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Sorge um Aminatou Haidar

Menschenrechtsaktivistin aus der Westsahara im Hungerstreik. Marokko verweigert Rückkehr zu ihrer Familie

Von Karin Leukefeld *

Nach drei Wochen Hungerstreik ist das Leben der sahrauischen Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar in Gefahr. Haidar war Mitte November von marokkanischen Behörden an der Rückkehr in ihre Heimatstadt Laayoune in der von Marokko besetzten Westsahara gehindert worden. Die Behörden entzogen der Friedensaktivistin ihren Paß und deportierten sie nach Lanzarote. Um ihre Rückkehr zu erzwingen und das Verhalten Marokkos öffentlich anzuprangern, begann Haidar auf dem Flughafen einen Hungerstreik. Ihre starke psychische Verfassung täusche darüber hinweg, daß sie körperlich sehr geschwächt sei, warnte Fernando Peraita, ein spanischer Unterstützer der sahrauischen Unabhängigkeitsbewegung, gegenüber Journalisten. Sie leide an Gleichgewichtsstörungen und könne nicht mehr richtig sehen. Der Arzt Domingo de Guzmán Pérez Hernández sagte gegenüber der spanischen Tageszeitung El País, die Friedensaktivistin schwebe »in Lebensgefahr. Ihre Zeit läuft ab. Wir sprechen nicht von Wochen, sondern von Stunden oder Tagen«.

Die Flughafenleitung hat sich inzwischen an die Behörden der spanischen Insel gewandt, um eine gerichtliche Krankenhauseinweisung Haidars zu erreichen. Seit Beginn des Hungerstreiks sei viel Zeit vergangen, so ein Sprecher des Airports. Daß der Protest sich am Flughafen abspiele, gefährde ihr Leben zusätzlich. Mittlerweile hat man ihr einen kleinen Raum zur Verfügung gestellt, den sie nur noch mit dem Rollstuhl verlassen kann.

Aminatou Haidar tritt seit 20 Jahren für die Unabhängigkeit der Westsahara ein und hatte Ende Oktober in New York für ihr Engagement den »Preis für Zivilcourage« erhalten. Die unter anderem mit der Robert-Kennedy-Menschenrechtsmedaille 2008 ausgezeichnete »Gandhi der Westsahara«, die Mutter von zwei Söhnen ist, war 2005 in Marokko inhaftiert gewesen. Auf Druck der Menschenrechtsorganisation Amnesty International war sie nach mehreren Monaten freigelassen worden. 2006 erhielt sie einen marokkanischen Paß, der ihr erstmals Reisen ins Ausland ermöglichte.

Die spanische Regierung hat Marokko aufgefordert, Aminatou Haidar wieder zu ihrer Familie zurückkehren zu lassen. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero gab »Schwierigkeiten« mit Marokko zu, sagte aber: »Wir tun, was wir können, um eine vernünftige Lösung zu finden«. Spanien hat Haidar angeboten, ihr die spanische Staatsbürgerschaft oder den offiziellen Flüchtlingsstatus zu geben und so lange in Spanien zu leben, bis das Problem gelöst sei. Ihre Familie könne sie jederzeit besuchen. Haidar lehnte das Angebot mit der Begründung ab, sie wolle nicht »Fremde in meiner Heimat« werden. Spanien mache sich mit dem Angebot zum »Komplizen Marokkos«.

Von der nordafrikanischen Besatzungsmacht wurde Haidar beschuldigt, »ihre (marokkanische) Identität und Nationalität verleugnet« zu haben. Nun müsse sie »die gesetzlichen und moralischen Konsequenzen akzeptieren, die so ein Verhalten nach sich zieht«, erklärte der marokkanische Außenminister Taïeb Fassi Fihri.

Seit Jahrzehnten kämpfen die Sahrauis um ihre Freiheit. Nachdem sich die Kolonialmacht Spanien 1975 aus der Westsahara zurückgezogen hatte, annektierte Marokko den Küstenstreifen, der über reiche Phosphatvorkommen verfügt. Die Befreiungsfront Polisario, die in den nicht von Marokko besetzten Gebieten und in großen Flüchtlingslagern im Nachbarland Algerien einen eigenen Staatsapparat aufgebaut hat, fordert die Unabhängigkeit der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, die von 46 Staaten der Welt anerkannt ist. 1991 stellte die Polisario den bewaffneten Kampf gegen Marokko ein und stimmte Verhandlungen mit den Besatzern unter UN-Vermittlung zu, die in ein Referendum über die Unabhängigkeit des Landes münden sollten. Diese Verhandlungen wurden von Marokko jedoch jahrelang verzögert, bis heute ist eine Lösung des Konflikts nicht in Sicht.

* Aus: junge Welt, 9. Dezember 2009


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