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Ein Apostel der Revolution

Zum 40. Todestag von Ho Chi Minh, Vietnams Mahatma

Von Hellmut Kapfenberger *

Wer war dieser Mann, dessen Name im stundentischen 68er Schlachtruf »Ho-Ho-Ho Chi Minh« Synonym war für das Verlangen, die Aggression der USA auf der indochinesischen Halbinsel und ihre Unterstützung durch die Bundesrepublik zu beenden? Wer war dieser Politiker und Staatsmann, der 1963 die Parlamentarier seines Landes beschwor, von der geplanten Ehrung seiner Person mit dem goldenen Heldenstern Abstand zu nehmen, weil der Süden des Landes noch nicht befreit und das Vaterland noch nicht wiedervereinigt ist. Und der aus diesem Grund auch vier Jahre später die sowjetische Partei- und Staatsführung ersuchte, seine zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution beschlossene Ehrung mit dem Lenin-Orden aufzuschieben.

Nikita Chrustschow erinnerte sich: »Religiöse Menschen haben früher oft von heiligen Aposteln gesprochen. Durch die Art, wie Ho Chi Minh lebte und andere Menschen beeindruckte, war er einer dieser ›heiligen Apostel‹. Er war ein Apostel der Revolution. Ich werde nie den Ausdruck seiner Augen vergessen, wie sein Blick in einer besonderen Art von Aufrichtigkeit und Reinheit glänzte ... Ho Chi Minh war wirklich ein ›Heiliger‹ des Kommunismus.«

Doch nicht nur »kommunistische« Ehrerbietung wurde ihm zuteil. Bertrand Earl of Russell, britischer Mathematiker und Logiker, Philosoph, Sozialkritiker und Gegner des Vietnam-Krieges der USA, äußerte: »Präsident Ho Chi Minhs selbstloses Trachten nach Unabhängigkeit und Einheit Vietnams im Laufe von mehr als einem halben Jahrhundert haben ihn sowohl zum Vater der Nation als auch zu einem führenden Gestalter der nachkolonialen Welt gemacht.« Und Jean Sainteny, als Beauftragter des ersten französischen Nachkriegspräsidenten General Charles de Gaulle mit Ho Chi Minh bekannt, schrieb 1953, auf dem Höhepunkt des französischen Rückeroberungsfeldzugs in Indochina: »Was er sprach und tat, seine ganze Haltung zeigten deutlich, dass er einer Gewaltlösung abgeneigt war. Es besteht kein Zweifel, dass er in dieser Periode den Vorsatz hatte, der Gandhi Indochinas zu werden.« William Fulbright wiederum, einst Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des USA-Senats, urteilte 1966, nach elf Jahren verzweifelten militärischen, politischen und finanziellen Mühens Washingtons um ein stabiles Staatsgebilde unter US-amerikanischen Kuratel in Südvietnam: »Sogar heute, nach allem, was die USA getan haben, um die südvietnamesische Regierung zu stützen, gibt es nur einen Politiker, dessen Namen die Bauern in Vietnam überall kennen: Ho Chi Minh.«

Als der völlig mittellose 21-jährige Nguyen Tat Thanh 1911 auszog, die zivilisierte westliche Welt zu studieren, um dann in der Heimat kundig für die Überwindung des Kolonialismus wirken zu können, ahnte er nicht, dass er erst als 51-Jähriger wieder vietnamesischen Boden betreten würde – nach entbehrungsreichen Aufenthalten in England, Frankreich, den USA, der Sowjetunion, China, Deutschland und Siam. Mindesten zwei Dutzend Pseudonyme, Deck- und Tarnnamen hatte er. In Frankreich unter dem Namen Nguyen Ai Quoc 1920 als Mitbegründer der FKP erster vietnamesischer Kommunist, initiierte er zehn Jahre später in Hongkong als Beauftragter der Komintern die Gründung der vietnamesischen kommunistischen Partei. Unter seiner Führung erkämpfte Vietnam 1945 die Unabhängigkeit von Frankreich. Nur anderthalb Jahrzehnte war es ihm vergönnt, an der Spitze von Staat und Partei in der Hauptstadt Hanoi tätig zu sein.

Ho Chi Minh, wie er sich ab 1942 nannte, zeichnete sich durch exzellente Bildung aus. Den Boden dafür hatte schon das patriotische Elternhaus bereitet. Der Kenner von Geschichte, Literatur und Kunst nicht nur Vietnams beherrschte Französisch und Chinesisch, sprach Russisch und Englisch, konnte sich in Siamesisch (heute Thai) und Portugiesisch verständigen und verblüffte deutsche Gäste mit Konversation in ihrer Muttersprache. Auch Sprachen einiger nationaler Minderheiten Vietnams waren ihm nicht fremd.

Vor nunmehr vier Jahrzehnten, am 2. September 1969, vollendete sich das Leben des Mannes, dem ein UNESCO-Aufruf 1990 an mehr als 100 Mitgliedsstaaten galt, ihn postum als »Helden der nationalen Befreiung und bedeutenden Mann der Kultur Vietnams« zu ehren. In deutschen Landen der »Wendezeit« hatte dieser Appell kein Gehör gefunden. Im Gegenteil. Die bereits im September 1990 von der SPD-Fraktion der Stadtbezirksversammlung Berlin-Lichtenberg zum Thema gemachte Umbenennungsorgie gipfelte im Juni 1991 im Beschluss, u. a. den Namen dieser international hochgeschätzten Persönlichkeit aus dem Straßenbild Berlins zu tilgen. Im Februar 1992 wurde in blindwütigem antikommunistischem Eifer provinzieller Polit-Ignoranten die in der DDR-Hauptstadt seit April 1976 existierende Ho-Chi-Minh-Straße umbenannt. Das kommende Jahr böte Gelegenheit zur Rückbesinnung, nicht nur des 120. Geburtstages Ho Chi Minhs wegen, dem Vietnam ein internationales Symposium in Hanoi widmen wird, sondern auch in Anbetracht des Beschlusses der Regierungen beider Länder, 2010 in Vietnam als »Deutschland-Jahr« und hierzulande als »Vietnam-Jahr« zu begehen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. September 2009


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