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Im Inneren fester - nach außen selbstbewusster

Venezuela verlässt WTO und Welbank - Gipfeltreffen der Bolivarische Alternative für Amerika (ALBA)

Auf dem lateinamerikanischen Halbkontinent überstürzen sich die Ereignisse. Nun tritt Venezuela aus der Weltbank und dem WTO aus - und die "Bolivarische Alternative für Amerika" (ALBA), dem bisher die Länder Bolivien, Kuba, Nicaragua und Venezuela angehören, geht gestärkt aus dem jüngsten Gipfeltreffen heraus. Weitere lateinamerikanische Staaten stehen bereit Mitglied zu werden.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel aus der Tagespresse.



Chávez geht voran

Von Harald Neuber, Caracas *

Die Neuigkeit hatte sich Hugo Chávez für den 1. Mai aufgehoben: Vor mehreren Tausend Arbeiterinnen und Arbeitern kündigte der venezolanische Präsident am Montag abend (Ortszeit) im Teresa-Carreño-Theater im Zentrum Caracas’ den Austritt seines Landes aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank an. Die beiden Institutionen seien »Mechanismen des Imperialismus«, begründete Chávez seine Entscheidung.

Den beiden Bretton-Woods-Institutionen warf der linke Staatschef die Ausbeutung der Länder des Südens vor. »Wir haben es nicht nötig, dort vertreten zu sein«, fügte er an, um von beiden Institutionen zurückzufordern »was sie uns schulden«. Zugleich kündigte Chávez zum »Tag der Arbeit« die Anhebung des Mindestlohn um 20 Prozent auf rund 615000 Bolívares (rund 210 Euro) an. Auch die Renten werden ab Dienstag um 20 Prozent steigen.

Der Austritt Venezuelas aus IWF und Weltbank kommt nicht überraschend. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer finanzpolitischen Emanzipation Südamerikas von den beiden Institutionen. So hatte Argentinien Ende 2005 überraschend seine Schulden beim IWF in Höhe von umgerechnet 9,8 Milliarden US-Dollar beglichen. Möglich war das, weil Venezuela zuvor argentinische Staatsanleihen in Höhe von 900 Millionen US-Dollar angekauft hatte. Fast zeitgleich hatte damals Brasilien seine Schulden beim IWF getilgt. Venezuela beglich seine Ausstände beim Währungsfonds und der Weltbank erst in den vergangenen Wochen.

Beide Organisationen gehen auf die Bretton-Woods-Konferenz zurück, bei der rund 50 Staaten im Sommer 1944 eine Abstimmung des internationalen Finanzsystems durch feste Wechselkurse beschlossen hatten. Nach dem Zusammenbruch des Systems Anfang der siebziger Jahre entwickelten sich IWF und Weltbank zunehmend zu Instrumenten der neoliberalen Politik des Nordens gegenüber dem Süden. Damals bekamen Entwicklungs- und Schwellenländern zunächst günstige Kredite von privaten Banken gewährt. Durch den Anstieg der Zinsen und den Verfall der Exportpreise gerieten sie nach 1989 in die »Schuldenfalle«. Die Kredite von IWF und Weltbank dienten seither zum Großteil nur noch der Tilgung des Schuldendienstes. Zugleich knüpften die beiden Organisationen ihre Gelder an rigide neoliberale Auflagen: Deregulierung, Privatisierung, Rückzug des Staates aus Wirtschaft und Sozialsystemen. »Es ist besser, daß wir uns nun zurückziehen, bevor sie uns weiter ausplündern«, kommentierte Chávez diese Politik am Montag.

Mit dem von Venezuela geleiteten Integrationskurs haben sich die Widersprüche zwischen den südamerikanischen Entwicklungsstaaten und den Finanzorganisationen zugespitzt. In der vergangenen Woche erst hatte Ecuadors sozialistische Regierung den Vertreter der Weltbank in ihrem Land, Eduardo Somensatto, ausgewiesen. Staatschef Rafael Correa warf der Weltbank Erpressung durch das unbegründete Zurückhalten eines bereits zugesagten Kredits vor. Ecuador gehört zu den Gründungsmitgliedern der »Bank des Südens«. Das regionale Kreditinstitut war auf Initiative von Venezuela und Argentinien im Februar ins Leben gerufen worden und soll in Lateinamerika IWF und Weltbank bis Mitte des Jahres ersetzen.

* Aus: junge Welt, 2. Mai 2007


Gestärkte Einheit

"Bolivarische Alternative für Amerika" beschließt auf Gipfeltreffen feste Struktur. Dialog mit sozialen Organisationen

Von Harald Neuber, Caracas **


Deutlich gestärkt geht die »Bolivarische Alternative für Amerika« (ALBA) aus dem Gipfeltreffen im venezolanischen Barquisimeto hervor. Nach zweitägigen Beratungen haben die Präsidenten der Mitgliedsstaaten des Regionalbündnisses – Bolivien, Kuba, Nicaragua und Venezuela – ihrer Allianz eine feste Struktur gegeben. Künftig wird die Arbeit des ALBA von einem gemeinsamen Präsidialrat geleitet. Ähnlich anderen internationalen Bündnissen werden die Außenminister die Arbeit koordinieren. Vereinbart wurde zudem die Gründung von Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themenbereichen, unter anderen Bildung, Kultur, Handel und Finanzen. Eine ständige Kommission wird den Kontakt zu sozialen Organisationen halten.

Die ALBA war Ende 2004 von Venezuela und Kuba als Gegenentwurf zum US-dominierten Freihandelsabkommen ALCA gegründet worden. 2005 ist dem Bündnis Bolivien beigetreten, im vergangenen Jahr Nicaragua. Die ecuadorianische Außenministerin María Fernanda Espinosa kündigte einen baldigen Beitritt ihres Landes zu der Union an. Überraschend nahm neben den Präsidenten von Saint Kitts und Nevis, San Vicente und Granadina, Dominica (alle Karibik) sowie Uruguay auch der haitianische Präsident René Prevál teil. Venezuelas Staatschef und Gastgeber des Treffens, Hugo Chávez, schlug eine Mitgliedschaft dieses Karibikstaates in der ALBA vor, auch wenn »interne Gründe« dies bislang verhinderten.

Prevál ist der erste demokratisch gewählte Präsident Haitis, nachdem sein Vorgänger Jean-Bertrand Aristide im Februar 2004 unter Beteiligung französischer und US-amerikanischer Truppen in einem blutigen Staatsstreich gestürzt wurde. Nach wie vor ist in Haiti eine internationale Besatzungsmacht installiert. Chávez bot Prevál in Anbetracht dieser für ihn komplizierten Situation ein Assoziierungsabkommen an. Denkbar sei die Formel »ALBA plus Haiti«, so Chávez.

Zwei Wochen nach einem südamerikanischen Energiegipfel wurde von den übrigen ALBA-Staaten der Vorschlag Venezuelas für eine energiepolitische Allianz angenommen. Ein Energiefonds soll künftig die Unterschiede zwischen den Staaten auszugleichen helfen. Venezuela zeigte sich bereit, die übrigen Länder des Bündnisses mit Erdöl zu versorgen. Die Lieferungen könnten zu bis zu 50 Prozent subventioniert werden, so Chávez. Die andere Hälfte könnte zu einem Teil an Venezuela bezahlt werden, der andere Teil würde dem ALBA zugute kommen. »Es wird Zeit, daß das Erdöl endlich zur Entwicklung unserer Völker beiträgt«, erklärte der Staatschef bei einer Pressekonferenz am Ende des Treffens.

Venezuelas Bergbauminister José Khan schlug zudem eine »strategische Allianz« zur Schaffung von Joint ventures zwischen den ALBA-Staaten vor. Bis jetzt existieren solche Mischunternehmen vor allem zwischen Venezuela und Kuba. Ein gemeinsamer staatlicher Konzern mit Sitz in Venezuela soll künftig 500 Millionen Tonnen Edelstahl produzieren. Ein weiteres Joint Venture beider Linksregierungen soll die kubanischen Nickelvorräte ausbeuten und im Jahr bis zu 68 Millionen Tonnen Eisennickel auf den Markt bringen. Bei dem Treffen in Barquisimeto wurden neue Abkommen auch mit Bolivien und Nicaragua geschlossen.

Begleitet wurde der ALBA-Gipfel von einem Treffen von über hundert sozialen Gruppen und Organisationen aus Lateinamerika. Anders als bei sonstigen internationalen Gipfeltreffen richtete sich das Treffen aber nicht gegen die Zusammenkunft der Staatschefs. Darauf legten auch die Teilnehmer des »offiziellen« Gipfels Wert. Vor der Unterzeichnung des Abschlußdokuments kamen sie am Sonntag nachmittag mit Vertretern der Basisgruppen zusammen.

** Aus: junge Welt, 2. Mai 2007


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