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Wüstenlauf für Menschenrechte

170 000 Flüchtlinge warten auf ihre Rückkehr in die Westsahara

Von Daniel Kläger *

In Zusammenarbeit mit der UNO-Flüchtlingshilfe bereitet die Marathonstiftung WHMF den siebten Sahara-Marathon vor, der die Läufer Ende Februar bis Anfang April 2007 an mehreren Flüchtlingslagern in der Nähe der westalgerischen Oasenstadt Tindouf – nahe der Grenze zu Mauretanien und Westsahara – vorbeiführen soll.

Ist Ihnen der Begriff »Saharawi« bekannt, der Begriff »UNO-Flüchtlingshilfe« geläufig? Das erfragt die »World Humanitarian Marathon & Ultramarathon Foundation« (WHMF) in einem Reiseformular. Die in 14 Ländern bestehende Stiftung organisiert und unterstützt Marathon-Veranstaltungen weltweit, um so »gegen Leid und Armut anzugehen sowie vergessene Krisen publik zu machen«.

Durch den Sahara-Marathon machen die Veranstalter auf die seit über 30 Jahren anhaltende Krisensituation der Sahraui-Flüchtlinge aufmerksam. Dabei bleibt es nicht: 50 der knapp 1000 Euro Gesamtreisekosten für die anreisenden Läufer sollen auf direktem Wege in Hilfsprojekte für die Flüchtlinge in den algerischen Lagern fließen.

Entsprechend dem Hinweis vom Algerien-Länderdirektor des UNO-Welternährungsprogramms, Mario de Gaay Fortman, Ende Oktober, wonach »das Überleben von tausenden Flüchtlingen von externer humanitärer Hilfe« abhängt, soll die Lebensmittelversorgung der Flüchtlinge dieses Jahr eine erstrangige Rolle spielen.

Neben dem zentralen Marathon sind kleinere Varianten und der 160-Kilometer-Ultralauf geplant. Auch Helfer und Begleiter sind gern gesehene Gäste. Der Marathon soll den teilnehmenden Sahrauis die Möglichkeit bieten, sich nach dem Prinzip des »Hungerlaufs« Kilometergeld zu errennen. Zwar mangelt es an Sponsoren, dennoch seien so in der Vergangenheit nicht unerhebliche Summen zusammengekommen, wie der deutsche WHMF-Generaldirektor, Holger Finkernagel, Arzt und selbst Marathonläufer, vergangene Woche in Berlin sagte.

Desweiteren unterstützt die WHMF die Sahraui-Produktion von Teppichen für die Läufer und die italienischen Partner bereiten ein Projekt zum Recyclen von Flüchtlingslager-Plastikmüll vor: Daraus sollen Siegertrophäen werden, führte der WHMF-Direktor aus.

Im Rahmen des Marathons sollen die Läufer nicht nur die Flüchtlingslager besuchen, »sondern auch den Alltag der Menschen kennenlernen, die dort seit nunmehr 33 Jahren von humanitärer Hilfe leben«, erklärte Jamal Zakari, der die einstige Guerillaorganisation Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und Río de Oro (Frente Polisario) in Deutschland vertritt. Eigentlich seien die Sahrauis, die ursprünglichen Besiedler der Westsahara, »ein reiches Volk«, erklärte er. Schließlich gibt es in der Westsahara neben anderen Rohstoffen und der fischreichen Küste eines der weltweit größten Phosphatvorkommen. Doch was schon der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano – der die Entwicklung in der Westsahara aus weiter Ferne beobachtet – in Bezug auf Lateinamerika schrieb, gilt sicherlich auch für die Westsahara: Das Problem ist nicht die Armut der Menschen, sondern der Reichtum des Bodens. Galeano kritisiert, dass zwar 82 Staaten die 1976 von der Polisario ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) diplomatisch anerkannt hätten, sich jedoch nicht ein europäischer Staat darunter befinde. Dies bezeichnete der Schriftsteller als »Ausdruck einer großen Verantwortungslosigkeit« gegenüber den Sahrauis, die Galeano in einer jüngst erschienenen Kolumne »die offenste Gesellschaft und die am wenigsten ›machista‹ der islamischen Welt« nannte.

Die Polisario hatte sich 1973 gegründet und kämpft seitdem gegen die koloniale Besetzung der Westsahara – einem Gebiet etwa der Größe der ehemaligen DDR – erst durch Spanien und seit 1975 durch Marokko, das »historische Ansprüche« auf das Gebiet erhebt. Nachdem den Sahrauis ein Unabhängigkeitsreferendum unter UNO-Aufsicht zugesichert worden war, legte die Polisario 1991 die Waffen nieder. Bereits ein Jahr darauf sollte das Referendum durchgeführt werden, das aber »bis heute blockiert wird«, wie der Polisario-Vertreter in Berlin kritisierte.

Zur Sicherung der von Marokko besetzt gehaltenen bodenschatzreichen zwei Drittel der Westsahara hat Marokko einen tausend Kilometer langen verminten Grenzwall errichtet. Galeano sieht darin eine Mauer, die im Vergleich zur weltweit bekannten Berliner Mauer kaum Interesse auf sich zieht: »Hat das vielleicht etwas mit den Mauern der Kommunikation zu tun, die täglich von den großen Medien errichtet werden?«, fragte der Schriftsteller.

Unter Verweis auf die Haltung der UNO und der internationalen Staatengemeinschaft zum Konflikt, der etwa 170 000 Sahrauis ohne jede Perspektive in den algerischen Flüchtlingslagern hält, warnte auch Jamal Zakari von der Polisario: »Es ist ein großer Fehler, mit der Hilfe zu warten, bis es brennt.«

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2006


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