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Zwei Millionen für Maduro

Venezuela: Regierungsnahe Gewerkschafter rufen zu Großdemonstration am 1. Mai auf. Offenbar 30 Offiziere in Putschvorbereitungen verwickelt

Von André Scheer *

Venezuelas Hauptstadt Caracas wird am 1. Mai ganz im Zeichen des Feiertags der Arbeiterklasse stehen. Die Vizechefin des regierungsnahen Gewerkschaftsbundes CBST, Eglé Sánchez, rechnet mit nicht weniger als zwei Millionen Menschen, die bei der von ihrer Organisation veranstalteten Großdemonstration in drei Marschsäulen zur zentralen Avenida Bolívar marschieren werden. »Wir werden zeigen, daß die Revolution mit einer Armee von Männern und Frauen rechnen kann«, kündigte Sánchez an. Demgegenüber wollen oppositionelle Gruppen und Gewerkschaften mit einer eigenen Demonstration eine allgemeine Lohnerhöhung um 70 Prozent fordern. Bei ihrer dazu veranstalteten Pressekonferenz kam es am vergangenen Donnerstag zu einer bizarren Allianz zwischen der rechtssozialdemokratischen, in den Putsch 2002 verwickelten CTV und dem ursprünglich als linker Alternative zu ihr gegründeten Gewerkschaftsbund UNETE. Dessen Führung hatte sich in den vergangenen Wochen gegen den Widerstand ihres linken Flügels immer mehr der rechten Opposition angenähert.

Pedro Eusse, Koordinator der marxistischen Gewerkschaftsströmung CCT, forderte eine Kurskorrektur der UNETE. Das Bündnis »mit der an der Seite des Faschismus stehenden Rechten« entspreche nicht den Beschlüssen der Nationalleitung. Eine einzelne der innerhalb der Organisation konkurrierenden Strömungen habe »die UNETE an die Seite von Gewerkschaften gestellt, die dafür eintreten, Venezuela wieder zu einer Neokolonie der Vereinigten Staaten zu machen«, kritisierte Eusse vor allem die als Nationalkoordinatorin auftretende Marcela Máspero. Er wird gemeinsam mit der CCT und der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), deren Politbüro er angehört, an der Großdemonstration zur Unterstützung des revolutionären Prozesses in Venezuela teilnehmen. Dabei wollen die Kommunisten einerseits für eine andere Finanz- und Arbeitsmarktpolitik demonstrieren, andererseits aber »harte Hand« gegen die Putschisten fordern. Die anhaltenden Proteste in dem südamerikanischen Land, die offiziellen Angaben zufolge seit Mitte Februar 41 Menschenleben gefordert haben, bewertet die PCV als versuchten Staatsstreich gegen die Regierung von Präsident Nicolás Maduro.

In diesen sind nach Informationen des Journalisten José Vicente Rangel mehr hochrangige Militärs verwickelt, als bislang bekannt gewesen ist. In seiner wöchentlichen Fernsehsendung »José Vicente Hoy«, die der Privatsender Televen jeden Sonntag ausstrahlt, berichtete er, daß gegen 30 Offiziere ermittelt werde, einige seien bereits inhaftiert. Sie hätten sich »an den Vorbereitungen auf ein zweifellos zum Scheitern verurteiltes Abenteuer« beteiligt. Daran seien auch bekannte Führer der Opposi­tion beteiligt, erklärte Rangel, der ein intimer Kenner der venezolanischen Politik ist. Er selbst war unter Maduros Vorgänger Hugo Chávez Verteidigungs-, Innen- und Außenminister sowie Vizepräsident. Nun wirft er namentlich nicht genannten Politikern vor, sich einerseits an der demokratischen Debatte zu beteiligen, andererseits aber Offiziere zum Aufstand gegen die verfassungsmäßige Ordnung anzustacheln. Zuletzt hatte Maduro Ende März über die Festnahme von drei Luftwaffengenerälen berichtet, die in Umsturzpläne verwickelt sein sollen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 30. April 2014


»Klassenbewußtsein ist Voraussetzung für Erfolg«

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro verteidigt das Erbe von Hugo Chávez. Gespräch mit Ignacio Ramonet **

Der Journalist und Buchautor (»Fidel Castro. Mein Leben«) Ignacio Ramonet präsentierte am 23. April in Havanna die kubanische Ausgabe seiner Biografie »Hugo Chávez: Mein erstes Leben«. Sie erscheint am 28. Juli, dem 60. Geburtstag des verstorbenen venezolanischen Präsidenten.

