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Tödliche Ausschreitungen in Vietnam

Friedlicher Protest gegen chinesische Bohrplattform im "Ostmeer" schlug in aggressive Gewalt um

Von Detlef D. Pries *

In Vietnam spitzen sich die Proteste gegen China zu. Mindestens ein Mensch wurde getötet. Viele Chinesen flüchten.

Die gegen China gerichteten Proteste sollen sich inzwischen auf 22 vietnamesische Provinzen ausgedehnt haben. Nachdem die seit einer Woche anhaltenden Demonstrationen zunächst friedlich geblieben waren, schlug die Wut über den mächtigen nördlichen Nachbarn inzwischen in aggressive Gewalt um. In der Nacht zum Donnerstag ist nach Angaben vietnamesischer Behörden mindestens ein Chinese getötet worden, als Arbeiter ein Stahlwerk in der Provinz Ha Tinh, 400 Kilometer südlich von Hanoi, stürmten. Die Nachrichtenagentur Reuters vermeldete sogar über 20 Tote und berief sich auf Angaben aus einem Krankenhaus. Die wurden vom Vizevorsitzenden des Volkskomitees der Provinz bestritten. Dang Quoc Khanh berichtete laut dpa von 149 Verletzten, 66 Personen seien festgenommen worden.

Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldete unter Berufung auf die Polizei Kambodschas, mehr als 600 Chinesen seien aus Angst vor weiterer Gewalt über die Grenze geflüchtet. Etliche Taiwaner kehren aus Vietnam auf ihre Heimatinsel zurück.

Ausgelöst wurden die Ausschreitungen durch den vietnamesisch-chinesischen Territorialstreit um die Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer, das von den Vietnamesen Ostmeer genannt wird. Der Konflikt spitzte sich Anfang Mai zu, nachdem China eine Tiefseebohrplattform in das umstrittene Gebiet verlegt hatte, in dem große Vorkommen an Öl und Gas unter dem Meeresboden vermutet werden. Während Vietnam sich bei deren Erkundung bisher auf unumstrittene, küstennahe Gebiete beschränkt hat, will China mit der Verankerung der Plattform offenbar seinen Hoheitsanspruch betonieren. Beide Staaten haben teils bewaffnete Schiffe in das Gewässer entsandt, die sich in den vergangenen Tagen immer wieder gegenseitig gerammt haben.

Die vietnamesischen Protestdemonstrationen waren erstmals am Mittwoch gewaltsam ausgeartet. In Industrieparks im Süden des Landes wurden über 100 Betriebe verwüstet, mehr als ein Dutzend wurden in Brand gesetzt. Betroffen waren neben chinesischen auch taiwanische und südkoreanische Unternehmen, die wohl irrtümlich für chinesisch gehalten wurden.

Noch im vergangenen Jahr hatten Chinas Ministerpräsident Li Keqiang und die vietnamesische Regierung große gemeinsame Infrastrukturprojekte und Handelserleichterungen vereinbart. China ist der wichtigste Handelspartner Vietnams, ein wachsender Teil der ausländischen Direktinvestitionen kam aus dem Reich der Mitte. Durch die Ausschreitungen sind diese Beziehungen gefährdet. Beobachter wie der australische Südostasien-Experte Martin-Stuart Fox glauben daher nicht, dass gewaltsame Proteste von der vietnamesischen Führung »gewollt und gesteuert« werden. Für die Regierung in Hanoi sei der Umgang mit dem Volkszorn ein Drahtseilakt.

* Aus: neues deutschland, Freitag 16. Mai 2014


Zündfunke HYSY-981

Vietnamesisch-chinesischer Streit um die Paracel-Inseln eskaliert

Von Detlef D. Pries **


Jahrzehnte schon streiten China und Vietnam um die Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer. In dieser Woche hat der Konflikt in Vietnam zu antichinesischen Gewaltausbrüchen geführt.

Haiyang Shiyou-981, kurz HYSY-981, ist eine fußballfeldgroße Tiefseebohrplattform des staatseigenen chinesischen Ölunternehmens CNOOC. Seit 2. Mai steht sie etwa 120 Seemeilen vor der vietnamesischen Insel Ly Son, auf dem vietnamesischen Kontinentalschelf und innerhalb der 200 Meilen ins Meer reichenden Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), in der ein Küstenstaat das alleinige Recht auf wirtschaftliche Nutzung beanspruchen kann.

