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Das zarte Pflänzchen des Dialogs

Erstes Treffen zwischen Regierung und Opposition in Venezuela zeigte Wunsch nach friedlicher Koexistenz

Von Tobias Lambert *

In Venezuela begann der erste öffentliche Dialog zwischen Regierung und Opposition seit dem Wahlsieg von Hugo Chávez 1998. Bei dem Treffen wurden zunächst die grundlegenden Ansichten ausgetauscht.

Erst um zwei Uhr nachts erklärte Präsident Nicolás Maduro das Treffen für beendet. »Wir erkennen an, dass wir politische Strömungen mit sehr unterschiedlichen Ideologien und Projekten repräsentieren«, resümierte der venezolanische Präsident. »Aber wir sind dazu verpflichtet, den Weg zur Koexistenz einzuschlagen.« Fast sechs Stunden lang hatten sich am Donnerstagabend Regierung und Teile der Opposition im Präsidentenpalast Miraflores getroffen, um einen für Venezuela historischen Dialog zu beginnen. Sämtliche Fernseh- und Radiosender übertrugen das Treffen live.

Für das oppositionelle Wahlbündnis »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) nahmen elf Repräsentanten teil, darunter auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Gouverneur des nördlichen Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles Radonski. Die Regierung schickte acht Personen. Als unabhängige Vermittler fungierten die Außenminister Brasiliens, Ecuadors und Kolumbiens sowie ein Vertreter des Vatikans. Zustande gekommen war der Dialog unter Vermittlung des südamerikanischen Staatenbundes UNASUR.

Jeder Teilnehmer bekam etwa zehn Minuten Redezeit, Präsident Maduro mit Einstiegs- und Schlussstatements jedoch deutlich mehr. Die Oppositionspolitiker wandten sich in ihren Beiträgen unter anderem gegen Gewalt, forderten eine Amnestie für »politische Gefangene«, die Entwaffnung regierungsnaher Gruppen und eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik. Die Regierungsvertreter erkannten an, dass es reale Probleme im Land gibt, machten jedoch ihre politischen Gegner für die gewaltsame Eskalation der Lage verantwortlich. Oppositionsführer Capriles wandte sich direkt an den Präsidenten: »Nicolás, wie kannst du Respekt einfordern, wenn du selbst die Hälfte des Landes nicht respektierst?« Mit seiner knappen Niederlage bei der Präsidentschaftswahl im April 2013 habe sich Venezuela verändert, so Capriles weiter.

Der Dialog offenbarte nicht nur einmal mehr die tiefen ideologischen Gräben zwischen Regierung und Opposition, sondern auch die Spaltung innerhalb des MUD. Dessen rechter Flügel unter dem inhaftierten Leopoldo López und der ehemaligen Parlamentsabgeordneten Corina Machado blieb dem Treffen mit der Begründung fern, nicht »mit der Diktatur« verhandeln zu wollen. Die radikalen Regierungsgegner fordern nach wie vor den sofortigen Rücktritt Maduros. Auch die rechte Studierendenbewegung nahm nicht an dem Treffen teil, sondern mobilisierte auf der Straße.

In den vergangenen zwei Monaten hatte Präsident Maduro immer wieder zum Dialog aufgerufen, um die gewaltsamen Proteste zu beenden, bei denen seit Anfang Februar mindestens 41 Menschen beider politischer Lager ums Leben kamen. An von der Regierung initiierten Friedenskonferenzen beteiligten sich seit Ende Februar zwar zahlreiche regierungskritische Organisationen und Unternehmen. Das Oppositionsbündnis MUD bezeichnete die landesweiten Treffen jedoch als »Show« und untersagte Politikern aus ihren Reihen die Teilnahme.

Die Regierung bemühte sich vorab, den Dialog mit der Opposition scharf von der paktierten Demokratie vor 1999 abzugrenzen, als die beiden großen Parteien AD und COPEI stets Posten und Macht miteinander ausgehandelt hatten. »Es gibt hier nichts zu verhandeln«, stellte Maduro klar. »Was es gibt, ist eine Debatte, aber jeder auf seinem Platz, um ein Modell des Zusammenlebens und der Toleranz aufzubauen.« Ein vorsichtiger Anfang ist gemacht. Am kommenden Dienstag soll es weitergehen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 12. April 2014


Vor laufenden Kameras

Venezuela: Regierung und Opposition erstmals an einem Tisch. UNASUR und Vatikan vermitteln. Störmanöver von ganz rechts

Von André Scheer **


Als Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am Donnerstag abend um 20 Uhr Ortszeit dem apostolischen Nuntius Aldo Giordano das Wort erteilte, um einen Brief des Papstes zu verlesen, zeichnete sich schon ab, daß die Sitzung bis in die Morgenstunden dauern würde. Im Regierungspalast Miraflores hatten sich zwei Dutzend führende Politiker des Regierungslagers und der Opposition zusammengefunden, um von Angesicht zu Angesicht ihre gegensätzlichen Positionen zu diskutieren. Der Auftakt zu dem von der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) vermittelten Dialog wurde von allen Rundfunk- und Fernsehsendern des Landes übertragen.

