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Deutsche Realpolitik und die Westsahara

Gastkommentar von Axel Goldau *


Die anstehenden Probleme sind gewaltig: Ein nicht verhinderter Krieg in der Ost-Ukraine ist längst in einen Kalten Krieg zwischen „dem Westen“ und Russland gemündet. Zerfallene Staaten dort, wo die Wiege „unserer Zivilisation“ stand, die nach und nach durch den Islamischen Staat, der größten und mächtigsten Terrormiliz, die es bisher gab, ersetzt werden und die uns deutlich zeigt, was sie von „unserer Zivilisation“ hält. Kaum zu glauben, dass ein deutscher Außenminister in solchen bewegten Zeiten ausgerechnet den Weg in den Maghreb, nach Marokko, Tunesien und Algerien, findet, wie Ende Januar d.J. geschehen.

„Die erste Station seiner viertägigen Reise führte Außenminister Steinmeier am Donnerstag nach Marrakesch. Dort kam er direkt nach seiner Ankunft mit dem marokkanischen Außenminister Salaheddine Mezouar zu Konsultationen zusammen. Im Mittelpunkt des Gesprächs …. standen Fragen der weiteren Vertiefung der bilateralen Beziehungen, regionale Themen sowie die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung“, heißt es auf der Seite des Auswärtigen Amtes (AA) [1]. „Regionale Themen“ – da könnte man doch meinen, dass die anhaltenden Verstöße gegen das Völkerrecht wie die Kolonisierung der Westsahara und die damit eng verbundenen, schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch das Gastgeber-Regime zumindest ein solches „regionales Thema“ sein müssten. Aber weit gefehlt! In der zitierten Mitteilung des AAs kommt das Wort „Westsahara“ nicht einmal vor.

Das anschließende Gespräch mit dem König muss richtig nett gewesen sein; denn während der Pressekonferenz ist der Außerminister voll des Lobes über „den ,beeindruckenden Weg‘ in der Entwicklung Marokkos: Er habe ,großen Respekt‘ davor, wie es dem Land gelungen sei, ,unterschiedliche politische, gesellschaftliche, auch religiöse Strömungen in einem außerordentlich schwierigen politischen Umfeld‘ einzubinden,“ lässt das AA weiter verlauten.

Wie bitte? – Im außerordentlich schwierigen politischen Umfeld während des gewaltsamen Einverleibungsversuchs der Westsahara gelingt es dem gastgebenden Königreich gesellschaftliche Strömungen der saharauischen Zivilbevölkerung durch Genozid [2] einzubinden? Voll des Lobes und mit „großem Respekt“ reduziert sich die gesamte Steinmeierei beim Thema Westsahara auf Worthülsen wie „Bemühungen der Parteien bei der Einhaltung von Menschenrechten“.[3]

Offensichtlich möchte die Bundesregierung die deutsche Öffentlichkeit gar nicht mit dem letzten afrikanischen Kolonialkonflikt um die Westsahara belästigen; denn die Westsahara ist ihr nur einen Punkt unter 27 Punkten des „Deutsch-Marokkanischen Kommuniqués“ vom 22. Januar 2015 wert. Dieses Kommuniqué ist bis heute von der Bundesregierung nicht veröffentlicht worden. Über die fortbestehende Haltung des Landes des Bundesaußenministers zur Westsahara-Frage erfahren wir unter Punkt 20, dass „Deutschland die Bemühungen der Vereinten Nationen für eine dauerhafte und einvernehmlich vereinbarte politische Lösung unterstützt.“ Zwar verrät Steinmeier nicht explizit, wer hier „einvernehmlich“ vereinbaren und politisch lösen soll, gemeint sind jedoch „die Konfliktparteien“ eines unsymmetrischen Konflikts zwischen einer Kolonialmacht, hier: das Königreich Marokko, und einem kleinen Nomadenvolk, international vertreten durch die Frente POLISARIO, des „nicht selbst regierten Gebietes“ der Westsahara.

Bei aller Ignoranz gegenüber dem Leid, das das Königreich Marokko über die Menschen der Westsahara gebracht hat, verwundert es dann auch gar nicht, dass vor lauter Steinmeierei unter Punkt 25 im selbigen Kommuniqué „Die deutsche Seite die Fortschritte (begrüßt), die Marokko bei der Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung erzielt hat…“, ein heftiger Schlag ins Gesicht für alle, die an die zivilisatorischen Errungenschaften des Rechtsstaats glauben, und blanker Hohn für die Opfer des marokkanischen Regimes sowohl in der besetzten Westsahara als auch im Königreich selber.

Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung sehen anders aus – das weiß auch Herr Steinmeier, aber bei so wichtigen Aufgaben wie der weiteren Vertiefung der bilateralen Beziehungen - und natürlich - der Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung haben die Menschenrechte und das Völkerrecht keinen Bestand innerhalb deutscher Realpolitik.

Anmerkungen
  1. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Marokko/150122-BMMaghreb_ Marokko.html?nn=385818 – letzter Zugriff am 20.06.2015
  2. http://elpais.com/elpais/2015/04/09/inenglish/1428592632_385173.html - letzter Zugriff am 20.06.2015
  3. Aus den Antworten der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der LINKEN vom 15.05.2015 (Bundestags-Drucksache 18/4922
* Axel Goldau ist redaktioneller Hrg. der Kritischen Ökologie und Vorstandsmitglied von Western Sahara Ressource Watch (WSRW).
Der Beitrag erscheint als Gastkommentar in Heft Nr. 82: 3/2015 von INAMO.



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