In den Wüstenlagern wächst die Frustration
UNO räumt ihr Scheitern in der Westsahara ein und befürchtet einen neuen bewaffneten Konflikt
Von Ralf Streck, San Sebastian *
Die UNO muss eingestehen, dass ihre Westsahara-Politik gescheitert ist. Es wächst die Sorge, dass
wieder Kämpfe ausbrechen könnten.
Die Lage in der von Marokko besetzten Westsahara spitzt sich zu. Im letzten Bericht des UNOGeneralsekretärs
warnte Kofi Annan vor dem »Wiederaufleben des bewaffneten Kampfs«. In dem
17-seitigen Papier heißt es, die Frustration der Sahrauis in den Flüchtlingslagern sei sehr groß.
Seit dem Waffenstillstandsabkommen, das vor 15 Jahren zwischen der Befreiungsfront Polisario und
Marokko geschlossen wurde, verhindert das Königreich systematisch das 1991 vereinbarte
Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara, das eine UNO-Mission überwachen soll. Seit
langem warnt die Polisario vor der Stimmung in den Wüstenlagern, in denen etwa 160 000 Sahrauis
leben, die nach der marokkanischen Okkupation vor 30 Jahren geflohen sind. Mitten in der Wüste,
im Grenzgebiet zu Algerien, harren sie seither unter widrigen Bedingungen aus.
Annan bezieht sich auf einen Bericht des UNO-Sondergesandten für die Westsahara. Dieser Job
wird seit einem Jahr vom Niederländer Peter van Walsum ausgeführt. Nach dessen Angaben ist die
»Frustration unter der Jugend groß«. Sie wolle kämpfen und es falle der Polisario-Führung immer
schwerer, die Menschen zu beruhigen, seit sich auch die Lage in den von Marokko besetzten
Gebieten verschärft hat.
Als »besorgniserregend« wird die Menschenrechtssituation in einem Bericht des UNO-Hochkommissariats
für Menschenrechte bezeichnet, der auf die »ungezielte und übermäßige
Gewalt« der Sicherheitskräfte verweist. So habe die marokkanische Staatsanwaltschaft bei einem
Besuch einer Delegation nicht einmal erklären können, »ob angezeigte Foltervorwürfe der Opfer
untersucht worden sind«. Das Hochkommissariat fordert, dass das Recht auf Selbstbestimmung der
Sahrauis ohne Verzögerungen respektiert werden müsse, denn fast alle
»Menschenrechtsverletzungen nährten sich aus der Nichtgewährung dieses Grundrechts«.
Seit Mai 2005 kommt es in den besetzten Gebieten zu Protesten der Sahrauis, die dort bereits in der
Minderheit sind und von Marokko brutal unterdrückt werden. Es gibt Tote im Polizeigewahrsam,
Vergewaltigungen seien an der Tagesordnung, erklären örtliche Menschenrechtsgruppen. Für die
Teilnahme an Demonstrationen werden Haftstrafen bis zu 20 Jahren ausgesprochen. Die Gebiete
sind abgeriegelt, damit keine Informationen über die Lage nach außen dringen. Anfang des Monats
wurde sogar einer Delegation des Europäischen Parlaments die zuvor genehmigte Einreise
verweigert, da deren Zusammensetzung, wie es plötzlich in einem Fax des marokkanischen
Parlamentspräsidenten Abdelwahad Radi zur Begründung hieß, »unausgewogen« sei und »die
Positionen der Polisario unterstützt«.
Annan forderte nun den Sicherheitsrat auf, Druck auf die Polisario und Marokko auszuüben, damit
diese »ohne Vorbedingungen« in direkte Verhandlungen treten. Nur so könne die Blockade
aufgehoben werden. Damit gesteht er ein, dass es die UNO in 15 Jahren nicht geschafft hat,
Marokko zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu bewegen.
Für die Polisario ist die Frage des Referendums aber »nicht verhandelbar«. Bestürzt ist sie darüber,
dass die ehemalige Kolonialmacht Spanien immer klarer Marokko unterstützt, obwohl sie nach dem
überstürzten Abzug versprochen hatte, für die Unabhängigkeit der Westsahara zu sorgen. In der
Vollversammlung der UNO enthielt sich Spanien erstmals zusammen mit Marokko bei der
Abstimmung über eine Resolution, die das Selbstbestimmungsrecht der Westsahara bekräftigte. 14
EU-Staaten, auch Deutschland, stimmten dafür, die Resolution wurde mit 77 Stimmen bei 72
Stimmen Enthaltungen angenommen.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2006
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