Den Standort bestreitet China nicht, doch nach Pekings Argumentation steht die Bohrinsel ganze 17 Seemeilen (31 Kilometer) vor der Triton-Insel (chinesisch Zhongjian), dem westlichsten Eiland des Paracel-Archipels. Auf die Inselgruppe, die in China Xisha und in Vietnam Hoang Sha heißt, erheben beiden Saaten Anspruch. Faktisch wird sie seit 1974, als chinesische Truppen die Kräfte des untergehenden südvietnamesischen Regimes aus dem westlichen Teil des Archipels vertrieben, vollständig von China beherrscht. So sei das schon seit Jahrhunderten, seit Chinesen die Inselgruppe entdeckt haben, heißt es in Peking. Hanoi dagegen beruft sich beispielsweise auf eine Karte des belgischen Geografen Philippe Vandermaelen aus dem Jahre 1827, die das Gebiet der Paracel-Inseln als Teil des heutigen Vietnams (damals in Europa Cochinchina genannt) kennzeichnete.

Seit unter dem Boden des Südchinesischen Meeres, das in Vietnam nur Ostmeer heißt, reiche Öl- und Gasvorkommen vermutet werden, vertreten beide Staaten ihren Anspruch mit Nachdruck. Zwar hat sich auch China in einer Absichtserklärung zum Verhalten im Südchinesischen Meer gemeinsam mit den Staaten der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN) im Jahre 2002 zu friedlicher Streitschlichtung und Zurückhaltung bekannt, doch über die Paracel-Inseln lässt Peking nicht mit sich verhandeln. Und da der Archipel zweifelsfrei chinesisch sei, heißt es dort, operiere HYSY-981 innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone Chinas.

Wohl in Voraussicht vietnamesischer Versuche, die Verankerung der Plattform zu verhindern, ließ Peking einen Begleitkonvoi auffahren, der nach vietnamesischen Angaben 80 teils bewaffnete Schiffe umfasst. Hanoi bot dagegen mehr als 30 Schiffe auf. Gegenseitig warf man sich vor, die eigenen seien mehrfach von Schiffen der anderen Seite gerammt worden. China habe Wasserkanonen eingesetzt, beschwerte sich Hanoi. Das sei schon ein Zeichen »äußerster Zurückhaltung«, entgegnete das chinesische Außenministerium.

Die diplomatischen Drähte zwischen Hanoi und Peking liefen heiß, doch wurden offenbar nur Forderungen nach Respektierung der jeweils eigenen territorialen Integrität und Souveränität ausgetauscht. Und als der US-amerikanische Außenminister das chinesische Verhalten als »provokativ« bezeichnete, wurde das in Peking als »Kriegstreiberei« gewertet. Außenminister Wang Yi forderte Kerry per Telefon auf, die »Provokationen« dritter Staaten nicht weiter zu unterstützen.

Vietnams Regierungschef Nguyen Tan Dung appellierte beim Gipfel der ASEAN am Wochenende in Myanmar an die Solidarität der Nachbarstaaten. Die riefen jedoch nur alle Seiten dazu auf, eine Eskalation zu vermeiden. Zu groß ist die wirtschaftliche Abhängigkeit der meisten ASEAN-Mitglieder von China, als dass sie sich scharfe Kritik erlauben könnten. Selbst Vietnams Entwicklungsstrategie baut in erheblichem Maße auf Investitionen aus dem Ausland. Chinesisches Kapital macht inzwischen 7 Prozent aller ausländischen Investitionen in Vietnam aus.

So wie sich Volkszorn in China gegen japanische Einrichtungen und Unternehmen richtete, als im September der Streit um die Senkaku/Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer hochkochte, ließ nun Vietnam dem patriotischen Protest seiner Bürger freien Lauf. Auch Auslandsvietnamesen in verschiedenen Ländern wurden mobilisiert. Doch in dieser Woche liefen die Demonstrationen aus dem Ruder: In der Provinz Binh Duong wurden Gebäude etlicher chinesischer und taiwanischer Unternehmen in Brand gesetzt. Berichtet wird von einem chinesischen Arbeiter, der in der Provinz Ha Tinh ums Leben kam, von Verletzten, Fliehenden und Verhafteten. Vietnam sei ein friedliebendes Land, zitierte Reuters einen Beamten, »aber man sollte den Drachen nicht wecken«.

** Aus: neues deutschland, Freitag 16. Mai 2014


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