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Selbst Amnesty fordert ein robustes Mandat

Neue Intervention in der Zentralafrikanischen Republik steht bevor

Von Armin Osmanovic, Johannesburg *

Die soziale Lage in der Zentralafrikanischen Republik ist dramatisch: Ein Drittel der Bevölkerung ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Vielerorts herrscht die Gewalt von Milizen.

Die Lage in der Zentralafrikanischen Republik ist weiter chaotisch. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die UNO erst am Montag aufgefordert, rasch in der von Unruhen erschütterten Zentralafrikanischen Republik tätig zu werden. Der UN-Sicherheitsrat müsse ein robustes Mandat verabschieden, um die Gewalt in dem Land zu beenden, erklärte Amnesty in London.

Wenigstens in der Hauptstadt Bangui hat sich die Lage etwas entspannt, seit Frankreich und die Afrikanische Union (AU) ankündigten, weitere Soldaten in das Land entsenden zu wollen. Frankreich will seine 420 Soldaten, die vor allem den Flughafen sichern, um weitere 600 verstärken. Erste Kontingente sind bereits angekommen. Die AU hat die seit 2003 im Land stationierten afrikanischen Streitkräfte (FOMAC) in den letzten Monaten auf 2500 Mann aufgestockt.

Die Séléka-Rebellen, die im März 2013 die Hauptstadt eingenommen hatten, haben sich nach Angaben von Beobachtern vor Ort in den letzten Tagen zurückgezogen. Im März hatten die islamischen Rebellen aus dem Norden den Präsidenten Francois Bozizé gestürzt. Dieser konnte in das Nachbarland Demokratische Republik Kongo flüchten. Heute lebt er im Exil in Paris, pocht aber auf seine Rechte als »demokratisch« gewählter Präsident und drängt an die Macht zurück. Seinen christlichen Milizen vor Ort, die gegen die Séléka-Rebellen kämpfen, werfen Menschenrechtsorganisationen wie den Rebellen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung vor. Für den neuen Präsidenten Michel Djotodia, der mit Hilfe der Rebellen im März an die Macht gelangt war, sind es vor allem diese Milizen Bozizés, die für die Gewalt und die Instabilität im Land verantwortlich sind.

Ein Drittel der knapp fünf Millionen Einwohner der Zentralafrikanischen Republik brauchen nach Schätzungen der Vereinten Nationen dringend Lebensmittel und medizinische Hilfe. Nach Machtübernahme der Rebellen im März war es zu Ausschreitungen und Plünderungen im Land gekommen. Danach geriet die Gewalt immer mehr außer Kontrolle. »Viele Menschen verstecken sich im Wald und trauen sich aus Angst vor den Rebellen nicht zurück in ihre Dörfer«, sagt Sylvain Groult von Ärzte ohne Grenzen.

Frankreich hatte viele Monate zur Lage in der Zentralafrikanischen Republik geschwiegen. Als im März Bozizé aus dem Amt gejagt wurde, hat Frankreich nicht eingegriffen. Auch die afrikanischen Soldaten hatten sich in den Kämpfen zwischen Rebellen und Regierungstruppen nicht eingemischt. Allein die 800 Mitglieder der Präsidentengarde und die südafrikanischen Soldaten, die seit einigen Jahren, wie es offiziell hieß, zu Ausbildungszwecken im Land stationiert waren, hatten versucht, den Präsidenten zu schützen.

15 Soldaten der Südafrikaner waren in den Gefechten mit den Rebellen, die mehr als 25 000 Mann, darunter auch Kindersoldaten, unter Waffen haben sollen, getötet worden. Nach den Verlusten zog Südafrika alle Soldaten aus der Zentralafrikanischen Republik ab. Südafrikas Präsident Jacob Zuma, der im eigenen Land wegen der toten Soldaten und den zwielichtigen Gründen der Mission unter Druck geraten war, drängte im Rahmen der AU und der Vereinten Nationen weiter auf ein Eingreifen von außen. Südafrika war besorgt, dass sich auch die Zentralafrikanische Republik wie Somalia zu einem »gescheiterten Staat« entwickeln könnte, wo Terroristen Unterschlupf finden.

