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Ökozid in Vietnam

Erforschung und Wiederherstellung der Umwelt

Von Vo Quy *

Der Begriff „Ökozid“ wurde im Zusammenhang mit dem US-amerika-nischen Krieg in Vietnam geprägt. Denn über die menschlichen Leiden hinaus, die er dem Land zugefügt hat, war die Zerstörung, die dieser Krieg den Pflanzen, den Tieren und ihrer Lebenswelt zugefügt hat, sowohl in bezug auf ihren Umfang als auch ihre Intensität beispiellos. Die wesentliche Wirkung dieser Zerstörung ging von einem bewußten Angriff auf die Ökosysteme aus, von denen man behauptete, sie würden den gegnerischen Streitkräften als Versteck und Unterstützung dienen.

Die US-amerikanischen militärischen Angriffe gegen die Umwelt, die in großem Maßstab viele Jahre lang erfolgten, waren systematisch und haben zur totalen Zerstörung der Ökosysteme in einem großen Teil des Territoriums von Vietnam geführt. Die angewendeten Mittel waren unterschiedlich: hochexplosive Munition, Napalm, Minenfelder, mechanische Zerstörung der Felder und ganz besonders chemische Pflanzenvernichtungsmittel (Herbizide). Das Resultat war eine sofortige und dauerhafte Schädigung des Bodens, des Nährstoffgleichgewichts, der Bewässerungssysteme, der Pflanzen, der Tiere und wahrscheinlich auch des Klimas von Vietnam und der ganzen Region.

Am gründlichsten war die ökologische Zerstörung bei den Wäldern in Vietnam. Die chemischen Wirkstoffe wurden vom 17. Breitengrad bis zur Halbinsel Ca Mau im Süden versprüht. Die meisten der in Vietnam heimi-schen Waldarten waren betroffen. Diese Angriffe mit chemischen Herbiziden, die umfangreichsten der Geschichte, haben die Wald-bestände, die so wichtig sind für die Entwicklung Vietnams, beträchtlich dezimiert.

Die unmittelbaren und die langfristigen Auswirkungen dieser chemischen Gifte auf die Waldbestände und auf die Umwelt sind offensichtlich. Unter dem Einfluß dieser Substanzen haben Hunderte von Baumarten und Pflanzensorten sofort ihre Blätter verloren, vor allem die großen Waldbäume Dipterocarpaceae und Fabaceae, in den höheren und dominanten ökologischen Lagen. Zahlreiche seltene und wertvolle Waldpflanzen sind verschwunden wie etwa Pterocarpus macrocarpus, Sindora siamensis, Afzelia xylocarpa, Hopea odorata und einige Dipterocarpaceae-Arten, was zu einer Verarmung der genetischen Vielfalt von wertvollen Arten führte. Es gibt einige Baumarten wie zum Beispiel den Irvingia malayana, den Patinari annamensis und den Livistona, die tolerant gegen Gifte sind. Also wurden die Laubdächer der Wälder zerstört, die Waldumwelt hat sich rasant verändert, und Arten wie der Bambus in den Sekundärwäldern und schnellwachsende Bäume, die aber von minderem ökonomischem Wert sind, sind erschienen und haben die ursprünglichen Waldbaumarten zurückgedrängt.

Die Untersuchungen haben Naturräume im Umfang von 3,3 Millionen Hektar identifizieren können, die den giftigen Chemikalien ausgesetzt waren und deren Wälder in unterschiedlichen Graden schwer geschädigt sind, was den Verlust von mehr als 100 Millionen Kubikmeter Nutzholz verursacht. (Phung Tuu Boi et al. 2002) 50 % der Oberfläche der Region nordöstlich des Mekong wurden vernichtend getroffen. Die Zonen C und D der Militärregion III (siehe die aus Westing 2005 entnommene Karte 1)** sowie die Wälder von Boi Loi und Cu Chi waren der Besprühung mit Millionen von Litern giftiger Chemikalien und dem Bewurf mit Millionen Tonnen Bomben ausgesetzt; zahlreiche Wälder dieser Regionen, vor allem der Wald von Ma Da in der Provinz Dong Nai und die Wälder von Phu Binh und Bu Gia Map in der Provinz Binh Phuoc, wurden vollständig zerstört. Mit giftigen Chemikalien wurden ebenfalls einige spezielle Zielgebiete besprüht, wie etwa die elek-tronische Schranke McNamaras in der Provinz Qung Tri (nahe dem 17. Breitengrad), die Zone A Luoi in der Provinz Thua Thien Hue, die von Sa Thay in der Provinz Kon Tum, die von Can Gio (Guyen Hai) in Ho Chi Minh-Stadt sowie die Region Ca Mau in der Provinz Minh Hai (siehe Karte 2)**.

