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Zementkrieg beigelegt

Keine Enteignung: Venezuela übernimmt vier Werke des mexikanischen Cemex-Konzerns. "Angemessener Preis" soll bis Ende September ausgehandelt werden

Von Andreas Knobloch *

Der Streit ist beendet: Der mexikanische Zementkonzern Cemex (Cementos Mexicanos) akzeptiert die Übernahme seiner Werke in Venezuela durch den dortigen Staat. Beide Seiten erklärten sich bereit, bis zum 26. September einen angemessenen Preis für die Aktiva des Unternehmens auszuhandeln. Gleichzeitig verzichtet Cemex auf Klagen vor internationalen Gerichten. Dies ist der Kompromiß, auf den sich die Konfliktparteien am Mittwoch geeinigt haben. Dem waren turbulente Tage vorangegangen, nachdem Venezuelas Präsident Hugo Chávez am 19. August per Dekret die Enteignung des mexikanischen Zementriesen verkündet hatte.

»Beide Seiten erklären sich einverstanden, daß der venezolanische Staat die Kontrolle und den Betrieb der Werke (...) und alle Aktiva von Cemex Venezuela übernimmt«, heißt es in dem von Héctor Medina, Cemex-Vizepräsident, und Rafael Ramírez, Energieminister von Venezuela, unterzeichneten Papier. Die alte Konzernleitung wird demnach durch ein neues, kommissarisch amtierendes Management ersetzt. Wie von offizieller Seite verlautete, ging die Übernahme ohne größere Probleme vonstatten. Die vier von der Verstaatlichung betroffenen Zementwerke produzieren normal weiter. Dasselbe gilt für den Vertrieb und Transport.

Mit dem 26. September einigten sich Cemex und die Regierung in Caracas nach langen Querelen auf einen Stichtag, um eine Einigung über eine angemessene Entschädigung zu erzielen. Denn vor allem am Geld waren die bisherigen Verhandlungen gescheitert und hatten zu der Zuspitzung des Konflikts geführt. Seit der Ankündigung vom April dieses Jahres, die Zementindustrie des Landes zu verstaatlichen, hatte sich die mexikanische Konzernleitung darauf konzentriert, den bestmöglichen Preis für die Werke zu erzielen – wohl auch in dem Wissen, daß ein Kampf gegen die Verstaatlichung wenig Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Die Mexikaner hatten mehr als 1,3 Milliarden US-Dollar (ungefähr 875 Millionen Euro) für ihre Fabriken gefordert, die rund 50 Prozent der venezolanischen Zementproduktion erbringen. Caracas wies diese Forderungen jedoch als viel zu hoch zurück und bot die Hälfte, 650 Millionen US-Dollar (437 Millionen Euro), an. Finanzminister Alí Rodríguez Araque hatte ursprünglich den Wert der Bauten, Anlagen und Maschinen mit »nicht einmal« 400 Millionen US-Dollar (270 Millionen Euro) beziffert. Bei solch unterschiedlichen Sichtweisen schien eine Einigung schwierig.

Allerdings verliefen die Gespräche zunächst sehr freundschaftlich. Erst als diese am Montag vergangener Woche gescheitert waren und Caracas die Enteignung angeordnet hatte, verschärfte sich die Lage. Cemex kündigte Klagen vor internationalen Gerichten an und heizte die Auseinandersetzung damit richtig an. Auf Bitten der mexikanischen Regierung waren die Verhandlungen dann am Montag dieser Woche jedoch wieder aufgenommen worden. Mexikos Präsident Felipe Calderón hatte in einem Brief um eine Verlängerung der Verhandlungen gebeten und appelliert, doch noch zu einer gütigen Einigung zu gelangen. Dies war dann wohl auch im Interesse Venezuelas, war der Staat doch bereits wegen der Verstaatlichung von Erdölfeldern des US-Megakonzerns Exxon vor Gerichten in den USA, Großbritannien und den Neiderlanden verklagt worden.

Parallel zu der Cemex-Einigung unterzeichnete Venezuela Übernahmeabkommen im Wert von insgesamt 819 Millionen US-Dollar (564 Millionen Euro) mit den beiden anderen großen Zementherstellern des Landes, dem französischen Lafarge-Konzern und der Schweizer Holcim-Gruppe, die jeweils einen kleinen Teil ihres Anteils behalten. Letztlich übernimmt der venezolanische Staat die Kontrolle über knapp 90 Prozent der Zementproduktion des Landes. Cemex hatte immer wieder kritisiert, daß es gegenüber den beiden europäischen Konzernen ungerecht behandelt werde. Diese hätten proportional viel höhere Entschädigungen erhalten.

»Wir werden zeigen, daß der Staat erfolgreich sein kann (...), weit erfolgreicher als der private Sektor es jemals war«, verkündete Chávez diese Woche in einer Fernsehansprache mit Blick auf die drei enteigneten Konzerne. Interne und externe oppositionelle Gruppen würden versuchen, Venezuela weiterhin »von außen« zu regieren. Doch sie werden »keinen Erfolg« haben, so der Präsident weiter, ohne diese oppositionellen Gruppen näher zu benennen.

Cemex dagegen wird den Verlust seiner venezolanischen Besitzungen verschmerzen können. Der in über 50 Staaten operierende drittgrößte Zementhersteller der Welt setzt im Jahr gut 15 Milliarden US-Dollar um. Seine Werke in Venezuela machten gerade einmal drei Prozent des weltweiten Konzernumsatzes aus.

* Aus: junge Welt, 30. August 2008


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