Der neue starke Mann in der Region, Tschads Präsident Idriss Déby, der 2003 Bozizé bei seinem Putsch unterstützt hatte, war lange sein wichtigster Verbündeter. Doch im März hatte er die Rebellen, die teilweise aus seinem Land stammen, gewähren lassen. Später hatte er diese sogar anerkannt. Wie schon in Mali, als seine Soldaten an der Seite Frankreichs die dortigen Rebellen zurückschlugen, so scheint Déby nun auch im Falle des südlichen Nachbars gewillt, einzugreifen. Beobachter werfen ihm sehr eigennützige Motive vor. Kann er doch damit von seiner autoritären Herrschaft zu Hause ablenken.

Der Druck der Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen hat Frankreich nun offenbar zu einer Änderung seiner Politik bewogen. Die hatte sich in den vergangenen Jahren auf die Côte d'Ivoire und Mali konzentriert. Die Zentralafrikanischen Republik geriet ein wenig aus dem Fokus, auch weil die Wirtschaftsinteressen Frankreichs inzwischen gering sind. Nur etwa 1200 Franzosen sind im Land. Auch militärisch hat die ehemalige Kolonialmacht ihre Präsenz in der Zentralafrikanischen Republik zugunsten Gabuns zurückgefahren.

Nun haben sich die Führung in Paris und die afrikanischen Staatschefs, die sich am Freitag zu einem Französisch-afrikanischen Gipfel in Paris treffen werden, auf eine gemeinsame Initiative im UN-Sicherheitsrat verständigt, welche die Mission der AU (MISCA) ausweiten soll. Nach Einschätzung von Experten kommt diese Hilfe sehr spät und ist nicht ausreichend. Außerhalb der Hauptstadt kann man von staatlichen Strukturen nicht mehr sprechen. Die Regierung von Präsident Michel Djotodia hat keinen Einfluss jenseits der Stadtgrenzen, meint etwa Thibaud Lesueur von der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group. Neben der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung braucht das zu den ärmsten Ländern der Welt zählende Land auch mehr finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau. Mehr Geld für sein Land, das will der Ministerpräsident Nicolas Tiangaye, in Paris beim AU-Frankreich Gipfel erreichen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Dezember 2013


Frankreich fürchtet ein neues Somalia

Paris nennt die Gefahr des islamistischen Terrors als zentralen Beweggrund für sein erweitertes Engagement

Von Ralf Klingsieck, Paris **


Frankreich bereitet sich bereits massiv auf einen Militäreinsatz in Zentralafrika vor, für den nur noch das in den nächsten Tagen zu erwartende Mandat durch den UN-Sicherheitsrat fehlt.

Sie sind schon unterwegs: Die französische Armee brachte am vergangenen Wochenende etwas mehr als 200 zusätzliche Soldaten für einen Militäreinsatz in die Zentralafrikanische Republik. Die aufgrund bilateraler Abkommen im Land stationierten 420 französischen Militärs werden bis Mitte Dezember auf 1000 Mann aufgestockt – UNO-Mandat hin oder her. Ein Großteil dieser Männer wartet auf Schiffen vor der Küste nur noch auf den Befehl zur Landung.

Die französischen Militärs sollen die 3600 Soldaten der im Aufbau befindliche Streitmacht mehrerer afrikanischer Länder und die erwarteten UNO-Soldaten unterstützen und nicht wie Anfang des Jahres im Mali selbst die Offensive führen, betont Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian. Zu den Hauptaufgaben der französischen Militärs wird die Sicherung der Hauptstadt Bangui und der von dort in die Nachbarländer führenden zwei Straßen gehören, die in letzter Zeit wiederholt Angriffen durch bewaffnete Banden ausgesetzt waren. Seit dem Staatsstreich von Michel Djotodia, der im vergangenen März mit Unterstützung von Söldnern aus Tschad und Sudan den Präsidenten François Bozizé gestürzt und sich selbst zum Präsidenten erklärt hatte, herrscht im Land Bürgerkrieg und Chaos.