Die Regeneration und Rehabilitation der Wälder in mehreren Regionen wurden gefährdet, und in 28 Flußtälern wurden die überdachenden Wälder schwer geschädigt. Unter diesen Flußtälern sind 16 in Zentralvietnam gele-gene auf 16 %, 10 auf 30 % bis 50 % und 2 auf mehr als 50 % ihrer Oberfläche mit giftigen Substanzen besprüht worden. Die meisten dieser Flüsse sind kurz und fließen durch abschüssige Terrains, welche flußabwärts liegende Gelände unmittelbar überragen. So haben Überschwemmungen in den letzten Jahren die Flußgebiete des Huong, Thach Han, Han, Thu Bon, Tra Khuc, Con, Ve, Cau, Ba und vieler anderer verwüstet. (Phung Tuu Boi et al. 2002)

Während des Vietnamkrieges wurden die tropischen Wälder im Innern und die Mangrovenwälder schwer geschädigt. Zahlreiche Tierarten, darunter Säugetiere und Vögel, wurden direkt oder indirekt durch die Pflanzen-vernichtungsmittel getötet. Die schwersten Folgen aber ergaben sich aus der Zerstörung der Ökosysteme, die einen Lebensraum für zahlreiche große Tiere wie den Elefant (Elephas maximus), das Java-Rhinozeros (Rhinoceros sondaicus), den Banteng (Bos javanicus), den Kouprey (Bos sauveli), den Gaur (Bos gaurus), den Tiger (Panthera tigris), den Gibbon (Hylobates concolor) den Kleideraffen (Pygarix nemaeus), den Sarus-Kranich (Grus antigone), den Riesenibis (Pseudibis gigantea), den Weißschulteribis (Pseudibis davisoni), die Weißflügel-Moschusente (Cairina scutulata), mehrere Hühnerfasanenarten (Lophura spp.), den Perlenpfau (Rheinartia ocellata), das Krokodil (Crocodilus siamensis) und die Python (Python molorus) bildeten. Viele dieser Arten sind selten geworden und einige sind derzeit auf dem Wege auszusterben. (Vo Quy 1983)

Die Umwelt in Vietnam kämpft darum, sich von den Folgen dieser mili-tärischen Aktionen wieder zu erholen. Wenn es auch Erfolge gegeben hat bei dem Bemühen der Vietnamesen, die durch den Krieg verursachten Umweltschäden zu reparieren, so bleibt noch viel zu tun, und die Ressourcen dafür sind sehr begrenzt. Die Sanierung der schwer von den Giften betroffenen Wälder ist eine dringende und schwierige Aufgabe, ein kostenintensives und die Ressourcen stark beanspruchendes Unternehmen.

Der Krieg ist vor mehr als einem Vierteljahrhundert zu Ende gegangen, aber es gibt in Vietnam immer noch ausgedehnte Gebiete, die bis heute unter seinen Folgen leiden, vor allem diejenigen, die den Entlaubungsmitteln aus-gesetzt waren und in denen seitdem keinerlei menschliche ökonomische Aktivität stattfand. Es ergibt sich so die Gelegenheit zur Beobachtung, zur Durchführung von Untersuchungen sowie zur Evaluierung der langfristigen Auswirkungen des Agent Orange und der anderen militärischen Aktivitäten auf die Umwelt und die Wald-Ökosysteme. (Vo Quy et al. 2002)

In vielen Waldgebieten, die mehrmals entlaubt wurden, sind die Wald-Ökosysteme vollständig zerstört. Dreißig Jahre sind vergangen, aber es gibt überhaupt kein Anzeichen dafür, daß die Bäume der einheimischen Wälder auf natürliche Weise wieder erstehen. Diese Gebiete sind immer noch bedeckt von wildem Gras, wie in den vielen vergangenen Jahren. Die sehr ärmliche Fauna ist immer anders als die ursprüngliche. (Vo Quy et al. 2002) 20 Jahre nach dem Ende des Krieges urteilte die Weltbank: „Einer der möglicherweise schlimmsten Aspekte dieses Krieges, über den wir nur wenig wissen, betrifft die Veränderungen in der Verbreitung der Arten, die er verursacht hat, was die Biodiversität Vietnams auf Dauer verändert haben kann.“ (World Bank 1995)

