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Unerklärter Ausnahmezustand

In Westsahara gehen Sicherheitskräfte massiv gegen Proteste vor. Durchführung von Referendum gefordert

Von Ralf Streck

Marokkos Sicherheitskräfte gehen derzeit wieder einmal mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten in der Westsahara vor. Proteste der Bevölkerung um den 30. Jahrestag der Besetzung des Gebiets durch Marokko herum werden blutig unterdrückt. Marokko hat bereits weitere 4000 Militärs in die Region geschickt.

Zum Jahrestag am 14. November hatte sich die Konfrontationen mit den Sicherheitskräften verstärkt. Die Saharaouis fordern, endlich das Referendum über die Unabhängigkeit durchzuführen, das die Basis der Waffenruhe mit der Befreiungsfront Polisario war. Seit 1991 verhindert Marokko dessen Realisierung, die von der MINURSO-Mission der UNO überwacht werden soll.

Verstärkt wurden die Proteste, nachdem Marokko einräumen mußte, daß ein Saharaoui, der vor zwei Wochen bei einer friedlichen Demonstration verhaftet wurde, von Polizisten totgeprügelt wurde. Zuvor hieß es, er sei durch einen Steinwurf verletzt worden. Menschenrechtler sprechen inzwischen von einem »unerklärten Ausnahmezustand«. In den letzten Tagen seien mehr als 100 Menschen allein in der Verwaltungshauptstadt El Aiun verhaftet worden. Wie üblich seien sie Folter, Mißhandlungen und Vergewaltigungen ausgesetzt. 50 Wohnungen seien von Sicherheitskräften geplündert worden. Die Krankenhäuser seien durch die große Zahl der Verletzten überlastet. Marokkos Regierung bestreitet die Vorgänge. Unabhängige Beobachter gibt es nicht, weil die Besatzer das Gebiet seit dem Ausbruch der Proteste im Mai abgeriegelt haben.

Statt die Öffnung, ein Ende der Unterdrückung und die sofortige Umsetzung der internationalen Abkommen über die Entkolonisierung zu fordern, stützt Spanien die Politik Marokkos. Dabei hatte die Exkolonialmacht beim Abzug den Saharaouis versprochen, sie in die Unabhängigkeit zu führen. Daran wurden die sozialistische Regierung am Wochenende auch von 30000 Demonstranten in Madrid erinnert.

Doch Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero lobte dagegen den marokkanischen König bei den Feiern zum 50. Jahrestag der marokkanischen Unabhängigkeit am Mittwoch. In Rabat sprach er vom »intensiven und fruchtbaren« Weg des Königreichs. Im Beisein von Frankreichs Ministerpräsident Dominique de Villepin kündigte er eine »aussichtsreiche Zukunft dieser jungen Nation« an.

* Aus: junge Welt, 18.11.2005


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