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UNASUR setzt Vermittler durch

Südamerikanische Staaten drängen Venezuelas Streithähne an den Verhandlungstisch

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Die Delegation von Außenministern der Union südamerikanischer Nationen (UNASUR), die derzeit in Venezuela vermittelt, hat in einem Kommuniqué zur Beendigung aller Gewalt aufgerufen.

»Wer den Frieden will, der wird miteinander reden, auch wenn es in der Hölle ist, und stellt nicht die Bedingungen.« Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat sich zur Zulassung eines Vermittlers beim Dialog mit der Opposition durchgerungen. Maduro folgt damit dem Vorschlag der UNASUR-Außenministergruppe, die sich zwei Tage lang in Caracas mit Vertretern aller Konfliktparteien getroffen hatte. Die Union Südamerikanischer Staaten hatte angesichts der andauernden Proteste Mitte März die Entsendung einer Vermittlungskommission beschlossen, die aus sieben Außenministern der zwölf Mitgliedsstaaten besteht.

»Die Kommission erkennt die Öffnung und Bereitschaft des Präsidenten der Republik an, die gemachten Empfehlungen und besonders den gezeigten Willen, einen Zeugen des guten Glaubens zuzulassen, der den Dialog zwischen allen Seiten erleichtern soll«, heißt es in der Abschlusserklärung.

Wie hoch dabei die Wellen hinter den Kulissen geschlagen sind, lässt sich nur erahnen. Die für Donnerstag um die Mittagszeit angekündigte Veröffentlichung der Abschlusserklärung verzögerte sich bis zum frühen Abend. Dass deshalb Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos öffentlich vorpreschte und von Bogotá aus die Einsetzung einer Vermittlergruppe zwischen Regierung und Opposition – bestehend aus den Außenministern von Brasilien, Ecuador und Kolumbien – verkündete, ist bestimmt kein Zufall.

Präsident Nicolás Maduro hatte der Opposition zwar immer wieder den Dialog angeboten, ging aber gleichzeitig verbal und mit Strafandrohungen heftig gegen sie vor. Einen Vermittler, egal woher, lehnte er entschieden ab. Das »Bei-Hugo-Chávez-hätte-es-das-nicht-gegeben« lag wie Mehltau über allem. Jetzt ist der Chávez-Nachfolger anscheinend über seinen Schatten gesprungen. Widerwillig grummelte er auch danach von Zeitverschwendung, denn die Opposition wolle den Dialog doch gar nicht, nannte aber den vatikanischen Vertreter in Caracas als möglichen »Zeugen des guten Glaubens«. Wer diese Vermittlerrolle tatsächlich einnehmen soll, lässt die Abschlusserklärung offen. Dort heißt es lediglich, dass die Kommission in den nächsten Tagen als »eine Gruppe von Außenministern« weiter fortbestehen wird. Ob diese, wie Santos sagte, tatsächlich aus den Außenministern von Brasilien, Ecuador und Kolumbien bestehen soll, ist offen, aber sehr wahrscheinlich. Das direkte Nachbarland Kolumbien ist durch den angrenzenden venezolanischen Bundesstaat Táchira besonders betroffen, Brasilien als Regionalmacht unverzichtbar und Ecuadors Regierung eine ausgewiesene Unterstützerin der bolivarianischen Revolution.

Völlig offen ist dagegen, wer von der politischen Opposition am Dialog teilnehmen soll. Präsident Maduro lehnt auch weiterhin eine öffentliche und von Rundfunk und Fernsehen live übertragene Dialogrunde ab. Eine Forderung, die der etwas gemäßigtere Oppositionsführer Henrique Capriles weiter aufrecht erhält.

Bei den seit Anfang Februar anhaltenden Protesten gegen die Regierung, ausgelöst unter anderem durch Versorgungsengpässe, die Inflationsrate von über 50 Prozent und die hohe Kriminalität, sind inzwischen 36 Menschen ums Leben gekommen, teilte Generalstaatsanwältin Luisa Ortega mit. Vor wenigen Tagen hatte Ortega erstmals auch Übergriffe durch Polizei, Nationalgarde und Geheimdienst eingeräumt. Inzwischen sollen in 60 Ermittlungsverfahren illegale und unverhältnismäßige Gewaltanwendungen von Einsatzkräften untersucht werden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 29. März 2014


Bewaffneter Aufstand

Venezuela: Wachsende Unterstützung für Präsident Maduro. Doch radikale Teile der Opposition wollen Bürgerkrieg provozieren