Der Verlust eines bedeutenden Teils der Waldflächen Südvietnams hat sehr viele Nebenwirkungen mit sich gebracht. Zum Beispiel hat der Verlust an Nutzholz zu einer Verringerung der Stabilität der Ökosysteme geführt, zu einer Verminderung des Artenreichtums von Pflanzen und Tieren, zu einer Verarmung des Bodens, zur Verseuchung der Gewässer, zur Intensivierung des Wasserabflusses und der Erosion, zu erhöhtem Verlust von Nährstoffen im Boden und damit einer Verminderung ihrer Biodisponibilität, zu einer Begünstigung der Invasion von gänzlich unerwünschten Arten von Vegetation und ohne Zweifel auch zu einer Veränderung sowohl der Mikroklimata als auch der Makroklimata. Die chemischen Wirkstoffe, die während des Krieges benutzt wurden, wirken sich auch verheerend im landwirtschaftlichen Sektor aus, vor allem auf den Reisanbau und die Fischzucht – im letzteren Fall hauptsächlich durch die Zerstörung der Mangroven, des Ortes der natürlichen Reproduktion.

Insgesamt wurden etwa 380 kg Dioxin auf unser Land gesprüht, vor allem im ländlichen Südvietnam. In den Böden der am meisten betroffenen Regionen findet man noch heute Spuren von Dioxin, zum Beispiel im Umkreis von einigen amerikanischen Militärbasen und an zahlreichen Orten, wo Agent Orange in Notfällen unfreiwillig ausgeschüttet wurde. Diese Vergiftungen mit Dioxin haben die Umwelt und das Leben und die Entwicklung der Bewohner dieser Orte schwer belastet. In einigen hot spots, wie in der Zone A So, einem ehemaligen Militärstützpunkt der USA westlich von Hue, ist ein Plan zur Eindämmung der Umweltschäden und Gesundheitsrisiken organisiert worden. Es handelt sich um Empfehlungen kurz-, mittel- und langfristiger Reichweite in bezug auf die Kontamination mit Dioxin und anderen um-weltschädigenden Einwirkungen, wie sie bis dahin bekannt waren. (Hat-field Consultants Ltd., 10-80-Komitee, 2000)

Das A Luoi-Tal: ein Beispiel für die Wirkungen der massiven Pflanzenvernichtung auf die Umwelt

Das A Luoi-Tal 65 km westlich von Hue liegt an seinem höchsten Punkt 600 m über dem Meeresspiegel. Vor dem Krieg war es bedeckt mit einem typischen Tropenwald, gekennzeichnet durch eine reiche Vielfalt an Baumarten, vor allem Harthölzer und andere seltene Arten, sowie durch eine mannigfaltige, für den indochinesischen Tropenwald typische Fauna. Man traf dort auf seltene Arten wie den Elefanten, das Gaur-Rind, den Tiger, den Panther, den malaysischen Bären, den Kleideraffen, den Gibbon und vier verschiedene Fansanenarten; auch waren dort die Populationen von indischen Sambar- und Muntjakhirschen, von Wildschweinen und von Affen sehr zahlreich. Die Fische in den Flüssen und Strömen waren eine wichtige natürliche Nahrungsquelle für die Bewohner.

Während des Krieges hat die US-Armee in diesem Gebiet drei Militärbasen eingerichtet: die Stützpunkte der special forces in A So, in A Luoi und Ta Bat. Von 1966 bis 1970 wurde das A Luoi-Tal regelmäßig und intensiv mit Agent Orange besprüht, vor allem in den Jahren 1966 und 1969, um Angriffe der vietnamesischen Streitkräfte zu vereiteln, die den dichten Dschungel als Versteck benutzten. Die Reisfelder und anderen Kulturen wurden zerstört, um das vietnamesische Volk auszuhungern. Außerdem wurde die gesamte Zone mit Bomben und Minen übersät.

In Folge der wiederholten Besprühungen wurden die Wälder vollkommen vernichtet und die ökologischen Bedingungen verändert. Nachdem die Walddecke erst einmal verschwunden war, ist der Boden durch die Niederschläge erodiert. Die notwendigen Bedingungen für das Wachstum der Waldbäume – Bodenfeuchtigkeit, Licht, Temperatur – sind nicht mehr gegeben. Die jungen Schößlinge sind im Boden zerstört worden, während die Samen und die Körner von Bäumen aus anderen Wäldern zu weit entfernt waren, um transferiert zu werden. Hinzu kommt: immer wenn die wilden Kräuter den Raum erobert haben und periodische Feuer ausbrechen, ist es sehr schwierig für die Bäume, sich auf natürliche Weise zu regenerieren.

