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Über die Sehnsucht nach Freiheit

Die Fotoausstellung "Fata Morgana" erzählt vom Leben und vom Kampf in der von Marokko besetzten Westsahara. Und in den Flüchtlingslagern bei Tindouf. Ein Rundgang

Von Gerd Schumann *

Im Schaufenster der Ladengalerie von junge Welt großformatige Plakate. Aminatou Haidar als stilisiertes Porträt, »Sahara vencera«, die Sahara wird siegen, steht darunter, wegweisend. Daneben ein Druck der Polisario-Fahne, symbolisierend Vergangenheit und Zukunft der von Marokko besetzten Westsahara, Afrikas letzte Kolonie. Die »Frente«, wie die Befreiungsbewegung auc h genannt wird, als bleibende Hoffnungsträgerin, und Jamal Zakari, ihr Vertreter in Deutschland, meint, daß die Ausstellung ein Beitrag sei »gegen das Vergessen« – was heißt: Sie schafft Öffentlichkeit gegen die Arroganz des Verdrängens und des Schweigens, die den Menschen in der Westsahara so wehtut.

Verlassen von der Welt, in die sie einst soviel Hoffnung gesetzt hatten: Schon vor mehr als 18 Jahren hätte die saharauische Bevölkerung auf Beschluß der Vereinten Nationen über ihre Zukunft abstimmen sollen. Damals, 1992, als der König von Marokko erstmals in die Trickkiste griff, das Referendum in dem von seinen Truppen okkupierten Gebiet zu verzögern. Und immer wieder zu verzögern, bis heute. Die Menschen der Westsahara hätten »keine Geduld mehr«, so Jamal Zakari. Alle reden von Ben Ali und Mubarak, wer von König Mohammed VI., dem doppelten Unterdrücker?

In der Zeit vor den marokkanischen Monarchen herrschten die spanischen Kolonialisten über die auf den ersten Blick so unwirtliche Einöde. Über die reichen Fischgründe vor deren Küste, die Salpetervorkommen, die unter dem Sand vermuteten Erze und das schwarze Gold. Über »Wind, Sand und Sterne«, die Postflieger und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry nach einer Notlandung vor nun bald 90 Jahren hautnah spürte – dort, »auf der nackten Rinde unseres Planeten in einer Einsamkeit wie zur Stunde der Schöpfung«, so das Erleben des im Wüstenmeer Gestrandeten.

Die Bilder zeigen es. Und sie erzählen Geschichten. Links, gleich neben dem Eingang zur Galerie, die mutterseelenallein auf einem Felsen über den leeren, kargen Weiten thronende »Poetin«, wie das Foto heißt, vor sich auf dem Schoß ein Notebook. Es sieht aus wie echt und scheint doch aus jener Materie zu sein, an der es hier niemals mangelt – ein Computer aus Sand, den die Frau bedient, ganz so, als hätte sie nichts anderes, um ihre Schrift derart zu stellen, daß diese zu einem kleinen sprachlichen Kunstwerk wird. Die Bildkomposition selbst erinnert »an die magischen Verdichtungen Magrittes«, heißt es in den Anmerkungen zur Biographie des Fotografen Federico Guzmán (Jahrgang 1964). Guzmán, ein präziser Beobachter aus Sevilla, meint, daß »Kunst eine stärkere Waffe als Gewehre« sein könnte – ein schöner Gedanke.

Und doch: Alle Bilder handeln auch von Geschichte, berichten vom Leid in immer noch nicht abgeschlossenen Kapiteln durch die Jahrzehnte. Von der Vertreibung der 200000 mit Bomben und Raketen durch die königliche Armee 1976, der Unterdrückung in den dann besetzten Gebieten, vom Widerstand durch die Wüstenguerilla, dem harten Leben in den auf algerischem Boden entstandenen Flüchtlingslagern und ihrer seit drei Generationen dort aushaltenden Bewohner. Die Camps tragen den Namen großer westsaharauischer Städte – Al-Aiun, Smara, Ausert, Dhakla–, in denen ihre Verwandten leben, die sie noch nie gesehen haben. Getrennt von einem weltweit einmaligen Gebilde, das schon wegen seiner Länge von 1700 Kilometern nicht mit dem Palisadenwall vergleichbar ist, den Israel gegen Palästina gezogen hat – ein Monstrum von Mauer quer durch die Sahara, gespickt mit Millionen Minen, international trotzdem kaum wahrgenommen.

