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Mit Feingefühl und Selbstvertrauen zum Erfolg

Nguyen Thi Ha über berufliche Ausbildung und Existenzgründerinnen in Vietnam *


Der Solidaritätsdienst-international e.V. (SODI) und die Vietnamesische Frauenunion (FU) in der Provinz Nghe An sind langjährige Partner. Derzeit realisieren sie ein vom deutschen Entwicklungsministerium BMZ gefördertes Projekt, das berufliche Ausbildung und ein Kleinkreditprogramm für Existenzgründerinnen mit der Aufklärung über Frauenrechte kombiniert. Mit Nguyen Thi Ha, Leiterin des Trainingszentrums der FU in Vinh, sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Ilona Schleicher.

ND: Die Vietnamesische Frauenunion (FU) bereitet sich auf den Endspurt für ein Projekt vor, das berufliche Ausbildung und ein Kleinkreditprogramm für Existenzgründerinnen mit der Aufklärung über Frauenrechte kombiniert. Wie beurteilen Sie die bisherigen Ergebnisse?

Nguyen Thi Ha: Wir freuen uns über das bisher Erreichte. Mit beruflichen Trainingskursen hatten ja wir bereits Erfahrungen, auch mit Kleinkreditprogrammen für Nutztierhaltung. Die Unterstützung für Existenzgründerinnen jedoch war für uns neu. Vor allem aber stellte uns die Verbindung von praktischer Frauenförderung mit der Aufklärung der Beteiligten über ihre Rechte vor neue Herausforderungen. Inzwischen haben 240 Frauen Kurse in Kosmetik und Friseurhandwerk, in Kochen und Gastronomie sowie Computerschulungen erfolgreich abgeschlossen. 120 Existenzgründerinnen haben Kleinkredite erhalten.

Wie werden die Kreditnehmerinnen ausgewählt?

Die Tragfähigkeit ihrer Geschäftsideen wird zuvor in Kreditgruppen gründlich diskutiert. Danach haben die Frauen die Starthilfe mit Herzklopfen und Selbstvertrauen für kleine Restaurants und Friseursalons, für Schneiderwerkstätten, Copy-Shops und Kleinhandel, ja sogar für Tischlereien gewinnbringend eingesetzt. Sie arbeiten hart für den Erfolg. Die Vermittlung von Know-how für Existenzgründerinnen, Kreditschulungen und die Beratung durch die FU hilft ihnen, die niedrig verzinsten Kredite in einen revolvierenden Fonds zurückzuzahlen. Dieser Fonds steht dann weiteren Kreditnehmerinnen zur Verfügung. Aber auch bei der Propagierung von Frauenrechten haben wir Fortschritte erzielt, obwohl wir erst einmal die nötigen Voraussetzungen in der Frauenunion selbst schaffen mussten.

Wie hat sich die Union auf die Aufklärung und Beratung von Frauen durch Frauen vorbereitet?

Zunächst haben wir in einem mehrstufigen Trainingsprogramm Mitarbeiterinnen in den Gemeinden und ehrenamtlich tätige Frauen als Multiplikatorinnen geschult. Die geben ihr Wissen an andere Frauen weiter. Sie organisieren thematische Gruppengespräche in den Gemeinden und treten in Frauenclubs auf.

Läuft die Weitervermittlung reibungslos?

Das ist durchaus nicht leicht für die Multiplikatorinnen, denn bis vor Kurzem noch waren ihnen Gesetzestexte zum Arbeitsrecht sowie zu Gleichstellungsfragen und viele damit verbundene Begriffe völlig neu. Besonders Multiplikatorinnen aus Bergdörfern ethnischer Minderheiten wollen deshalb ihr frisch erworbenes Wissen erweitern und vertiefen. Zugleich haben diese Frauen eine große Stärke: Sie leben selbst in den Gemeinschaften, in denen sie Frauen beraten, und kennen das Leben und die Gewohnheiten dort sehr gut. Sie verstehen die Probleme und Bedürfnisse der Frauen, die nach neuen Entwicklungschancen suchen. Ich habe große Achtung vor unseren Aktivistinnen, die ihre Arbeit mit Feingefühl, Geduld und Aufgeschlossenheit machen. So ist es kein Wunder, dass bei den Begegnungen mitunter auch persönliche Probleme zur Sprache kommen.

Und noch etwas ist wichtig: Durch ihre Arbeit in der Gemeinschaft gewinnen die Multiplikatorinnen Selbstvertrauen. Einige haben sich für Leitungsfunktionen in der FU, andere für kommunale Vertretungen zur Wahl gestellt.

223 der 240 ausgebildeten Frauen haben bereits eine Arbeitsstelle gefunden oder sich selbstständig gemacht. Wie hat die FU sie dabei unterstützt?

Die FU und ihr Trainingszentrum in Vinh verstehen sich als Brücke zur Arbeitswelt. Wir kooperieren mit der Arbeitsverwaltung, um auf dem Laufenden zu bleiben. Wir holen uns auch Informationen direkt von Unternehmen über deren Bedarf an ausgebildeten Arbeitskräften. Die Verbindung zu Unternehmen hilft uns auch, die Inhalte der Ausbildung weiterzuentwickeln. Das war insbesondere für die Computerkurse wichtig, wo die Vermittlung unserer Absolventinnen mitunter schwierig war. Auch dies zeigt, dass Selbstzufriedenheit nicht angebracht ist. Aber wir freuen uns, dass wir so gut vorangekommen sind.

Die FU und SODI haben in ihrer Zusammenarbeit immer wieder Neues versucht. Was ist für die Zukunft zu erwarten?

Die Zukunft hat bereits begonnen. Im Mai 2011 haben wir ein von der Stiftung Nord-Süd-Brücken gefördertes Pilotprojekt begonnen, einen Schneiderkurs für 20 Frauen. Auch dieser Kurs ist mit der Vermittlung von Wissen über Arbeitsrecht, Geschlechtergleichstellung und Existenzgründung sowie über das Management von Kleinkrediten verbunden. Neu ist, dass in diesen Kurs zehn Frauen mit Behinderung einbezogen wurden. Frauen mit und ohne Behinderung werden gemeinsam und voneinander lernen. Sie werden in der Praxis zeigen, wie die Durchsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderung auf gleichberechtigte Teilhabe an Entwicklung und Armutsüberwindung gelingen kann. Übrigens werden Interessentinnen dieses Kurses einen Kleinkredit aus dem revolvierenden Fonds des laufenden Projekts erhalten – ein ganz praktisches Beispiel für Nachhaltigkeit.

SODI-Spendenkonto: 10 20 100, Bank für Gemeinwirtschaft, BLZ 100 205 00, Kennwort »Frauen Vietnam«.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juni 2011


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