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Kein Massaker

Venezuela: Berichte über Mord an Yanomami waren falsch

Von Modaira Rubio, Barinas *

Die Indígena-Hilfsorganisation Survival International hat am Mittwoch eingeräumt, daß es offensichtlich kein Massaker an Yanomami im Süden Venezuelas gegeben hat. »Nachdem Survival nun selbst Aussagen von vertraulichen Quellen erhalten hat, glauben wir, daß es keine Attacke von Goldgräbern auf die Yanomami-Siedlung von Irotatheri gegeben hat«, schreibt die Vereinigung auf ihrer Homepage. Zuvor hatte sie wochenlang behauptet, illegale Goldschürfer hätten 80 Indígenas ermordet. Nun mußte sie einräumen, daß diese Berichte auf Hörensagen beruhten: »Yanomami aus dem Gebiet hatten im Juli Berichte von Tötungen gehört. Dies wurde von einigen berichtet, als ob sich dies in jener Siedlung ereignet hätte.«

In Venezuela hatte Ende August als erster Luis Shatiwe von der Organisation Horonami solche Vorwürfe erhoben. Die Opposition präsentierte sich daraufhin sofort als »Verteidigerin der indigenen Völker«, und auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (CIDH), der in Venezuela seit seiner umgehenden Anerkennung des Putschpräsidenten Pedro Carmona nach dem zeitweiligen Sturz Chávez’ im April 2002 diskreditiert ist, forderte von der Regierung eine Untersuchung des Massakers, dessen Existenz er nicht in Zweifel zog.

Die Behörden reagierten umgehend. Obwohl ihnen keine Informationen über ein solches Verbrechen vorlagen und auch niemand Anzeige erstattet hatte, wurde eine Delegation von Vertretern der Staatsanwaltschaft, Streitkräften, Kriminalpolizei und anderen zuständigen Stellen an den mutmaßlichen Tatort entsandt. Dort konnte die Kommission keine Anzeichen für ein Verbrechen an den Yanomami erkennen. Auch Shatiwe selbst, der die Untersuchung begleitet hatte, mußte am 8. September einräumen, daß es offensichtlich kein Massaker gegeben habe.

Trotzdem hält Survival International an ihrer Kritik an Caracas fest: »Die Reaktion der Regierung in Venezuela bleibt beschämend. Sie hat vor Beendigung der eigenen Untersuchung ›Belege‹ für Tötungen geleugnet. Die Unterstützer der Regierung sind sogar soweit gegangen, Kritiker als Teil einer rechtsstehenden Verschwörung zu bezeichnen.«

Tatsächlich fragen viele Beobachter, ob es tatsächlich nur ein Zufall war, daß die Vorwürfe ausgerechnet zwei Tage vor einem landesweiten Testlauf für die Präsidentschaftswahl erhoben worden waren. Dessen Durchführung war zuvor schon wegen der Explosion in der Erdölraffinerie von Amuay Ende August auf den 2. September verschoben worden.

Carolus Wimmer, der im Lateinamerikanischen Parlaments (Parlatino) der Kommission für die indigenen Völker angehört, kommentierte dies im Gespräch mit junge Welt: »Die Rechte versucht, das Bild eines institutionell geschwächten Staates zu vermitteln.« Es sei in Europa schwierig, sich eine so ausgedehnte Grenzregion wie die zwischen Venezuela und Brasilien vorzustellen, die mehr als 2500 Quadratkilometer umfasse. »Das ist ein schwieriges Gebiet, eine Urwaldregion, in der es illegalen Bergbau, Drogen- und Treibstoffschmuggel und Probleme bei den Gebietsmarkierungen gibt.« Trotzdem sei es unmöglich, daß sich hier ein Massaker solchen Ausmaßes an den Yanomami ereignen könnte, ohne daß der Staat dies bemerken würde, »vor allem wegen der großen Anstrengungen, die die Revolution unternommen hat, um unsere Grenzgebiete wieder unter Kontrolle zu bringen. Vor 13 Jahren waren das gesetzlose Territorien.« Zudem sei die Bevölkerung organisiert worden. Die Indígenas seien unter den früheren Regierungen »praktisch unsichtbar gemacht« worden, so Wimmer. »Heute sind in Venezuela die Sprachen und Kulturen der Indígenas anerkannt worden, sie haben eigene Personaldokumente, beteiligen sich aktiv am politischen Leben und über ein spezielles Ministerium an der Entwicklung der Regierungspolitik. Sie wählen ihre eigenen Vertreter in die Nationalversammlung und ins Lateinamerikanische Parlament. Ein solches Verbrechen könnte nicht geschehen, ohne daß die indigene Volksbewegung das wüßte.«

Im Mai fand im Bundesstaat Bolívar eine gemeinsame Sitzung des Parlatino mit Sprechern der indigenen Völker statt. Bei der von den Abgeordneten des Nationalen Indiorates Venezuelas (CONIVE), der Kommunistischen (PCV) und der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) organisierten Veranstaltung berichteten die Vertreter der Indígenas über Schwierigkeiten bei der Kennzeichnung des von ihnen bewohnten Territoriums, Machtmißbrauch durch einige Angehörige der Sicherheitskräfte, gewalttätige Übergriffe durch Goldschürfer sowie Verzögerungen beim Straßenbau und anderen Infrastrukturmaßnahmen. »Die größte Bedrohung für die indigenen Gemeinden jedoch, die durch den illegalen Bergbau verursachte Umweltverschmutzung, wird von den kommerziellen Medien nicht aufgegriffen. Statt dessen verbreiten sie Berichte über ein falsches Massaker, um wenige Tage vor den Wahlen das Ansehen der revolutionären Regierung zu zerstören«, kritisiert Wimmer.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. September 2012


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