Man kann sagen, daß Agent Orange, hauptsächliche Mixtur unter den von der US-Armee im Vietnamkrieg benutzten Herbiziden, die natürlichen Umweltbedingungen völlig zerrüttet hat, indem es die reichen Wald-Ökosysteme mit einer hohen Biodiversität in entkräftete Ökosysteme verwandelt hat. Die Lebensräume, die für viele tropische Waldtiere, vor allem für die großen in Vietnam heimischen Arten günstig waren, sind verschwunden.

Die Untersuchungen, die in dem Gebiet von A Luoi in den Jahren 1996 bis 1999 gemacht wurden, haben ergeben, daß Bodenproben, die in der Umgebung der Militärbasen der special forces entnommen wurden, den höchsten Gehalt an Dioxin und Dioxin-Äquivalenten [1] hatten (220-897,85 pg/g). Angesichts dieser hohen Konzentration von Dioxin, besonders in A So und in etwas geringerem Maße in Ta Bat, ist klar, daß dieser Wirkstoff auf jeden Fall hier angewendet, gelagert und/oder benutzt wurde. Die permanente militärische Besetzung der A So-Basis bis in das Jahr 1966 hinein, also noch nach der Schließung der Basen von Tat Bat und A Luoi, hat ohne jeden Zweifel dazu beigetragen, daß dort der höchste Gehalt an Dioxin festgestellt wurde. (Hatfield Consultants Ltd., 10-80 Committee, 2000)

Die Gefahr einer chemischen Kontamination hat in der Tat jegliche Kultur in ausgedehnten a priori fruchtbaren Gebieten verhindert. Die durch die militärischen Aktivitäten geschädigten Ökosysteme sind nicht mehr in der Lage, die Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften zu befriedigen, und diese sind daher verarmt.

Die Wälder müssen wieder aufgeforstet werden

Um den Waldbestand in großen durch Agent Orange zerstörten Gebieten zu regenerieren, ist eine Wiederanpflanzung nötig, denn man kann keine natürliche Entwicklung der geschädigten Wälder erwarten, und man weiß nicht, wie viel Zeit dies brauchen wird. Es wird allerdings viel Zeit, viel Arbeit und viel Geld kosten, um das zu erreichen.

Nach dem Krieg haben vietnamesische Wissenschaftler versucht, in den durch die massiven Entlaubungsangriffe verwüsteten Gebieten und um die alten US-Militärbasen herum einheimische Bäume zu pflanzen. Diese ersten Versuche sind gescheitert, und zwar deshalb, weil die jungen Pflanzen in Buschfeuern verbrannten, die durch die intensive tropische Sonne während der Trockenzeit entfacht werden. Einige Tausend Hektar Tropenwald sind immerhin mit Erfolg wieder angepflanzt worden. Um sie vor der brennenden tropischen Sonne zu schützen, haben die Wissenschaftler einen Waldbestand mit schnell wachsenden Bäumen aufgebaut. Waren diese erst einmal hoch genug gewachsen, was etwa nach drei Jahren der Fall ist, konnte man unter ihrem Dach verschiedene Arten von Waldbäumen anpflanzen.

Gestützt auf Erfahrungen mit der Anpflanzung in dem Gebiet von Ma Da, das durch die militärischen Aktionen ehemals schwer getroffen worden war, mähen und verbrennen die Einwohner vieler Gebiete das Unkraut in den von Agent Orange betroffenen Gebieten und pflanzen schnell wachsende Bäume, etwa solche aus der Familie der Akazien [2], wegen des Schattens, den sie bieten. Nach drei oder vier Jahren pflanzt man unter diesem Dach Setzlinge von Bäumen des ursprünglichen Waldes, wie etwa des Dipterocarpus. Man hofft so, daß in der Zukunft wieder tropische Wälder guter Qualität und eine schöne Fauna die durch die militärischen Aktionen zerstörten Gebiete bedecken und daß es dem vietnamesischen Volk gelingen wird, die Narben dieses Zer-störungskrieges zum Verschwinden zu bringen.

