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Die Passion der Papua

Eine Nachrichtenübersicht zur Menschenrechtslage und zur indonesischen Besatzungspolitik in West Papua

Im Folgenden dokumentieren wir den neuesten Informations-Brief des West Papua Netzwerk*.


E-Info-Brief Nr. 160 vom 9. März 2005

In Anlehnung an die Studien des römisch-katholischen Sekretariats für Gerechtigkeit und Frieden in West-Papua aus vergangenen Jahren [1], wähle ich den Begriff „Passion“ im Titel dieser Nachrichtenübersicht. Trotz großer Wahlversprechen an die Papua und bemerkenswerten Äußerungen in seiner Antrittsrede als Präsident Indonesiens, und trotz des „Weihnachtsgeschenkes“ in Form eines zu bildenden Volksrates der Papua, hat sich in den 5 Monaten seit Amtsantritt Susilo Bambang Yudhoyonos die konkrete Lage in West-Papua nicht verbessert. Für viele Tausende Menschen und für die einzigartige Umwelt West-Papuas ist diese vorösterliche Zeit eine wahre Leidenszeit.

1. Die Situation in Puncak Jaya

Anfang Februar wurde der Bericht des auf Druck der Studentenschaften vom Provinzparlament gebildeten Untersuchungsteams zur Erkundung der Situation in der Hochlandregion Puncak Jaya bekannt gegeben [2]. Das dreiunddreißigköpfige Team, das aus Parlamentariern, Studenten / Jugendlichen, Menschenrechtlern, Religionsführen, Polizisten und Soldaten bestand, besuchte die Krisenregionen Mulia und Tingginambut vom 27. Dezember 2004 bis zum 3. Januar 2005.

Das Untersuchungsteams hatte sich vorgenommen, die extrem angespannte Lage zu beobachten und der Bevölkerung humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Neben Gesprächen mit den örtlichen Autoritäten, sprach das Team täglich mit Flüchtlingen, Vertretern der Kirchen und traditionellen Häuptlingen. Außer der Stadt Mulia wurden die Dörfer Gurage, Monia, Urigele, Dondo und Tingginambut besucht. Berichtet wird, dass die Bevölkerung sich trotz (oder gerade wegen) der starken Militärpräsenz nicht sicher fühle. Es gibt häufig gewalttätige Übergriffe der Sicherheitskräfte auf die Zivilbevölkerung.

In der Stadt Mulia halten sich noch 548 Flüchtlinge auf, die in 15 traditionellen Hütten (Hornai) oder bei Verwandten wohnen. Die Hütten haben weder Toiletten noch Waschmöglichkeiten. Immer mehr Flüchtlinge werden krank und es gibt keine Medizin und kaum Krankenpfleger. Die Medizin wurde den Flüchtlingen seit dem 12. November 2004 verweigert, als Strafe für die Ermordung eines Polizisten.

Der örtliche Sozialdienst und die Kirche versorgten die Flüchtlinge mit Reis und Nudelsuppe. Da es aber keine Hilfe von außerhalb gab, waren die Ressourcen bald erschöpft und mussten die lokalen Hilfsleistungen am 21. Dezember 2004 eingestellt werden. Die Menschen bekommen seitdem keine geregelten Mahlzeiten mehr und leben hauptsächlich von Früchten. In den abgelegenen Dörfern ist die Lage teilweise noch schlimmer. Das Untersuchungsteam gibt die Gesamtzahl der Flüchtlinge mit 14.248 an, wovon alleine im Sub-Distrikt Tinggi Nambut 12.000 leben. Für sie gibt es überhaupt keine Hilfe. Sie leben in den Wäldern und in Höhlen. Am Yamo – Fluss gibt es 700 bis 1000 Hungernde und Kranke.

Sechs Monate dauert der Terror an der Bevölkerung Puncak Jayas nun schon an.

2. Militärische Gewalt in anderen Gebieten

Aus Biak wurde berichtet, dass das indonesische Militär am 11. Februar 2005 eine Gebetsveranstaltung von 500 Menschen, die sich am 40. Tag nach dem Tode des Papua-Führers Melkianus Awom versammelt hatten, angegriffen habe. Die Soldaten hätten in die Richtung der Papua geschossen und Häuser durchsucht, sodass viele aus Angst in die umliegenden Wälder geflüchtet sind.