Sie haben für Ihr aktuelles Buch »Hugo Chávez: Mein erstes Leben« in den drei Jahren vor seinem Tod mehr als 200 Stunden lang mit Hugo Chávez gesprochen. Was bleibt von ihm?

Hugo Chávez war als Kind sehr arm, seine Großmutter verkaufte in den Straßen Obst. So repräsentiert er Millionen Kinder in vielen Ländern der Welt, die in solchen Verhältnissen leben. Zugleich steht er für die Möglichkeit, sich aus dieser Lage zu befreien. Weiter steht er für eine gewandelte Funktion der Armee in Venezuela. Sie ist nicht mehr dazu da, das Volk zu unterdrücken, sondern es zu verteidigen. Diese Konzeption gab es zuvor nur in Kuba, doch für das übrige Lateinamerika ist sie neu. Das hat Einfluß auf Tausende junger Kadetten in aller Welt. Der dritte Punkt ist die Überwindung der Politikverdrossenheit. In Venezuela, wie den meisten anderen Ländern der Welt, sind Parteien korrumpierte Karrieristenvereine. Unter Chávez wurde damit begonnen, die Bevölkerung an der Politik zu beteiligen und sie zu mobilisieren. Die vierte Lektion ist für uns in Europa vielleicht die wichtigste. Bei uns beschränkt sich die Legitimation der politischen Akteure auf den Wahlvorgang. Unter Chávez ist in Venezuela eine gesellschaftliche Legitimation hinzugekommen. Das macht die dortige Bewegung – trotz konterrevolutionärer Gewalt und Subversion – so stark.

Halten Sie das Wirken von Chávez unabhängig von Ideologien für beispielhaft?

Ja, gewiß, denn seine Biografie ist – zunächst einmal unabhängig von jeder Ideologie – ein Beispiel für ein Leben, ein Denken und Handeln, das Ausdruck einer zutiefst humanistischen Einstellung war. Chávez hat sich auch als mächtiger Staatsmann und Vorbild des gesamten Kontinents immer als ein bescheidener Mensch aus dem Volk, als ständig Lernender, vor allem aber als Revolutionär gefühlt und gegeben. Diese Facette seiner Persönlichkeit hat ihm das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung beschert und kann vielleicht auch die Sichtweise einiger seiner Kritiker verändern.

Wann waren Sie zuletzt in Venezuela und was sind Ihre Eindrücke?

Ich war vor drei Wochen im Land und bin mit der dortigen Entwicklung sehr gut vertraut. Natürlich war und ist der Tod von Hugo Chávez für das Land und den gesamten fortschrittlichen Prozeß in Lateinamerika ein schwerer Schlag. Aber es gibt in Venezuela und auf dem Kontinent mittlerweile eine große Zahl von Persönlichkeiten, die für eine Fortsetzung stehen. Dazu gehören Raúl Castro, Rafael Correa, Evo Morales und Daniel Ortega ebenso wie José Mujica, Dilma Rousseff, Christina Fernández, um nur einige der Präsidenten zu nennen. Das Besondere an Chávez war – neben seinem Charisma – sicherlich sein Optimismus und sein klares Klassenbewußtsein. Er fehlt uns, aber der Prozeß geht weiter. Nicolás Maduro war bereits zu Chávez Lebzeiten ein Motor dieses Prozesses, und er steht fest in dessen Linie.

Bürgerliche Medien verbreiten ein anderes Bild. Wird Maduro als Nachfolger wirklich akzeptiert oder sind die Schuhe von Hugo Chávez für ihn zu groß?

