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Vietnam: USA-Rückkehr nach Cam Ranh?

Pachtangebote für den ungenutzten Marine- und Luftwaffenstützpunkt

Von Marina Mai*

1975 mussten die USA Vietnam fluchtartig verlassen. Glaubt man Meldungen verschiedener Medien, dann wollen sie jetzt ihren einst größten Luftwaffen- und Marinestützpunkt – Cam Ranh – zurück haben.

Die USA wollen Cam Ranh zwar nicht militärisch einnehmen, aber einen langfristigen Pachtvertrag darüber mit der Regierung Vietnams abschließen. Das Vorhaben indes stößt auf heftigen Protest in China. Um eine weitere US-amerikanische Militärbasis in der Nachbarschaft des Reiches der Mitte zu verhindern, so besagen chinesische Berichte, hat Peking der Hanoier Regierung ebenfalls angeboten, Cam Ranh zu pachten. Obwohl das derzeit brach liegende Militärareal für China eigentlich wenig wertvoll ist, denn das Südchinesische Meer lässt sich ebensogut von den Paracel- und den Spratley-Inseln kontrollieren, auf denen China Stützpunkte unerhält.

Cam Ranh wurde – mit Unterbrechungen – ein rundes Jahrhundert lang von ausländischen Militärs beherrscht. Von der französischen Kolonialmacht als Stützpunkt ihrer Indochina-Flotte genutzt, diente Cam Ranh 1905, im russisch-japanischen Krieg, als russische Versorgungsbasis. 1942 okkupierte Japan den Militärhafen und erbaute daneben einen Luftwaffenstützpunkt, der im Zweiten Weltkrieg Kriegsschauplatz wurde. In den 60er Jahren erweiterten die USA Cam Ranh und starteten von hier aus todbringende Bombenflüge über Vietnam. Vier Jahre nach Kriegsende, 1979, pachtete die Sowjetunion das verlassene Areal.

Seit Russland vor vier Jahren seine Flagge einzog, sucht Vietnam einen Investor. Weil der bisher ausbleibt, werden Teile der Luftwaffenanlagen als ziviler Inlandflughafen genutzt. Auf dem vergleichsweise bescheidenen Airport mit riesigen Landebahnen legen Touristen auf ihrem Weg an die Strände Vietnams einen Zwischenstopp ein. Die Marineanlagen sind verwaist, sofern sie nicht als Schrott an die boomende asiatische Wirtschaft verkauft wurden.

Anders als China äußern sich das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die Regierung in Hanoi nicht zu den Pachtangeboten. Vietnam hat das Thema zum Staatsgeheimnis erklärt. Regionalpolitiker aus der nordviet-namesischen Hafenstadt Haiphong dementierten gegenüber der französischen Agentur AFP allerdings eine ausländische militärische Nutzung. Was nicht beschlossen ist, wird in Vietnam nicht öffentlich erörtert. Andererseits erklärten die Vertreter Haiphongs, ab 2007 werde nahe ihrer Stadt ein neuer Marinehafen errichtet. 500 Millionen Dollar sollen aufgewendet werden, um auch militärische 40 000-Tonner versorgen zu können. Bisher sei das in Vietnam nur in Cam Ranh möglich. Warum baut Vietnam einen neuen Militärhafen, wenn ein alter brach liegt?

Die Pachtangebote haben einen weltpolitischen Hintergrund. Ein von USA-Wissenschaftlern bekannt gemachtes geheimes Strategiepapier des Pentagon erklärt China zu jenem Staat, der in Zukunft am ehesten in der Lage wäre, militärisch mit den USA zu konkurrieren. Es rät deshalb zur Errichtung US-amerikanischer Militärstützpunkte in Chinas Nachbarstaaten, ausdrücklich auch in Vietnam. Schon die existierenden Stützpunkte in Afghanistan und den zentralasiatischen GUS-Staaten werden von Peking jedoch als Bedrohung betrachtet. Nicht von ungefähr forderte die Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (Russland, China, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisstan, Tadshikistan) von den USA, einen Termin für deren Auflösung zu nennen.

Aber Cam Ranh hat auch regionale Bedeutung. Vietnam und China streiten um die Ausbeutung von Erdölvorkommen im Südchinesischen Meer, rund um die Spratley-Inseln. »Wilde« chinesische Bohrungen riefen im vergangenen Jahr jüngere, wirtschaftsorientierte vietnamesische Politiker auf den Plan, die sich ausgerechnet vom einstigen Kriegsgegner USA Unterstützung erhoffen. Ohnehin haben sich Militärs beider Staaten angefreundet: Zweimal schon waren US-amerikanische Marine-Einheiten zu Gast in vietnamesischen Häfen. Und Offiziere der Volksarmee Vietnams nehmen an Ausbildungskursen in den USA teil.

Die Pachtangebote bezüglich Cam Ranhs treffen Hanoi allerdings zu ungünstiger Zeit. Der 10. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams steht in diesem Jahr bevor, erwartet werden wichtige Personalentscheidungen, die aber sind immer noch strittig. So gibt es auch noch keinen offiziellen Parteitagstermin und das Land bleibt in heiklen außenpolitischen Fragen gelähmt.

Vietnams Alt-Präsident Le Duc Anh, noch immer einflussreich, hat sich vietnamesischen Exil-Medien zufolge bereits offen für einen Pachtvertrag mit China ausgesprochen. Der prochinesische Flügel spürt Aufwind, seit Ende 2005 der Beitritt Vietnams zur Welthandelsorganisation WTO am Widerstand der USA scheiterte. 2006 soll zwar ein zweiter Anlauf unternommen werden, doch nun ist China Vietnams wichtigster Verbündeter. In der Bevölkerung indes scheint die Verpachtung eines Militärstützpunkts an China wie an die USA gleichermaßen unpopulär zu sein, auch wenn dadurch Geld in die Staatskasse käme.

* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2006


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