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Streit um Inseln

Vietnam: Gewaltsame Proteste nach Eskalation von Grenzkonflikt mit China. Minister beider Länder verhandeln

Von Gerhard Feldbauer *

Nach tagelangen gewaltsamen Protesten bemühten sich Peking und Hanoi um eine Entspannung der Lage. Bei einem Treffen am Freitag wollten einem Bericht von China Radio International zufolge Chinas Handelsminister Gao Hucheng und der vietnamesische Minister für Industrie und Handel, Vu Huy Hoang, Maßnahmen beraten, um die Gewalt gegen chinesische Unternehmen in Vietnam zu beenden. Nachdem der Grenzkonflikt der beiden Länder um die Paracel- und Spratly-Inseln Anfang Mai eskaliert war, wurden in den vergangenen Tagen in vietnamesischen Städten chinesische Betriebe besetzt, laut Agenturberichten Gebäude in Brand gesteckt und Einrichtungen demoliert. Nach Angaben aus Peking wurden dabei mindestens zwei Chinesen getötet und mehr als hundert weitere verletzt. In Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt und weiteren Städten forderten Tausende vietnamesische Demonstranten »China get out of Vietnam«. Vietnams Premierminister Nguyen Tan Dung rief am Donnerstag die Polizei auf, die Sicherheit ausländischer Unternehmen zu gewährleisten.

China hatte in das von beiden Staaten beanspruchte Gebiet eine Ölplattform verlegt, das südliche Nachbarland betrachtet es dagegen als seine Wirtschaftszone. Als vietnamesischer Küstenschutz das Verankern der Bohrinsel verhindern wollte, kam es Anfang Mai zu Zusammenstößen mit chinesischen Kriegsschiffen, bei denen Wasserkanonen eingesetzt wurden. Hanoi meldete zahlreiche Verletzte. Nguyen Tan Dung verurteilte auf dem ASEAN-Treffen vergangene Woche in Myanmar die »extrem gefährlichen Aktivitäten« Chinas. Pekings Außenministerium dementierte dagegen den Einsatz von Kriegsschiffen und forderte Vietnam auf, »die chinesischen Handlungen nicht zu stören« und sich »den Realitäten zu stellen«.

In der Gegend um die Inselgruppen im Südchinesischen Meer gibt es reiche Fischfanggründe und immense Vorkommen an Gas und Öl. Peking beansprucht rund drei Viertel des Meeresgebietes vor Vietnam als »historisch« zu China gehörend. Allerdings war Vietnam mehr als 2000 Jahre gegenüber China tributpflichtig, wogegen sich das Land immer zur Wehr setzte. Seit es 1945 seine Unabhängigkeit von Frankreich erlangt und sich gegen dessen Intervention und das Eingreifen der USA verteidigt hatte, beansprucht Vietnam die Paracel- und Spratly-Inseln als Hoheitsgebiet. Nach Meinung internationaler Rechtsexperten könne sich Hanoi dabei auf das Seerechtsabkommen der UNO stützen, während Peking seinen Ansprüchen kaum Geltung verschaffen könne, da die Gewässer sich größtenteils in Bereichen anderer Staaten befänden. Kenner Chinas beobachten, daß im Rahmen des erweiterten Spielraums für den Kapitalismus in China der alte Han-Großmachtchauvinismus mit dem Ziel der Beherrschung Asiens Auftrieb erhalte.

Eine von Vietnam angestrebte gemeinsame Erklärung der ASEAN-Tagung gegen das Vorgehen Chinas kam in Myanmar nicht zustande. Kambodscha blockierte dies, aber auch andere Mitgliedsstaaten wollten sich nicht gegen Peking positionieren.

Das US State Department nannte Chinas Vorgehen »eine Provokation«. Die Vereinigten Staaten versuchen, sich als Schutzmacht aufzuspielen und so den Konflikt für den Ausbau ihrer Präsenz im asiatisch-pazifischen Raum gegen China zu nutzen. Seit dem Besuch der US Navy in der vietnamesischen Hafenstadt Da Nang 2010 versuchen die USA, den früheren Kriegsgegner als Verbündeten darzustellen. Hanoi weist dies zurück und ordnet die Visite in die militärischen Beziehungen zwischen den Ländern ein. Diese wurden in den letzten Jahren weiter intensiviert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 17. Mai 2014


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