Im Schatten des marokkanischen Walls sitzt die 20jährige Nazle aus dem Smara-Camp. Bettina Semmer, Kuratorin der Ausstellung, hat sie dort im vergangenen Jahr gefilmt, nahe des Wüstenorts Tifariti– einer Art sozialer Oase in den befreiten Gebieten mit Schule und Krankenhaus für die beduinische Bevölkerung. Nazle spricht direkt ins Mikrofon, ganz nah vor ihrem Mund, und doch zerrt der schneidende Wüstenwind an ihren Worten, knarziger Dauerton, der »Wüste im richtigen Sinne des Wortes« (Zakari) hörbar macht. Noch nie hat »Das weinende Mädchen«, wie der kurze, ausdrucksstarke Film betitelt ist, das saharauische Meer gesehen, die Früchte von Bäumen gegessen, es kommt nicht über die Mauer, »hinter der ich Familie habe«. Ihr Postulat lautet kurz und wahr: »Sahara libre«.

Die Freiheit als Ziel, ein süchtiges Sehnen diesseits und jenseits des »Bauwerks der Angst«. 30000 waren es, die im Herbst vergangenen Jahres den Protest aus den Sahara-Städten am Atlantik heraustrugen, 800 Zelte aufschlugen, große Beduinenunterkünfte, und aus denen heraus die Menschen versuchten, auf sich und die Lage im Land aufmerksam zu machen. Von sozialer Deklassierung, von Folter, Rechtlosigkeit und Dauerdiskriminierung berichtete ein Jahr zuvor die ausgewiesene Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar, die mit einem Hungerstreik auf Lanzarote ihre Rückkehr in die Westsahara erzwungen hatte – riesig! Diesmal riegelte Marokko die Lager ab, Spezialpolizisten und Soldaten kreisten sie ein und schlugen am zweiten Montag im November zu, mit Feuer und Schwertern, Knüppeln und Gewehren. Gebrandschatztes Camp, Massenverhaftungen, Tote, Verschwundene – noch heute 300 an der Zahl.

Das war die Sprache der Herrschaft. Nein, diesmal tauchte deren Vertreter hierzulande nicht in der jW-Ladengalerie auf. Bei Ausstellungseröffnung wurde kein von der königlichen Botschaft geschicktes Personal gesichtet– anders als vor einem Dreivierteljahr, als der westsaharauische Entwicklungsminister ebendort zu Gast war, bedrängt von Verteidigern der Unterdrückung – erfolglos bedrängt, versteht sich. Diesmal also ohne sie, die eine potentielle Lehrstunde versäumten: Erkenntnisse ziehen aus einem Rundgang – aus den Porträts von Polisario-Kämpfern beispielsweise, aufgenommen mit der Lochkamera von Carlota Beltrame und Sebastián Friedman. Cyanotypien, unscharf, doch mit lebendigen Zügen, Guerilleros fern und geheimnisvoll. Aber präsent!

Natürlich wollen die Männer und Frauen der Wüste nicht wieder bewaffnet kämpfen. Und werden das auch nicht, zwei Jahrzehnte nach dem Waffenstillstand… – wenn sie nicht müssen. Derzeit wird noch verhandelt, derzeit fliegt schon mal ein Stein aus Wut gegen die Mauer, derzeit wächst die Ungeduld. Doch noch scheint alles, wie es war. Die farbenprächtigen, strahlenden Fotografien von Marion Beckhäuser, die im vergangenen Jahr die Flüchtlinge aus drei Generationen bei Tindouf besuchte, als diese den 34. Gründungstag ihrer besetzten Sahararepublik begingen, zeugen davon. Und von der Würde, mit der gefeiert werden kann. Trotz alledem.

* Aus: junge Welt, 12. Februar 2011


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