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Papua trauert um Kelly Kwalik

OPM-Führer von indonesischer Polizei erschossen

Von Kristina Neubauer *

Das Jahr 2009 endet für die indigene Papuabevölkerung mit einem weiteren Schlag: Der Führer des bewaffneten Flügels der Unabhängigkeitsbewegung OPM/TPN Kelly Kwalik wurde am vergangenen Mittwoch, den 16. Dezember 2009, von der Polizei erschossen. Der Tod des 60jährigen Widerstandskämpfers hat seitdem Hunderte indigene Papua in Jayapura und Timika dazu veranlasst, auf die Straßen zu gehen und gegen das Vorgehen der indonesischen Sicherheitskräfte in Papua zu demonstrieren. Polizei und Militär sind in erhöhter Alarmbereitschaft.

Kelly Kwalik wurde am 16. Dezember 2009, gegen 03:00 Uhr, von Angehörigen der Polizeisondereinheit Brimob (Brigade Mobil) und der Anti-Terroreinheit Densus 88 (Detasement Khusus 88) in einem Haus in Gorong-Gorong, Landkreis Mimika, Provinz Papua, erschossen. Medienberichten zufolge traf eine Kugel den Widerstandskämpfer in den linken Oberschenkel. Kelly Kwalik verblutete an der Verletzung kurze Zeit später im Krankenhaus von Kuala Kencana, Stadt Timika. Polizeisprecher Agus Rianto sagte, Kwalik habe eine Waffe auf die Polizisten gerichtet, woraufhin einer der Polizisten Kelly Kwalik ins linke Bein geschossen habe Fünf weitere Männer, darunter ein 10jähriger Junge, die sich im Haus mit Kelly Kwalik aufhielten, wurden von der Polizei verhaftet und sollen "zur eigenen Sicherheit" nach Jakarta gebracht werden.

Der Leichnam war noch am Tag der Erschießung zur Autopsie und Identifizierung ins Polizeikrankenhaus nach Jayapura geflogen worden. Familienangehörigen und Menschenrechtsverteidigern wurde der Zugang zum Krankenhaus verwehrt. Am Freitag, den 18.12.2009, wurde der Leichnam aufgrund des öffentlichen Drucks unter Polizeibegleitung wieder in seine Heimat nach Timika überführt. Eine unabhängige Autopsie des Leichnams erfolgte nicht.

Über 1.000 Menschen sollen der Trauerzeremonie von Kelly Kwalik am vergangenen Montag, den 21.12.2009, in Timika beigewohnt haben. Der katholische Bischof John Philip Saklil, der die Zeremonie leitete, bezeichnete Kwalik als eine große Persönlichkeit. Er habe konsistent gegen Unterdrückung, Armut und die Vernichtung der indigenen Gemeinschaft gekämpft, sagte der Bischof während einer Messe vor dem lokalen Parlamentsgebäude in Timika. Der Führer des Traditionellen Papua Rates (Dewan Adat Papua) Forkorus Yaboisembut bezeichnete in seiner Trauerrede Kelly Kwalik als einen Widerstandskämpfer der Würde. Yaboisembut forderte die Menschen auf, weiter mit Würde und mit formellen Mechanismen für ihre Rechte einzutreten. An die internationale Gemeinschaft appellierte er, Sanktionen gegenüber den indonesischen Sicherheitskräften zu verhängen.

Die Trauerzeremonie war von hohen Sicherheitsvorkehrungen der indonesischen Polizei und des Militärs begleitet worden. Dutzende schwerbewaffnete indonesische Polizisten und Soldaten sollen Medienberichten zufolge das Parlamentsgebäude bewacht haben. Auch andere Objekte wie Banken, Geschäfte und der Flughafen von Timika standen während der vergangenen Tage unter Schutz der indonesischen Sicherheitskräfte, die seit der Erschießung von Kelly Kwalik in erhöhter Alarmbereitschaft sind. Forderungen der Familie, während der Trauerfeier die Morgensternflagge wehen zu lassen, waren von der indonesischen Polizei zurückgewiesen worden. Das Hissen der Flagge würde die Sicherheit während der Trauerzeremonie gefährden, sagte der Polizeichef der Provinz Papua, Bekto Suprapto. Unterstützer Kwaliks hatten die Fahne stattdessen über den Sarg des Ermordeten gelegt.

Seit der Ermordung Kelly Kwaliks sind Hunderte indigener Papua in Timika und Jayapura auf die Straße gegangen, um ihrem Protest gegenüber dem Vorgehen der indonesischen Sicherheitskräften Ausdruck zu verleihen. Dabei war es kurzfristig auch zu Gewaltausschreitungen gekommen: Demonstranten bewarfen am Samstag, den 19. Dezember 2009, Polizisten vor dem Parlamentsgebäude in Timika mit Steinen, woraufhin diese die Demonstration mit Warnschüssen auflösten. In Sentani, Landkreis Jayapura, war es am Freitag zu Übergriffen gegenüber Journalisten gekommen, die über den Protest hunderter Papua, die sich am Grab des 2001 getöteten Unabhängigkeitsführers Theys Hiyo Eluays versammelt hatten, berichten wollten.

Kelly Kwalik war der von den indonesischen Sicherheitskräften meistgesuchte OPM-Führer in Papua. Die Polizei beschuldigt Kwalik, für die Serie von Attentaten auf Mitarbeiter des US-amerikanischen Bergbauunternehmens Freeport seit Juli 2009 verantwortlich zu sein (vgl. E-Info vom 17.07., 20.08. und 26.10.2009). Kelly Kwalik hat sich von diesen Anschlägen stets distanziert. Der Führer des bewaffneten Arms der Unabhängigkeitsbewegung OPM/ TPN hatte sich in den vergangen Jahren vom bewaffneten Kampf abgewandt und die gewaltfreie Kampagne "Papua, Land des Friedens" unterstützt. Diesem Aufruf kamen auch die wichtigsten Unabhängigkeitskämpfer in den anderen Regionen Papuas nach. Sie könnten sich durch die Ermordung Kelly Kwaliks nun provoziert fühlen.

Die Erschießung Kelly Kwaliks durch die indonesische Polizei erfordert eine unabhängige Untersuchung und Strafverfolgung der Täter. Menschenrechtsverteidiger müssen Zugang zu den fünf Verhafteten Jeep Murip (24), Noni Sanawarme (35), Martimus Katarame (21), Yorni Murip (10) und Yosep Kwamtik (60) erhalten, die momentan in Polizeigewahrsam in Jayapura sind und möglicherweise die einzigen Zeugen des Vorfalls darstellen.

Die Tötung eines weiteren Führers der indigenen Papua durch die indonesischen Sicherheitskräfte provoziert die indigene Papuabevölkerung und schürt anti-indonesische Emotionen und Proteste. Religions- und traditionelle Führer, Politiker, Akademiker wie Gruppen der Zivilbevölkerung haben im Jahr 2009 verstärkt um einen Dialog mit der indonesischen Zentralregierung gebeten, um Lösungen für die bestehenden Probleme in Papua zu finden und den Konflikt zwischen Papua und Jakarta friedlich zu lösen. Die Erschießung Kelly Kwaliks kurz vor Weihnachten ist für die indigenen Papua ein weiterer Schlag ins Gesicht.

* West Papua Netzwerk, E-Informationsbrief vom 23.12.2009; Internet: www.westpapuanetz.de


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