Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hilfe zur Selbsthilfe für Agent-Orange-Opfer

Der Ansatz "inklusiver Entwicklung" soll behinderten Menschen aus der Armut helfen

Von Ilona Schleicher *

Mit der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung wurde 2008 eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage auf Chancengleichheit für die Menschen mit Behinderung geschaffen. Mit dem Ansatz »inklusiver Entwicklung« wird dem Rechnung getragen. »Wir haben gespürt, dass sich das Leben der Nachbarn in den letzten Jahren verbesserte. Aber für meine Familie änderte sich nichts«, erzählt Bauer Duong Dinh Lien. Vor Jahren explodierte bei der Arbeit auf der Kautschukplantage ein Blindgänger und riss ihm den rechten Arm ab. Seither lebt seine Familie in bitterer Armut. »Wir hatten uns schon damit abgefunden, dass wir nie eine Bleibe haben würden, die uns vor Wind und Wetter schützt«, so Bauer Lien.

Theoretisch sind sich alle einig: Nur durch die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung und deren gleichberechtigten Teilhabe an Entwicklung kann Armutsüberwindung gelingen. Den Ansatz »inklusiver Entwicklung«, der sich mit der Annahme der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in der Entwicklungszusammenarbeit mehr und mehr durchsetzt, praktiziert der Solidaritätsdienst-international e.V. (SODI) in Vietnam nicht nur mit seinem Gemeinde basierten Rehabilitationsprogramm für Behinderte in der Provinz Nghe An. Auch in einem bereits seit 1998 laufenden Programm, das humanitäre Minen- und Blindgängerräumung in den Provinzen Quang Tri und Thua Thien Hue mit Wiederaufbau und Entwicklung verbindet, kommt dieses Prinzip zum Tragen.

Im Rahmen dieses integrierten Programms wurden bisher drei im Krieg zerstörte Dörfer komplett wiederaufgebaut. Es entstanden Schulen und Kindergärten sowie ein Gemeinde übergreifendes Gesundheitszentrum. Kleinkreditprogramme und andere Maßnahmen zur Einkommensförderung unterstützten die Menschen, sich auf sicherem, von explosiven Hinterlassenschaften des Krieges befreitem Boden tragfähige Lebensgrundlagen zu schaffen. Fast jede Familie, die diese Chance nutzte, hat Verwandte, die Opfer von Unfällen mit Minen, Bomben, Streumunition oder auch des Entlaubungsgiftes Agent Orange wurden. Insgesamt 34 000 Menschen, 6,2 Prozent der Bevölkerung von Quang Tri, leben mit Behinderungen. Sie gehören zu den über 81 000 Menschen, die in der Provinz in Armut leben.

Es steht außer Zweifel, dass nicht wenigen von ihnen direkt oder indirekt die den Räumaktivitäten nachfolgenden Entwicklungsprojekte zu Gute kamen. Von der Stärkung der Strukturen im Vorschulund Grundschulbereich profitieren nachweislich auch Familien mit behinderten Kindern, auch wenn hier Barrierefreiheit bei mehrstöckigen Gebäuden noch Zukunftsmusik ist. »Aber«, so bekräftigte die Direktorin der im 2008 fertiggestellten neuen Grundschule in Cam Thuy, »wir geben uns große Mühe, dass trotz baulicher Hindernisse auch Schüler mit Behinderung das moderne Computerkabinett erreichen. Besonders freuen wir uns über die ausgeprägte Hilfsbereitschaft der Kinder untereinander.«

Besondere Hilfe zur Selbsthilfe erfahren 320 Familien mit zumeist schwerbehinderten Opfern von Agent Orange sowie von Minen und Blindgängern durch ein Projekt, das den Bau solider, wetterfester Häuser und ein Kleinkreditprogramm vorsieht. Gemeinsam mit den Betroffenen, darunter Bauer Lien, hatte die vietnamesische Vaterlandsfront von Quang Tri die Verbesserung der Wohnverhältnisse als oberste Priorität für den Weg aus der Armut ausgemacht. Die Anschaffung von Kühen oder Schweinen mit Hilfe eines Kleinkredits stärken die wirtschaftlichen Grundlagen dieser Familien. Sie werden Zinsen und nach drei Jahren auch den Kleinkredit in einen revolvierenden Fond einzahlen, der danach weiteren Familien zur Verfügung stehen wird. Damit dieser Plan aufgeht, haben sich die Projektteilnehmer, unter ihnen der Fischer Le Huu Pho, in Trainingskursen Wissen über Sparmethoden und Haushaltsführung angeeignet. Le Huu Pho war als Soldat mit Agent Orange in Berührung gekommen, hat drei behinderte Kinder und ist selbst sehr krank. Seine Frau schuftet auf einer weit entfernten Kaffeeplantage für den Lebensunterhalt der Familie. Le Huu Pho meint: »Bis zu diesem Projekt hatte ich keine Hoffnung, dass sich in unserem Leben noch einmal etwas ändern würde. Nun habe ich das Gefühl, als ob mir neue Kräfte zuwachsen.«

SODI-Spendenkonto: 10 20 100, Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 100 205 00, Kennwort: »17. Breitengrad«

* Aus: Neues Deutschland, 4. August 2009


Zurück zur Vietnam-Seite

Zur Chemiewaffen-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage