Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sichere Zukunft auf minenfreiem Land

60 armen Familien eröffnet sich durch den Aufbau der Siedlung Lim eine neue Perspektive

Von Ilona Schleicher *

Das Pflanzen von Lim-Bäumchen war Auftakt eines Projekts von Solidaritätsdienst-international (SODI) in der Provinz Thua Thien Hue in Vietnam. Mit dem Aufbau der gleichnamigen Siedlung setzt der Verein sein Programm zur humanitären Kampfmittelräumung und Entwicklung am 17. Breitengrad fort.

Tiefes Aufatmen: Der Himmel spielt mit. Nach heftigen Güssen am Morgen reißen die grauen Wolken über Hue, der ehemaligen königlichen Residenzstadt, auf. Strahlender Sonnenschein begleitet eine Abordnung der Union der Freundschaftsgesellschaften in Hue (HUEFO) und von SODI nach Huong Ho, eine Gemeinde vor den Toren der Stadt. Sie erstreckt sich südwestlich von Hue beiderseits des Parfüm-Flusses von der Ebene bis in das Truong-Son-Gebirge. Sandra und Florian, Studenten der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg und ihr Freund Xy – er studiert an der Partnerhochschule in Hanoi – nehmen begierig Eindrücke ihrer ersten Ausfahrt in die ländliche Umgebung auf. Sie hoffen auf Anregungen für einen Dokumentarfilm, der von der Überwindung der Langzeitfolgen des Krieges erzählen soll.

Wir passieren die Thien-Mu-Pagode – einst ein Zentrum buddhistischen Widerstands gegen das von den USA ausgehaltene Regime von Ngo Dinh Diem in Südvietnam. Siegfried Block, SODI-Programmmanager für humanitäre Kampfmittelräumung in den Provinzen Thua Thien Hue und Quang Tri, erinnert daran, dass 1963 von hier aus ein Mönch nach Saigon aufbrach und sich dort aus Protest gegen die Politik des Regimes öffentlich verbrannte.

Ein durchaus ernst gemeinter Ratschlag unseres Fahrers holt uns in die Gegenwart zurück: Jung Verliebte sollten die Pagode nicht besuchen, wenn ihre Liebe halten soll. Ein bisschen Aberglaube gehört zum Alltag der Vietnamesen. Auch die Verantwortlichen des Volkskomitees von Huong Ho – vergleichbar mit einem deutschen Gemeinderat – werden den Mondkalender konsultiert haben, um einen »guten Tag« für den Abschluss der Vereinbarung mit SODI über den Aufbau der Siedlung Lim zu finden.

Wir werden im Kulturraum des Volkskomitees erwartet. Onkel Ho, der als Büste von der Bühne herab die Besiegelung des Vorhabens beobachtet, dürfte zufrieden sein. In den kommenden Monaten werden 60 arme Familien zu Eigentümern von je 8000 Quadratmeter fruchtbaren Landes. Sie werden mit Hilfe von SODI-Spenden und Fördermitteln des deutschen Entwicklungsministeriums dieses Land kultivieren, das zuvor von explosiven Hinterlassenschaften des Krieges befreit wurde. Mit ihren eigenen Händen werden sie solide Häuser bauen, Obstbäume pflanzen, Feldfrüchte anbauen, Tiere versorgen. Eine kleine Schule und ein Kindergarten werden gebaut, und ein Dorftreff soll zum Mittelpunkt ihrer Siedlung werden. Der Vorsitzende von HUEFO, Le Van Anh, ehemaliger Bürgermeister von Hue, informiert darüber, dass das Projekt in den Entwicklungsplan der Provinz aufgenommen wurde. Die Provinzregierung wird den Bau der Zufahrtstraße und der Stromleitung finanzieren. Lokale Entwicklungsanstrengungen und internationale Unterstützung gehen Hand in Hand.

Hinter einer Zeile kleiner, geduckter Häuser und einem schmalen Uferstreifen fließt der Parfüm-Fluss, schnell, aber nicht gefährlich. Er führt viel Wasser. Huong Ho blieb aber – im Gegensatz zum nördlichen Vietnam – in der Taifunsaison 2008 von überdurchschnittlich starken Fluten verschont. Doch auch ganz »normale« saisonale Überschwemmungen treffen die Menschen, die unmittelbar an den Ufern des Flusses siedeln. Immer wieder verschluckt Hochwasser das mühsam Erarbeitete. Eine Alternative hatten die Menschen bisher nicht, denn höher gelegenes Land, das sich zur Besiedlung und landwirtschaftlichen Nutzung eignet, gab es in der Gemeinde Huong Ho kaum.

