kooperativisten. »Viele Basisgruppen wehren sich gegen die übermäßige Einmischung des Staates
und der neuen bolivarianischen Bourgeoisie.« Ebenso wie die Gegenseite wollten Martínez und
Bonilla die »Kommunalen Räte« vor Ort für ihr Modell gewinnen. Hugo Chávez hat sie Anfang
dieses Jahres zum »fünften Motor der Revolution« ausgerufen, um Korruption und Bürokratie in den
Gemeindeverwaltungen zu bekämpfen. Doch wie genau das funktionieren soll, ist unklar – Kritiker
sehen darin einen weiteren Machthebel des Staatschefs. »Das ist Sozialismus von unten«, lautete
dagegen noch vor zwei Wochen Bonillas bewusst optimistische Interpretation, »der Ansatz des
Präsidenten deckt sich mit dem Konzept der Kommunen, das wir in den letzten Jahren für den
Barlovento entwickelt haben.«
Die Kakaofabrik war darin nur ein Baustein, eingebettet in »umfassende kommunale Bauernhöfe«,
mit denen Großgrundbesitz und Kakaomonokulturen überwunden werden sollen. Doch Bonilla und
Martínez, die ihr historisches Vorbild in der Pariser Kommune und bei den frühen Sowjets sehen,
wollten mehr: »Sämtliche Produktionsmittel muss das Volk direkt verwalten, ebenso die sozialen
Dienste wie Bildung und Gesundheit. Das ist unvereinbar mit der staatsfixierten Sichtweise der
Bürokraten.«
Nach der Entscheidung für die Verstaatlichung ist Fabrikdirektor Edgar Rivas erleichtert. »Die
Sprecher der Kommunalen Räte sind künftig die oberste Entscheidungsinstanz«, versichert er. Vor
Tagen habe er zusammen mit anderen Direktoren von Staatsbetrieben von Chávez
höchstpersönlich die Instruktion erhalten, einer einheitlichen Orientierung zu folgen und dabei
»nichts zu überstürzen«. Und es bleibe dabei: »Die Überschüsse der Produktion werden im
Barlovento investiert.«
Das hofft auch Kooperativenführer Juan Martínez. »Wir haben eine Schlacht verloren, aber noch
nicht den Krieg«, sagt er trotzig. Für ihn vertritt Chávez einen Sozialismus von oben, der schon im
20. Jahrhundert gescheitert ist. Die Staatsbetriebe in der Landwirtschaft seien bereits ein
Musterbeispiel für Verschwendung und Ineffizienz. Irgendwann, da ist er sicher, wird sich die
Erkenntnis durchsetzen: »In Venezuela muss die Zivilgesellschaft als Wirtschaftsakteur gestärkt
werden, nicht der übermächtige und korrupte Ölstaat.«
* Aus: Neues Deutschland, 20. April 2007
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