Zwar hatte es in den vergangenen Wochen mehrfach Gesprächsangebote der Regierung gegeben, und einige Abgeordnete der Opposition waren den Einladungen von Präsident Maduro auch gefolgt. Nun jedoch hatten sich zum ersten Mal die meisten Hauptfiguren des rechten Lagers zum Gespräch bereit gefunden, nachdem das Kabinett die Bedingungen der Regierungsgegner für die Teilnahme erfüllt hatte: die Begleitung des Dialogs durch unparteiische Dritte – UNASUR und Vatikan – sowie die komplette Direktübertragung der Veranstaltung in Radio und TV. Der radikale Flügel der Opposition verweigerte die Gespräche trotzdem. »Beim Versuch, Maduro und die Diktatur reinzuwaschen, könnt ihr mit mir nicht rechnen«, erklärte der Oberbürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma.

In dem mit Bildern des Nationalhelden Simón Bolívar geschmückten Versammlungssaal war zu spüren, daß sich Oppositionsvertreter wie der Generalsekretär der rechtssozialdemokratischen »Demokratischen Aktion« (AD), Henry Ramos Allup, durch ihre radikalen Bündnispartner unter Druck gesetzt fühlten. Er räumte ein, daß die Teilnahme an den Gesprächen für die Opposition »einen politischen Preis« habe. Zugleich kritisierte er, daß die Regierung die Verfassung verletze, weil in dieser nicht von Sozialismus und Revolution die Rede sei. Auch die Charakterisierung der Streitkräfte als antiimperialistisch und chavistisch durch führende Offiziere widerspreche der Magna Charta und sorge für Unzufriedenheit in den Kasernen. »Putsche werden nicht von Zivilisten, sondern von Militärs durchgeführt«, warnte Allup und erinnerte daran, daß auch der Staatsstreich 2002 gegen Hugo Chávez von dessen Oberkommando durchgeführt worden sei. Damals allerdings hatten die Putschisten umgehend den Chef des Unternehmerverbandes Fedecámaras, Pedro Carmona, zum »Präsidenten« gekürt, und Dutzende »Repräsentanten der Zivilgesellschaft« hatten dessen Selbstermächtigung unterzeichnet. Allup gehörte nicht zu diesen, im Gegensatz zu auch heute noch aktiven Politikern wie María Corina Machado und Leopoldo López, der wegen seiner Verwicklungen in die Ausschreitungen der vergangenen Wochen in Untersuchungshaft sitzt.

Zum Auftakt der Gesprächsrunde hatte Präsident Maduro dazu aufgerufen, ein Modell des friedlichen Zusammenlebens zu entwickeln. Dazu gehöre unter anderem, Gewalt in den politischen Auseinandersetzungen zu verurteilen und die venezolanische Verfassung anzuerkennen. Zugleich unterstrich er, daß das Ziel des Dialogs nicht sei, einen »Pakt« zu erreichen oder Verhandlungen zu führen. Vielmehr gehe es darum, die Meinungsunterschiede anzuerkennen und zu tolerieren. Dazu diente auch ein Treffen zwischen Maduro und oppositionellen Gouverneuren am Freitag im Präsidentenpalast.

Am selben Tag verbreitete die venezolanische Regierung auch eine aktuelle Bilanz der Staatsanwaltschaft über die Folgen der wochenlangen Gewalt. Demnach wurden seit dem Beginn der Unruhen Mitte Februar 39 Menschen getötet und 579 verletzt. Die Statistik berücksichtigt allerdings noch nicht den Polizisten José Cirilo Darma García, der am Donnerstag den schweren Schußverletzungen erlegen war, die er einige Tage zuvor in Barquisimeto beim Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen eine gewalttätige Gruppe erlitten hatte. Wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat, ist bislang unklar.

** Aus: junge Welt, Samstag, 12. April 2014


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