Wenige Tage nach dem Vorfall in Biak, schoss die militärische Kampfeinheit der Polizei (Brimob) im Regierungsbezirk Mimika auf eine Gruppe Demonstranten. Leute aus den Dörfern hatten von dem für Waldkahlschlag und Raubfischerei berüchtigten Unternehmen Djajanti Group angemessene Entschädigungen gefordert. Ein Zivilist wurde schwer verletzt. Wie so oft, beschützten die indonesischen Streitkräfte nicht die Zivilbevölkerung, die berechtigte Forderungen stellt, sondern die zum Teil illegal operierenden Großkonzerne.

3. Dunkle Militärgeschäfte

Laut neusten Untersuchungen der Londoner Umweltorganisation Environmental Investigation Agency und der indonesischen Nichtregierungsorganisation Telapak werden monatlich etwa 300.000 Kubikmeter des sehr wertvollen Merbau-Holzes aus West-Papua nach China geschmuggelt [3].

Papua haben fast nur Nachteile an den Holzgeschäften. Die Gemeinschaften, denen die Wälder gehören, bekommen höchstens US $11 pro Kubikmeter Holz. Beim verlassen des Häfens in West-Papua beträgt der Preis bereits $120. In China wird das Edelholz dann als Parkett für $468 verkauft. In England, und wohl auch in Deutschland, muss man $2.288 für einen Kubikmeter des Edelholzes hinblättern. Wird das Holz von den indonesischen Sicherheitskräften beschlagnahmt, geht die Bevölkerung leer aus.

Am 24. Februar berichtete die Jakarta Post, dass die Ostflotte der indonesischen Marine und Offiziere des Regionalkommandos des Heeres in die illegalen Geschäfte verwickelt sind. Das Militär werde bei diesen dunklen Geschäften durch Personen der regionalen Obrigkeit gedeckt. „Firmen, die in den Holzraub aus Papua verwickelt sind, werden auf Schritt und Tritt von Beamten des Militärs, der Polizei und des Forstministeriums unterstützt, so lange die verlangten Schmiergelder gezahlt werden. Die Militärs in Papua sind in jeden einzelnen Aspekt des illegalen Holzhandels involviert ... Häufig werden Angehörige des Militärs in die Wachdienste der Holzfirmen eingestellt.“[4]

4. Die Spaltung der Provinz ist ein Vorteil für das Militär

Nachdem der neue Präsident am Zweiten Weihnachtstag den Papua „ihren“ Volksrat (MRP) beschert hatte (welches allerdings nicht viel Freude auslöste), schockierte er sie bald darauf mit der Ankündigung, er wolle bis 2009 West-Papua in 5 Provinzen aufteilen. Alles sei schon mit Papua-Gouverneur Solossa abgesprochen. Hinfort sollte die Region in die Provinzen West Papua, Cendrawasih Bucht, Nord Papua, Zentralgebirge Papua und Süd-Papua aufgeteilt werden. Ob dies die vom Verfassungsgericht am 11. November 2004 für rechtmäßig befundene Provinz „West Irian Jaya“ einschließt ist nicht deutlich, aber eher fraglich.

Das Sonderautonomiegesetz (UU 21/2001) schreibt in § 76 vor, dass die Volksvertretungen der Papua (DPR-D und MRP) die Bildung neuer Provinzen genehmigen müssen. Deshalb hatte der Präsidentenerlass 1/2003 von Megawati Sukarnoputri, der die Inkraftsetzung der Spaltung der Provinz in 3 Teile vorsah, massiven Protest bei der Mehrheit der Papua ausgelöst [5]. Megawati hatte es nicht für nötig gehalten, die Papua zu konsultieren. Deshalb wählten die Papua sie auch nicht wieder, sondern schenkten ihr Vertrauen Susilo Bambang Yudhoyono.

In dem von Yudhoyono am 23. Dezember 2004 unterschriebenen Regierungsreglement Nr. 54/2004 zur Bildung des Volksrates des Papua (MRP) ist die Macht des Volksrates der Papua hinsichtlich der Gründung neuer Provinzen erheblich eingeschränkt. Jetzt dürfe der Volksrat nur noch Erwägungen einbringen und Zustimmen (§ 71,1); für eine mögliche Ablehnung gibt es keine klare Regelung. Obwohl der Volksrat noch gar nicht gewählt worden ist, fordert die Regierung in Jakarta, dass er die Spaltung West-Papuas in 5 Provinzen unterstützen soll.