Von allen im Krieg geschädigten Wäldern sind die Mangroven- und die Melaleuca-Wälder im Mekongdelta wohl am schlimmsten betroffen. Diese beiden sehr schwer geschädigten Ökosysteme sind gegenwärtig in einem weiter fortgeschrittenen Zustand der Rehabilitation als die Tropenwälder im Landesinneren. Nach dem Krieg haben die Vietnamesen ein Programm zur Wiederanpflanzung der Mangrovenwälder in den von den Herbiziden zerstörten Gebieten in Gang gesetzt. Weite Gebiete wurden mit Rhizophora apicauda (eine spezielle Mangrove) wieder bepflanzt. Heute sind etwa 70 000 Hektar Mangrovenwald mit Erfolg neu entstanden. Den Bewohnern dieser Ge-genden bieten die Mangroven eine dauerhafte und gewinnbringende Quelle von Brenn- und Bauholz. Als wohltuende Folge der Wiederaufforstung sind Fische im Überfluß da, und der Fang von Garnelen wächst von Jahr zu Jahr. Die Vögelkolonien der Feuchtzonen, die während des Krieges völlig verschwunden waren, sind zurück gekommen. Mehr als sieben Kolonien von Vögeln von beträchtlicher Bedeutung werden derzeit in Reservaten geschützt. Neue Kolonien sind im Entstehen und die Vogelpopulationen haben ihren früheren Umfang wieder erreicht.

Der Distrikt von Can Gio, im Südosten von Ho Chi Minh-Stadt gelegen, umfaßt eine Fläche von 75 740 Hektar. Der Mangrovenwald bedeckt 54,2 % der Gesamtfläche des Distrikts. Im Krieg wurden die Mangroven von Can Gio komplett zerstört. Dank der Anstrengungen der örtlichen Bevölkerung sind nach dem Krieg 22 000 Hektar Mangrovenwald rehabilitiert worden.

Heute ist der Wald von Can Gio der größte Mangrovenbestand von Vietnam; er ist rehabilitiert worden und bietet prächtige Landschaften und eine reiche Vielfalt von Arten der Fauna und der Flora. Die lokalen aquatischen Ressourcen sind um den Faktor 10 bis 20 gesteigert worden im Vergleich zur Situation davor. Heute ist Can Gio nicht nur für die Schutzmaßnahmen für seine Wälder berühmt, die es erlauben, das Klima zu regulieren, die Erosion der Böden, der Küsten und der Flußtäler zu kontrollieren, die Nahrung für die wildlebenden Arten bereit zu stellen. Es ist auch ein sehr attraktives Ziel des Ökotourismus und nationales und internationales Zentrum der Forschung und Ausbildung von Forstleuten. Im Januar 2000 ist die Region Mitglied des weltweiten Netzes für den Schutz der Biosphäre des MaB (Man and the Biosphere)-Programms der UNESCO geworden.

Der Melaleuca-Wald ist ein halb überfluteter Wald, wie man ihn nur im Mekong-Delta findet. Er bedeckte früher eine Fläche von 250 000 Hektar in den tiefer gelegenen Zonen, die in der Regenzeit überschwemmt werden. Durch den Krieg blieben davon nur etwa 116 000 Hektar übrig. Nach dem Krieg hat die lokale Bevölkerung große Anstrengungen unternommen, um auf Tausenden von Hektar sauren Bodens Melaleuca anzupflanzen. Diese Baumart ist in der Tat die einzi-ge, die unter diesen Bedingungen gedeiht.

Heute sind die Feuchtgebiete dieser Zone wiederhergestellt, die natürlichen Pflanzen und Tiere sind nach und nach in die Ebene der Binsen [3] zurückgekehrt. Außer den Süßwasserfischen, die eine Nahrungsquelle für die lokale Bevölkerung sind, sind wieder Schildkröten, Schlangen und viele Vogelarten in erstaunlicher Menge vorhanden, unter ihnen seltene Arten wie der Sarus-Kranich, der indische Tantal und der Marabu. Schon seit dem Jahre 1986 hat die Bevölkerung des Distrikts Tam Nong mit Hilfe von Forschern der Universität von Hanoi 9 000 Hektar für die Schaffung eines Reservats für die Kraniche von Tram Chin bereitgestellt, in der Hoffnung, daß diese sich dort fortpflanzen würden. Heute haben sich etwa 1 000 Kraniche dort ange-siedelt und zahlreiche weitere Vogelarten sind wieder aufgetaucht.

Ein vietnamesisches Sprichwort sagt: „Die Vögel nisten nur in guter Erde“. Augenscheinlich beginnen sich die Anstrengungen der Bevölkerung der Ebene der Binsen für die Erneuerung ihrer Böden auszuzahlen. Der Kranich ist das Symbol des Glücks und der Langlebigkeit, und sein stilisiertes Bild findet sich in den meisten Tempeln Vietnams. Die Sarus-Kraniche sind schließlich nach Vietnam zurückgekehrt, in ein Land des Friedens, wo sie von einem Volk willkommen geheißen werden, das sie wegen ihre Schönheit und wegen des Vergnügens schätzt, das ihm ihre Anwesenheit bereitet.