Diese Situation verbesserte sich, als der Verein Potsdam Kommunikation und danach SODI bei der Beräumung eines fruchtbaren, vor Taifunen relativ gut geschützten Gebirgstals halfen. Es befindet sich etwa acht Kilometer vom Gemeindezentrum Huong Ho entfernt auf der anderen Seite des Parfüm-Flusses. Der Baum Lim, hochwertiges hartes Eisenholz, gab diesem Tal den Namen. Im Ergebnis menschlichen Raubbaus an der Natur und des Krieges wächst hier jedoch kein einziger dieser prächtigen Bäume mehr. Von weither, aus dem Grenzgebiet zu Laos, hat die Gemeinde 20 Setzlinge herbeigeschafft. Sie sollen zum Auftakt des Aufbaus der Siedlung Lim gepflanzt werden, als Symbole des Neubeginns und der Zukunft.

Erwartungsvoll machen wir uns auf den Weg, sicher, dass unsere allradgetriebenen Fahrzeuge den Anstieg über die holprige, unbefestigte Straße ins Lim-Tal leicht bewältigen würden. Wir werden schnell eines Besseren belehrt. Ein Auto versinkt in der von tropischem Regen aufgeweichten roten Erde, es kann nur durch Abschleppen wieder flott gemacht werden. Auf diesen Nachweis für die Notwendigkeit der neuen Straße hätten wir gern verzichtet.

Es geht weiter, wir erfreuen uns am satten Grün im Tal und an den Berghängen. Schwer zu glauben, dass wir durch Gelände fahren, das im Krieg hart umkämpft war, insbesondere während der legendären Tet-Offensive Anfang 1968. Die Befreiungskräfte trugen durch das Tal ihre Angriffe auf Hue vor. Es gelang ihnen, die historische Zitadelle 21 Tage lang zu besetzen, ehe sie von den Amerikanern zurückgedrängt wurden. »Von Artilleriestellungen am Hang beschossen sie das Tal, und die Air Force setzte Bomber ein. Weiter oben im Tal wurde auch das Entlaubungsgift Agent Orange gesprüht«, informiert uns Ngo Thy Dung.

Die junge Frau ist Projektmanagerin für Kampfmittelräumung, die rechte Hand Siegfried Blocks in Hue. Mit Charme und Kompetenz hat sie sich bei den durchweg männlichen Räumteams Respekt verschafft und Skeptiker davon überzeugt, dass auch Frauen das Management von Minen- und Blindgängerräumung perfekt beherrschen können. Sie schätzt an dem SODI-Programm, dass Entwicklung und Armutsüberwindung die Zielstellung der Kampfmittelräumung bestimmen. Dieses Herangehen setzt sich international immer stärker durch, wie ein Workshop des Genfer Internationalen Zentrums für Humanitäre Minenräumung in Hue gerade gezeigt hat. SODI hatte hier, wenige Tage vor dem Beginn des Lim-Projekts, interessante Erfahrungen seiner zehnjährigen Tätigkeit am 17. Breitengrad präsentiert.

Wir erreichen das Gebiet der künftigen Siedlung Lim. Sechs Familien haben sich 2006 gleich nach Beendigung der Räumarbeiten provisorische Unterkünfte gebaut. Sie wollten nicht warten, bis für das in Aussicht gestellte Ansiedlungsprojekt die erforderlichen Gelder zur Verfügung standen und wurden damit zu Pionieren der Besiedlung des Lim-Tals. Zu ihnen gehören Bauer Hoang Nhu Sam und seine Frau Lien. Sam war während des Krieges Soldat, musste Wasser aus Bächen trinken, die von dem Entlaubungsmittel Agent Orange vergiftet waren. Sein Sohn kam deshalb mit einer schweren geistigen Behinderung zur Welt.

Heute ist für die Familie ein besonderer Tag. Gemeinsam mit Ngo Thy Dung wird Sam ein Lim-Bäumchen pflanzen. Er ist stolz, damit das Signal für den Aufbau der neuen Siedlung zu geben. Vielleicht wird er ja Dorfvorsteher? Immerhin kennt er sich hier bereits bestens aus.

Sandra und Florian haben viele Eindrücke zu verarbeiten. Inwieweit sie diese in den geplanten Dokumentarfilm einarbeiten können, wird sich zeigen. Eines aber steht für sie fest: Sie werden zu Hause erzählen, dass über drei Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges in Vietnam solidarische Hilfe zur Überwindung seiner Folgen noch immer notwendig ist. Sie wollen sich gemeinsam mit SODI dafür einsetzen, dass den Opfern des Giftes Agent Orange endlich Gerechtigkeit widerfährt und die Verursacher millionenfachen Leids zur Verantwortung gezogen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 29. November 2008


Zurück zur Vietnam-Seite

Zur Landminen-Seite

Zurück zur Homepage