Wenn eine der Voraussetzungen für die klare Position und den Erfolg von Chávez dessen Klassenbewußtsein war, dann gilt das auch für Maduro. Er kommt aus der Arbeiterklasse, ist Gewerkschafter, studierter Marxist und hat sich in dem Jahr nach seiner Wahl zu einem Staatsmann entwickelt, der in Venezuela und Lateinamerika zu Recht hohe Achtung und Anerkennung erfährt. Außerhalb des Kontinents wird er dagegen angefeindet und dämonisiert. Das spricht doch eher dafür, daß er seine Sache gut macht. Wenn der Prozeß in Venezuela wirklich auf der Kippe stünde, bräuchten die USA und die Opposition ja nur abzuwarten, bis das System zusammenbricht. Die von den USA und der alten Oligarchie inszenierten Lügenkampagnen und die Gewaltorgien von Teilen der Opposition zeigen vielmehr, daß sie selbst nicht daran glauben, die legitime Regierung und den revolutionären Prozeß mit anderen Methoden beseitigen zu können.

Was halten Sie von »Linken« in Westeuropa, die eine »kritische Distanz« zu Venezuela fordern?

Sie sind Opfer von Desinformationskampagnen. Sie begreifen nicht, was dort wirklich vorgeht, lassen sich beeinflussen und sind nicht in der Lage, die Situation korrekt zu analysieren. Wir dürfen nie außer acht lassen, daß Venezuela ein Land ist, das über eine der größten Ölreserven in der Welt verfügt. Die wird der Imperialismus niemals freiwillig aufgeben. Darum geht es in erster Linie. In Venezuela hat es immer unterschiedliche Positionen und auch Proteste gegeben, denn das Land ist eine Demokratie. Präsident Maduro wurde vom Volk gewählt. Wer das Ergebnis einer von der ganzen Welt anerkannten demokratischen Wahl mit Gewalt ausschalten will, ist weder Demokrat noch friedlicher Demonstrant, sondern ein gewöhnlicher krimineller Putschist.

Interview: Volker Hermsdorf, Havanna

** Aus: junge Welt, Mittwoch 30. April 2014


Mitstreiter von ­Hugo Chávez: Eliécer Otaiza ermordet ***

In Baruta, einem Mittelschichtsviertel der venezolanischen Hauptstadt Caracas, ist ein langjähriger Mitstreiter des im vergangenen Jahr verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, Eliécer Otaiza, tot aufgefunden worden. Innenminister Miguel Rodríguez Torres informierte am Montag (Ortszeit) im staatlichen Fernsehen VTV, der Stadtratsvorsitzende des ­Bezirks Libertador in Caracas sei mit vier Schüssen ermordet worden. Die Hintergründe des Verbrechens sind noch völlig unklar. Die Polizei geht bislang von einem Raubüberfall aus, aber auch politische Motive werden nicht ausgeschlossen.

»Lebend gesehen wurde er zuletzt am Freitag in Turgua im Bundesstaat Miranda während eines Treffens mit Freunden. Seit dieser Begegnung wußte niemand mehr etwas von ihm«, erläuterte der Minister. Beamte der Lokalpolizei von Baruta hätten auch das Fahrzeug Otaizas entdeckt, das ebenfalls ein Einschußloch aufwies.

Der Offizier Eliécer Otaiza gehörte im Vorfeld des von Hugo Chávez am 4. Februar 1992 geführten Aufstands gegen die damalige venezolanische Regierung zu dessen illegaler Revolutionären Bolivarischen Bewegung (MBR-200). Nach dem Regierungsantritt von Chávez 1999 übernahm Otaiza die Leitung des inzwischen aufgelösten Geheimdienstes DISIP und später des Nationalinstituts für Grund und Boden (INTI).

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro würdigte den Ermordeten als »Soldaten des Heimatlandes« und ordnete umfassende Ermittlungen an. Parlamentspräsident Diosdado Cabello, der Otaiza seit 1983 kannte, erinnerte an ihn als einen »prinzipientreuen, im Kampf unerschütterlichen Genossen«.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch 30. April 2014


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