Forschungsaktivitäten

Die Umwelt in Vietnam kämpft darum, sich von den Folgen der militärischen Aktivitäten zu erholen. Die Studien zum Thema haben erst Anfang der 1970er Jahre begonnen. Sie galten den natürlichen Lebensräumen und den in ihnen existierenden natürlichen Lebewesen, sowohl in den Gebieten, die von den Militäraktionen betroffen waren, als auch in solchen, die davon verschont geblieben waren. Dies hat die Evaluierung der Auswirkungen des Krieges auf die Wälder im Landesinneren und in den Mangrovengebieten ermöglicht. Indessen waren wegen des Mangels an Mitteln – Arbeitskraft, Material und Geld – die Resultate dieser Forschungen noch sehr begrenzt. Die Forschungs-aktivitäten wurden nur in bestimmten Gebieten, wie dem des Tals von A Luoi, dem von Ma Da (ein tropisches Regenwald-Ökosystem im Landesinnern) und dem von Can Gio (Mangrovenwald-Ökosystem), mit wissenschaftlicher Strenge durchgeführt.

Gestützt auf die Arbeiten über die Umwelt, die in A Luoi seit 1981 und vor allem in den Jahren von 1996 bis 1999 durchgeführt wurden, haben die Forscher die Möglichkeit, bei der Evaluation der Verwüstungen der Umwelt voranzukommen und einige Ansätze für ihre Reduzierung zu entwickeln. Diese Ergebnisse können auf andere durch die Besprühungen betroffene Gebiete übertragen werden. Das A Luoi-Tal ist ein Pilotgebiet für die Melioration der Umwelt im Hinblick auf die Reduzierung der Armut, die durch den Krieg ausgelöst wurde, indem die ökonomischen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten vergrößert werden. (Hatfield Consultants LTD., 10-80 Committee 2000)

Das vietnamesische Volk war sich der Bedeutung der Waldgebiete für die Entwicklung Vietnams bewußt und hat sofort nach dem Krieg ein ehrgeiziges Programm der Anpflanzung von Bäumen in Angriff genommen, um die verwüsteten Böden wieder zu erneuern, von den Man-grovenwäldern bis in das Landesinnere. Diese Aktivitäten sollen auf andere Regionen des Landes ausgeweitet werden. Die Waldprojekte und die einschlägigen Biodiversitäts-programme müssen mit den Anstrengungen zur Rehabilitation der Wälder auf den Hochebenen integriert werden.

Große Anstrengungen sind gemacht worden bei der Auswahl und Einrichtung eines bedeutenden Ensembles von Naturreservaten, um die wichtigsten Typen der natürlichen Habitate zu retten, die den Krieg überstanden haben. Es gibt gegenwärtig 126 Schutzgebiete mit einer Gesamtfläche von etwa 2,5 Millionen Hektar; das sind 2,6 % der Fläche des ganzen Landes. Unter ihnen befinden sich 27 Nationalparks und zwei Biosphärenreservate der UNESCO. Das letzte Landschaftsgebiet, das mit dieser Benennung ausgezeichnet wurde, ist der Mangrovenwald von Can Gio, der während des Krieges durch Herbizide vollständig vernichtet worden war, aber seitdem mit Erfolg rehabilitiert worden ist. Wenn indessen auch von den Vietnamesen große Fortschritte gemacht wurden, um die Umweltschäden zu reparieren, die der Krieg verursacht hat, so bleibt immer noch viel zu tun und die dafür vorhandenen Mittel sind sehr begrenzt.

Schlußbemerkung

Die Veränderungen der terrestrischen Ökosphäre sind Teil eines konti-nuierlichen Prozesses, der mehr und mehr von menschlichen Aktivitäten beein-flußt wird, von denen der Krieg die zerstörerischste ist. Seine negativen Einwirkungen machten sich praktisch auf allen evolutionären Niveaus bemerkbar – von den einfachen einzelligen Organismen bis zu den höheren Pflanzen und den menschlichen Lebewesen.

