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Chávez: Vorerst keine neuen Sondervollmachten

Chávez dekretiert letztmalig Gesetze. Keine präsidialen Sondervollmachten bis zu den Wahlen im Oktober

Von Alexandra Cardozo *

Caracas. Kurz vor Ablauf der durch die venezolanische Legislative erteilten Sondervollmachten hat der venezolanische Präsident Hugo Chávez am vorvergangenen Samstag letztmalig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Gesetze per Präsidialdekret zu verabschieden. Bei der Bekanntgabe von vier Gesetzen betonte Chávez, zumindest bis zu den Wahlen im Oktober keine weiteren Sondervollmachten mehr anzustreben.

Mit der per Dekret verabschiedeten Direktive über Kompetenzen von Gemeindeverwaltungen soll zukünftig vor allem der Transfer von Mitteln von der nationalen auf die lokale Ebene erleichtert werden. "In diesem Gesetz werden Mechanismen der lokalen Partizipation eigeführt, die den Gemeinden die Kompetenz für den Erhalt von Infrastruktur übertragen, wie zum Beispiel dem Erhalt von Schulen", erklärte die Ministerin für Komunen und Soziale Sicherheit, Isis Ochoa. Für den effizienten Umgang mit öffentlichen Geldern soll es nach Ansicht Ochoas zukünftig eine "breite Politik der Begleitung" geben bei der planerisches und administratives Wissen an die Gemeinden übertragen werden soll.

Zur Lösung des gravierenden Wohnraumsmangels in Venezuela dekretierte Chávez zudem die Reform der staatlichen Bausparfonds. Im Zentrum dieser Neuerungen steht die Gründung einer neuen Baussparkasse (Banco Nacional de Vivienda y Hábitat). Zudem soll ein neuer Fonds aus Erölgeldern aufgelegt werden, aus der die erst vor kurzem beschlossene Ausweitung der Sozialversicherung finanziert werden soll.

Die präsidialen Sondervollmachten waren dem venezolanischen Präsidenten in Folge von verheerenden Regenunwettern im Dezember 2010 vom Parlament gewährt worden.

Von insgesamt 46 per Sondervollmacht verabschiedeten Gesetzen haben nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Tulio Álvarez nur fünf direkt etwas mit der Bewältigung der Naturkatastrophe zu tun gehabt. Tatsächlich waren die Anwendungsbereiche für die Sondervollmachten sehr weit gefasst: Unter den neun Bereichen befanden sich neben der Betreuung der Unwetteropfer auch die Bereiche Wohnraum, Infrastruktur und Transport, Finanzen und Steuern, Sicherheit, aber auch Wirtschaft, Verteidigung und internationale Beziehungen. Unter anderem nutzte der Präsident des Landes die Vollmachten für die Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzes, einer neuen Strafprozessordnung und der Einrichtung eines Staatsrates.

Der Vizepräsident Venezuelas, Elias Jaua, konstatierte in diesem Zusammenhang, dass während der durch das Parlament gewährten 18-monatigen Phase insgesamt 54 Gesetze dekretiert wurden. Dabei habe die Ausgestaltung der präsidialen Sonderrechte "die Unterstellungen und Meinungen der Rechten widerlegt, diese eröffneten die Möglichkeit einer diktatorischen Machtergreifung". Jaua betonte, die dekretierten Gesetze seien "Gesetze des Volkes, des Lebens und der produktiven Entwicklung".

Währenddessen wiederholte die Opposition ihre Kritik an den präsidialen Sondervollmachten. Tomás Guanipa, von der rechtsliberalen Partei Primero Justicia warf der Regierung erneut vor, die damalige Zweidrittelmehrheit im Parlament missbraucht zu haben. Tatsächlich waren die Sondervollmachten kurz vor der Zusammensetzung des neuen Parlaments und nach den Wahlen Ende 2010 verabschiedet worden. Für Guanipa waren die zum vierten Mal in der 13-jährigen Amtszeit Chávez vergebenen Sondervollmachten "ein absolutes Scheitern und ein Betrug am Volk".

Präsident Chávez entgegnete, er habe die Vollmachten "mit großer Verantwortung verwendet, besonders um Gesetze im sozialen und ökonomischen Bereich zu verabschieden". Er schloss zwar einen erneuten Antrag auf präsidiale Vollmachten bis zu den Präsidentschaftswahlen im Oktober aus. Gleichzeitig bedauerte er jedoch deren Auslaufen und ließ die Option für eine erneute Wiederwahl im Oktober dieses Jahres offen. Die dazu nötige Zweidrittelmehrheit hatte er jedoch bereits bei den Parlamentswahlen Ende 2010 verloren. Derzeit verfügt das Regierungslager in der Nationalversammlung nur über eine einfache Mehrheit.

* Aus der Internetplattform "Amerika21", 29. Juni 2012; http://amerika21.de


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