Jakarta erhofft sich durch die Spaltung den Aufbau weiterer Bürokratien zur intensiveren Entwicklung und besseren Kontrolle der Region. Carmel Budi von der britischen Organisation TAPOL argumentiert, dass hier wieder einmal das Militär sich durchsetzen konnte. Die Streitkräfte profitieren am allermeisten an einer mehrfachen Spaltung West-Papuas. Den politischen Einfluss, den das Militär nach dem Sturz der Suharto-Diktatur verloren hat, will es sich als „Retterin der Einheit Indonesiens“ und im „Kampf gegen den Separatismus“ wieder zurückerobern. Die Gründung neuer Provinzen brächte eine Vervielfachung der Militäreinheiten mit sich und ideale Karrierechancen für jüngere Offiziere aus anderen Teilen Indonesiens. Zudem würde das Militär seinen eisernen Griff auf die multinationalen Konzerne und andere lukrative Zweige der legalen und illegalen Wirtschaft verstärken können.

Die indonesischen Streitkräfte würden, laut A.N. Ipenburg (Niederlande), alle Bewegungen zwischen den Provinzen in sogenannten „no-go zones“ kontrollieren können. Nichtregierungsorganisationen, die es jetzt schon schwer haben zu operieren (sowohl finanziell, als auch personell und rechtlich), müssten notgezwungen Büros in jeder Provinzhauptstadt einrichten und ihre Mitarbeiterschaft vergrößern. Das gleiche gälte für die Kirchen und Hochschulen. Insgesamt bedeutet die Spaltung der Provinz eine Schwächung der einheimischen Zivilgesellschaft und eine Stärkung der überwiegend durch Nicht-Papua besetzten Bürokratie und Sicherheitskräfte.

5. Militärische Zusammenarbeit wichtiger als Menschenrechte?

ELSHAM-Papua und das Robert F. Kennedy Memorial Center für Menschenrechte haben neue Indizien dafür angeführt, dass das indonesische Militär in die Tötung zweier US-amerikanischer und eines indonesischen Lehrers und die Verwundung acht weiterer US-Amerikaner am 31. August 2002 in Timika, West-Papua, verwickelt war [6]. Der Überfall wurde auf dem stark vom indonesischen Militär bewachten Gelände des Großkonzerns Freeport McMoRan Copper & Gold mit hochentwickelten Schusswaffen verübt. Er galt als das größte Hindernis bei der Wiederaufnahme der teilweise bereits seit 1992 und vollends im September 1999 wegen der Massaker in Ost Timor aufgekündigten Zusammenarbeit in der Fortbildung indonesischer Offiziere in den USA.

Ermittelt wurden starke Geschäftsbeziehungen zwischen Anthonius Wamang, einem dem Widerstand (OPM) zugehörigen und von einer US – Juri im Juni 2004 wegen des Anschlages verurteilten Papua, und dem indonesischen Militär (Sondereinheit Koppassus). In einer Videoaufnahme, die im August 2004 von der Australian Broadcasting Corporation ausgestrahlt wurde, gibt Wamang zu, Munition von der indonesischen Armee eingekauft zu haben. Es gäbe auch Beweise, dass die indonesische Armee im Frühjahr 2002 während eines drei monatigen Aufenthaltes Wamangs auf Java dessen Reise- und Hotelkosten bezahlt habe.

Der indonesische Verteidigungsminister Juwono Sudarsono hatte zugegeben, dass das indonesische Militär in der Vergangenheit destabilisierende Aktionen unternommen habe um Freeport McMoRan Copper & Gold unter Druck zu setzen. Es wird stark angenommen, dass der Anschlag im August 2002 vom indonesischen Militär geplant und durchgeführt wurde, um der abnehmenden Bereitschaft des Großkonzerns, Schutzgelder ans Militär zu zahlen, entgegenzuwirken. Gemäß offizieller Angaben von Freeport, zahlte der Konzern im Jahre 2002 insgesamt $5,6 Millionen an Schutzgeldern an das indonesische Militär. Es habe sogar direkte, monatliche Überweisungen von $1800 bis $2100 auf das Privatkonto des Kommandeurs gegeben. Diese Zahlungen wurden aber in den Monaten vor dem August 2002, als der Anschlag stattfand, eingestellt. Dazu war das Konzern durch eine neue US-Reformgesetzgebung veranlasst worden.