Die Wiederherstellung der vom Krieg verwüsteten Umwelt ist von ganz vordringlicher Bedeutung insofern, als das störungsfreie Funktionieren der Ökosysteme für die menschliche Gesundheit und die Reduzierung der Armut äußerst wichtig ist. Es besteht Forschungsbedarf auf zahlreichen Gebieten, und zwar aus der Absicht heraus, den einschlägigen Programmen zur Erhaltung und Restaurierung eine solide Grundlage zu liefern. Das ist eine enorme Aufgabe, die erhebliche Mittel, langfristige Anstrengungen und angemessene Pilotstudien erfordert. An vorrangigen weiteren Forschungen und Maßnahmen, die unternommen werden müssen, um mit den Kriegsfolgen Schluß zu machen, kann man nennen:
  • Sammeln und Auswerten von ökologischen Gegebenheiten infolge der Kriegszeit; Untersuchungen des Ensembles der Flora und Fauna in den weitgehend verschont gebliebenen und in den chemisch verseuchten Gebieten, mit besonderer Beachtung solcher Sektoren, die gleichfalls bombardiert oder auf ganz andere Weise betroffen waren, um die Dokumentationen zu erstellen, die für die Planung der Bodennutzungen notwendig sind.
  • Weitere Evaluierungen der Kontamination mit Dioxin in den Umgebungen aller früheren US-Militärbasen, die wahrscheinlich für den Einsatz und die Lagerung von Agent Orange gebraucht wurden, sowie in allen bekannten Gebieten, die Versprühungen ausgesetzt waren. Diese Auswertungen müßten erlauben, die Niveaus der Dioxinkontamination, die durch Agent Orange verursacht wurden, sowie das Verhältnis von Umweltvergiftung und Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevöl-kerungen zu bestimmen.
  • Wiederherstellung der Umwelt in den durch militärische Aktivitäten betroffenen Gebieten: verschiedene Aufforstungsmethoden; Unterstützung der Landwirtschaft; Studium der Talhänge, Überschwemmungen und Auswaschungen; Entwicklung des Fischereiwesens; chemische Vergiftung der Nah- rungsressourcen, die durch die Existenz der hot spots von Agent Orange verursacht sind; dies sind zum Beispiel bestimmte alte militärische Anlagen der USA, die Gebiete, wo ganze Wagenladungen von Agent Orange in Dringlichkeitsfällen ausgeschüttet wurden, schließlich auch Orte, wo Sprühflugzeuge abgestürzt sind.
  • Bodensanierung von hot spots, die durch Dioxinvergiftung verseucht sind, besonders auf einigen ehemaligen Militärbasen in Südvietnam. Neue Technologien mit einem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis sind für Rehabilitationen in großem Umfang erforderlich (zum Beispiel ökolo-gisch/biolo-gische Techniken). Weder Verbrennung unter hohen Temperaturen, noch chemische Methoden bieten einen praktischen und ökonomischen Rehabilitationsansatz, wegen des großen Volumens der verseuchten Böden, die eine Behandlung erfordern.
  • Unterstützung der ethnischen Minderheiten, die in von den militäri-schen Aktionen betroffenen Gebieten leben, zur Hebung ihres Lebensstandards, was auch den Druck vermindern würde, den sie gegenwärtig auf die Wälder und ihre gefährdeten Arten ausüben.[4]
  • Ausbildung junger Wissenschaftler für den Einsatz bei der Erneue-rung von Lebensräumen und für den Schutz der Ökosysteme und von Flora und Fauna.
Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß solche Forschungs-Prioritäten voll integriert werden müssen in die Maßnahmen zur Rehabilitation der Habitate, zur Beseitigung von Minen und Blindgängern, zur Hebung des Lebensstandards der lokalen Bevölkerung, zur Wiederaufforstung, zur Stabilisierung der Böden und zur Wiederherstellung der aquatischen Habitate und der Organismen, die dort leben.

Schließlich ist es wichtig, daß diejenigen, die am unmittelbarsten von den Langzeitfolgen betroffen sind, mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, damit sie Arbeiten in’s Werk setzen können für die Wiederherstellung ihrer verwüsteten Umwelt. Es ist auf diesem Weg – und nur auf diesem Weg – möglich, mit dem schrecklichen Erbe fertigzuwerden, das der Krieg hinterlassen hat.