Von Modaira Rubio, Caracas **


In Venezuela hat die Zahl der Unruheherde spürbar abgenommen. Doch die Punkte, an denen es in verschiedenen Städten des Landes noch zu Auseinandersetzungen kommt, können auch für Unbeteiligte zu Todesfallen werden. Bei diesen »Guarimbas«, wie die mit brennenden Barrikaden errichteten Straßenblockaden genannt werden, handelt es sich nicht mehr um Aktionen von Anwohnern, die auf diese Weise einen Rücktritt von Präsident Nicolás Maduro zu fordern. Auch die Studenten der Mittelschicht, die »Freiheit und Gerechtigkeit« im Sinne des American Way of Life fordern, dominieren diese Aktionen nicht mehr. Statt dessen handelt es sich inzwischen um einen »unkonventionellen Krieg« der USA gegen Venezuela. Diese Ansicht ist jedenfalls Vladimir Padrino López vom Oberkommando der venezolanischen Streitkräfte. »Wir erleben den Übergang zu einem bewaffneten Aufstand«, erklärte er am vergangenen Dienstag im staatlichen Fernsehen VTV. Der General wies zudem Kritik am Vorgehen der Sicherheitskräfte zurück. Hätten die Soldaten nicht »humanistisch und bewußt« agiert, würde die Zahl der seit Mitte Februar durch die Gewalt getöteten Menschen nicht bei 35 liegen – diese Zahl nannte Maduro in dieser Woche – sondern eher bei 300 oder 400, erklärte López.

Am Mittwoch meldete sich auch das Oberkommando der Nationalen Bolivarischen Streitkräfte (FANB) mit einer offiziellen Erklärung zu Wort. Die Truppen hätten seit Beginn des »weichen Putsches« im Februar das Volk und die Souveränität des Landes beschützt sowie den verfassungsgemäß gewählten Präsidenten Venezuelas unterstützt. Damit reagierten die Chefs von Heer, Marine, Luftwaffe, Nationalgarde und Miliz auf die am Vorabend von Maduro bekanntgegebene Verhaftung dreier Generäle, die einen Staatsstreich vorbereitet haben sollen. Aufgedeckt wurde die Verschwörung offenbar aus den Kreisen des Militärs selbst, wie der Staatschef in seiner wöchentlichen Radiosendung »En contacto con Maduro« unterstrich.

Die Opposition zeigt sich derweil weiter zerstritten, ob sie an dem von der Regierung einberufenen Dialog für eine politische Lösung der Probleme teilnehmen soll. Während die radikale Strömung weiter auf Straßenaktionen setzt, fürchten gemäßigte Regierungsgegner, für die Gewalt verantwortlich gemacht zu werden. Einer in dieser Woche veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Hinterlaces zufolge lehnen 87 Prozent der Befragten die »Guarimbas« ab. Hatten im Februar noch 23 Prozent erklärt, daß Maduro zurücktreten solle, sind dies inzwischen nur noch elf Prozent. Demgegenüber ziehen 57 Prozent eine positive Bilanz seiner bisherigen Regierungstätigkeit. »Wenn sie den Präsidenten arbeiten lassen würden, hätte er schon viele dieser Dinge geregelt, denn er hat die Mittel und den Willen dazu«, kommentierte in Petare, einem der größten Armenviertel der Hauptstadt Caracas, eine Frau im Gespräch mit junge Welt. »Diese Guarimbas und die Sabotage sind der Grund dafür, daß sich die Lösung immer weiter verzögert.«

Tatsächlich hat sich die Versorgungslage zuletzt entspannt. Maismehl und Toilettenpapier, deren Fehlen zu Beginn als Grund für die Proteste angegeben worden war, sind inzwischen in den Supermärkte problemlos zu erhalten. Die venezolanische Währung ist auf dem Schwarzmarkt wieder deutlich mehr Wert als noch vor wenigen Wochen, die Inflation geht zurück. Zudem konnte die Regierung mit zahlreichen klein- und mittelständischen Unternehmen Abkommen unterzeichnen, um die Belieferung des Einzelhandels mit Importprodukten zu verbessern.

Auch die Außenminister der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR), die mehrere Tage lang Gespräche mit den verschiedenen Seiten geführt haben, zeigten sich in einem am Donnerstag in Caracas veröffentlichten Kommuniqué optimistisch. Alle Beteiligten hätten sich gesprächsbereit gezeigt und sich für eine Mäßigung der Tonlage in der öffentlichen Debatte ausgesprochen. So könne ein Klima entstehen, das Gespräche zwischen der Regierung und den verschiedenen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Akteuren des Landes befördere, erklärte die Delegation.

** Aus: junge Welt, Samstag, 29. März 2014


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