Trotz der wohlbegründeten Vermutung, dass Anthonius Wamang vom indonesischen Militär für den Anschlag instrumentalisiert worden war, um damit den Verdacht auf die Widerstandsbewegung OPM zu lenken, stellte die Bush-Administration im Juni 2004 die vom FBI geführten Ermittlungen ein, da als bewiesen galt, dass nicht das indonesische Militär, sondern der Papua-Widerstand für den Anschlag verantwortlich sei.

Als eine ihrer ersten Amtshandlungen als neue US-Außenministerin wendete sich Condoleeza Rice den militärischen Beziehungen der USA mit Indonesien zu. Rice urteilte, dass das indonesische Militär im umfassenden Sinne mit dem FBI zusammengearbeitet habe und auch weiterhin zusammenarbeite. Da dadurch alle US-Auflagen erfüllt seien, könne die Zusammenarbeit im Rahmen der Internationalen Militärausbildungs- und Übungsprogramms (IMET), in dem indonesische Offiziere eine kostenlose Fortbildung in den USA erhalten, wieder aufgenommen werden.

Die militärische Zusammenarbeit mit den USA hat höchste Priorität für die Regierung in Jakarta. General a. D. Susilo Bambang Yudhoyono hatte in der Vergangenheit das IMET-Programm selber absolviert. Auch der neue Armeechef, General Djoko Santoso, wurde in den USA ausgebildet. Konkret bedeutet IMET eine ausbildungstechnische und finanzielle Unterstützung Indonesiens von ca. US $600.000. Viel wichtiger ist jedoch der politische Effekt: De facto wird damit der Anschein gegeben, dass das indonesische Militär eine demokratische oder zumindest eine sich demokratisierende Instanz ist.

Umgekehrt ist der Bush-Administration unter dem Vorwand der Förderung der indonesischen Demokratie tatsächlich die Zusammenarbeit im Krieg gegen den Terror wichtiger als die Wahrung der Menschenrechte. Der Washingtoner Analist David Isenberg [7] warnt davor, dass nach der Wiederaufnahme des IMET - Programms als letzte Hürde zu einer umfassenden militärischen Zusammenarbeit nur noch das Verbot des Waffenhandels mit Indonesien bleibe. Aber wie lange noch? Und wie soll die Demokratisierung Indonesiens Fortschritte machen, wenn für Verbrechen des Militärs nach wie vor Straffreiheit herrscht? (uh)

Fußnoten
  1. Memoria Passionis di Papua, Kondisi Sosial Politik dan Hak Asasi Manuasia: Gambaran 2000 dan 2001, Herausgeber Theo van den Broek et al, Jakarta, 2001 / 2003.
  2. “Asesmen situasi terakhir Pengungsi di Puncak Jaya, Papua”, Tim Peduli Kemanusiaan untuk Puncak Jaya´, Desember 2004 – Januari 2005
  3. The Last Frontier. Illegal Logging in Papua and China’s Massive Timber Theft, Telapak / Enviromental Investigation Agency, Emmerson Press, London, 2005, S. 5 und S. 22. Da im Jahre 2004 insgesamt 2,3 Millionen Kubikmeter Merbau illegal aus Indonesien exportiert wurde, scheint das Holz ausschließlich aus West-Papua zu stammen. Merbau = Intsia amboinensis Thouars oder Intsia palembanica.
  4. Ebd. S. 8.
  5. Megawati hatte mit ihrem Erlass das von Habibi erarbeitete, von Abdurrahman Wahid aber nicht implementiertes Gesetzt UU 45/1999 in Kraft gesetzt. Am 11. November 2004 wurde eben dieses Gesetz vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig annulliert. Es widersprach dem Sonderautonomiegesetz (UU 21/2001), welches vorschreibt, dass das Provinzparlament und der Volksrat der Papua einer Spaltung zustimmen müssen.
  6. The West Papua Report, February 2005, Robert F. Kennedy Memorial Center for Human Rights (CHR)-West Papua Advocacy Team.
  7. David Isenberg, “US back in step with Indonesia”, 2005.
* West Papua Netzwerk, Koordinationsstelle
Rudolfstr. 137, 42285 Wuppertal
e-mail: west-papua-netz@vemission.org
Website: www.west-papua-netz.de


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