(Übersetzung: Günter Giesenfeld)

Anmerkungen
  1. Die Dioxine bilden eine große Gruppe von Stoffen, die alle sehr giftig sind; die giftigste Variante, genannt TCDD, wird vereinfachend als Dioxin bezeichnet. Den anderen, geringfügig weniger giftigen Substanzen wird ein Reduktionskoeffizient zugewiesen, der es erlaubt, für die ganze Gruppe der Varianten einen Gesamt-Dioxingehalt zu errechnen, genannt T-TEQ (siehe Meynard 2005).
  2. Akazien sind darüber hinaus Leguminosen, die die Eigenschaft haben, den Stickstoff der Luft zu binden und damit den Boden anzureichern.
  3. Dong Thap Muoi (eigentlich: Ebene des zehnstöckigen Turms), französisch Plaine des Joncs, tiefgelegene Ebene westlich von Ho Chi Minh-Stadt. In der Regenzeit verwandelt sich das ganze Gebiet in einen großen See. (Anm. d. Übers.)
  4. durch den Zwang zur Brandrodung wegen Mangels an kultivierbarem Boden. (Anm. d. Übers.)
** Karte 1 zeigt Südvietnam im zweiten Indochina-Krieg (Quelle: Westing 2005);
Karte 2 zeigt die Lage der im Text erwähnten ausgewählten Orte.
Aus technischen Gründen können wir die Karten hier nicht abbilden. Sie sind im Buch selbstverständlich abgedruckt.


Quellen und Literatur
  • Hatfield Consultants Ltd., 10-80 Committee, 2000: Development of impact mitigation strategies related to the use of agent orange herbicide in the A Luoi valley, Vietnam
  • Phung Tuu Boi, Tran Quoc Dung, Le Van Cham, 2002: Effects of chemical warfare upon Vietnamese forest resources (1961-1971), Vietnam - United States Scientific Conferenceon Human Health and Environmental Effects of Agent Orange/Dioxin Hanoi, March 3-6, 2002
  • Vo Quy, 1983: Effets des herbicides largués par les Américains au sud du Viêt-nam sur le système animal, Symposium International sur les Herbicides et Défoliants employés dans la guerre: les effets à long terme sur l'homme et la nature, Hô Chi Minh Ville, 13-20 janvier 1983, vol II
  • Vo Quy, Dang Huy Huynh, Mai Dinh Yen, Phung Tuu Boi, 2002: An attempt at evaluating the effects of US chemical sprayings in A Luoi almost 30 years after the war, Vietnam - United States Scientific Conference on Human Health and Environmental Effects of Agent Orange/Dioxin, Hanoi, March 3-6, 2002
  • World Bank, 1995: Vietnam - Environment program and policy priorities for a socialist economy in transition, vol. II, The Supporting Annexes (annex 4 - Vietnam War Damages and the Environment), World Bank Report n° 13200-VN
Weitere Quellen:
    Le Qu An, 1997: Vietnamese Policy on the Environment and Sustainable Development in Environmental Policy and Management in Vietnam, German Foundation for International Development (DSE), Berlin
  • Meynard, Jean, 2005: L'agent orange au Viêt-nam, dégâts et questions soulevées. In: Association d'Amitié Franco-Vietnamienne AAFV, L'agent orange au Viêt-nam, Crime d'hier, tragédie d'aujourd'hui, Paris, S. 27-63
  • UNDP, Government of Vietnam, 1994: Biodiversity Action Plan for Vietnam, Hanoi
  • Vo Quy 1992: The wound of war, Vietnam struggles to erase the scars of 30 violent years. In: CERES, The FAO Review, Roma, n° 134, March-April 1992
  • Vo Quy, 1997, Environmental Issues in Vietnam: an Overview. In: Envi¬ronmental Policy and Management in Vietnam, German Founda¬tion for International Development (DSE), Berlin
  • Westing, Arthur H./Vo Quy/Phung Tuu Boi/Bui Thi Lang/Dwernychuk, L.W., 2002: Longterm Consequences of the Vietnam War, Ecosystems, Report to the Environmental Conference on Combodia, Laos, Vietnam, Stockholm July 2002
  • Westing, Arthur H., 2005: La guerre chimique américaine au Viêt-nam. In: Association d'Amitié Franco-Vietnamienne AAFV, L'agent orange au Viêt-nam, Crime d'hier, tragédie d'aujourd'hui, Paris, S. 75-92


* Aus: Anita Fabig und Kathrin Otte (Hrsg.): Umwelt, Macht und Medizin. Zur Würdigung des Lebenswerks von Karl-Rainer Fabig
VERLAG WINFRIED JENIOR, Redaktion: Margarete Tjaden-Steinhauer, Karl Hermann Tjaden
325 S., brosch., € 18,- (ISBN: 978-3-934377-24-0)

Preis bei Subskription (über den Buchhandel oder den Verlag)
bis 15. Mai 2007: € 15,-

Verlagsanschrift:
Verlag Winfried Jenior
Lassallestr. 15, D-34119 Kassel
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