Djotodia repräsentiert die muslimische Minderheit, die nur zehn Prozent der knapp fünf Millionen Einwohner des Landes ausmacht, während 80 Prozent Christen und die restlichen zehn Prozent Animisten sind. Doch Djotodia hat inzwischen die Macht über seine Anhänger verloren, die als mordende und plündernde Banden durchs Land ziehen und die christliche Bevölkerungsmehrheit terrorisieren. Aber auch die Milizen, die durch die Christen zur eigenen Verteidigung gebildet wurden, haben Beobachtern zufolge Gräueltaten verübt. Der französische Außenminister Laurent Fabius rechnet mit einem drohenden Völkermord, was ein Eingreifen französischer Militärs an der Seite der afrikanischen und UNO-Soldaten dringend nötig mache. Verteidigungsminister Le Drian schätzt, dass der Einsatz der französischen Militärkräfte in Zentralafrika auf sechs Monate begrenzt und dass in dieser Zeit die Sicherheit im Land wiederhergestellt werden kann. Zum Gipfeltreffen für Frieden und Sicherheit in Afrika, das Ende der Woche im Pariser Elysée stattfindet, wurde Djotodia nicht eingeladen, sondern nur der Premierminister Zentralafrikas, der schon unter Präsident Bozizé im Amt war.

Frankreich will vor allem verhindern, dass Zentralafrika zu einer neuen Basis für den internationalen islamistischen Terror wird. Gegenwärtig hat Frankreich noch 3200 Militärs in Mali, wo der Norden des Landes längst noch nicht von allen islamistischen Terroristen befreit, gesichert und befriedet ist. Weitere 900 französische Soldaten sind in Tschad stationiert und 450 in Côte d'Ivoire. Zählt man die 650 noch in Afghanistan befindlichen Soldaten, 900 in Libanon und 300 in Kosovo hinzu, dann hat Frankreich gegenwärtig insgesamt rund 8500 Militärs im Auslandseinsatz.

Pro Jahr werden dafür offiziell 600 Millionen Euro aufgewendet. Doch mit den Ausgaben, die in anderen Posten des Staatshaushalts versteckt sind, wird Schätzungen von Beobachtern zufolge insgesamt pro Jahr eine Milliarde Euro für die Auslandseinsätze aufgewendet. Angesichts dieser Belastung sind die französischen Diplomaten und Spitzenmilitärs verbittert darüber, dass die anderen europäischen Länder Frankreich in Afrika im Stich lassen und Paris teils gar vorwerfen, dort seine wirtschaftlichen Interessen zu sichern. »Das stimmt zwar auch, aber weit darüber hinaus verteidigt Frankreich in Afrika die Sicherheit Europas vor einem erstarkenden islamistischen Terrorismus«, meint Thierry de Montbrial, Direktor des französischen Instituts für Internationale Beziehungen.

Unterstützung könnte Paris von Berlin erhalten. Laut Luftwaffeninspekteur Karl Müllner prüfe die Bundeswehr gerade eine mögliche Unterstützung beim Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik. So könne man wie im Fall von Mali Transall-Transporter entsenden.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Dezember 2013

Chronik

1960: Unabhängigkeit der ZAR; Präsident: David Dacko, Anlehnung an Frankreich

1966: Putsch, Machtübernahme durch General Jean-Bédel Bokassa

1972: Selbsternennung Bokassas zum Präsidenten auf Lebenszeit, ab 4.12.1976 »Kaiser Bokassa I.«

1979: Absetzung Bokassas, David Dacko wird wieder Staatschef

1981: Militärputsch, Machtüber-nahme durch General André Kolingba

1993: Präsidentenwahl: Ange-Félix Patassé, u. a. Premier unter Bokassa, gewinnt gegen Kolingba

2001: gescheiterter Putschversuch von Kolingba

2003: General François Bozizé übernimmt nach Putsch gegen Patassé die Macht

2013: Putsch gegen Bozizé, Eroberung der Hauptstadt Bangui durch die Séléka-Rebellen; Michel Djotodia ernennt sich zum neuen Staatschef. nd




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