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Putsch in Bangui

Rebellenchef erklärt sich zum Staatsoberhaupt der Zentralafrikanischen Republik

Von Simon Loidl *

Am Montag hat sich der Anführer des Rebellenbündnisses Séléka, Michel Djotodia, zum neuen Staatsoberhaupt der Zentralafrikanischen Republik ernannt. Am Vortag waren die Aufständischen in der Hauptstadt Bangui einmarschiert und hatten unter anderem den Präsidentenpalast besetzt. Das bisherige Staatsoberhaupt, François Bozizé, hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits abgesetzt. Djotodia kündigte an, daß eine Übergangsregierung freie Wahlen binnen drei Jahren organisieren soll. Bis dahin soll Nicolas Tiangaye, der von den Aufständischen im Januar bei Friedensgesprächen als Premierminister nominiert worden war, sein Amt behalten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte den Umsturz.

Im Dezember vergangenen Jahres hatte Séléka den Kampf gegen Bozizé aufgenommen, der selbst im Jahr 2003 durch einen Putsch an die Macht gekommen war. Die Aufständischen warfen dem Präsidenten vor, Verpflichtungen aus einem Friedensabkommen vom Jahr 2007 nicht nachgekommen zu sein. Damals hatte die »Union Demokratischer Kräfte für die Sammlung« (UFDR) die Stadt Birao angegriffen. Nichtausbezahlte Solde sowie die Unzufriedenheit ehemaliger Kampfgefährten Bozizés mit der Entwicklung nach dem Staatsstreich 2003 waren die Ursache der Kämpfe vor fünf Jahren, in die auch französische Truppen eingriffen. Seit der Unabhängigkeit Zentralafrikas 1960 ist Paris in dem Land militärisch präsent. Der Friedensschluß von 2007 war nur von kurzer Dauer, in den folgenden Jahren kam es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Im Dezember 2012 trat schließlich mit Séléka ein neues Bündnis auf, in dem ehemalige UFDR-Kämpfer wieder eine zentrale Rolle spielten. Nach mehrwöchigen Kämpfen kam es im Januar zu einem Abkommen, das unter anderem eine Regierungsbeteiligung von Vertretern der Aufständischen beinhaltete. Diese warfen Bozizé jedoch schon bald vor, daß das neue Kabinett nur auf dem Papier bestehe.

Am Montag vergangener Woche schließlich stellten die Rebellen ein 72stündiges Ultimatum und forderten unter anderem die Freilassung politischer Gefangener, die Integration von Kämpfern in die Armee des Landes, die Aufhebung von Ausgangssperren und den Abzug der ausländischen Truppen. Neben französischen, tschadischen und ugandischen Soldaten sind auch militärische Einheiten aus Südafrika in der Zentralafrikanischen Republik präsent. Vor allem letztere griffen den Meldungen zufolge in die Kämpfe Ende vergangener Woche ein, während sich die nationale Armee, aber auch Franzosen und Tschader der Offensive kaum entgegenstellten – wenn auch französische Soldaten zentrale Einrichtungen wie den Flughafen sicherten. Mindestens 13 südafrikanischen Soldaten wurden bei den Kämpfen getötet. Pretoria hatte sich während der vergangenen Jahre zunehmend in die Politik der ZAR eingemischt und ­Bozizé etwa Berater an die Seite gegeben.

Paris verhielt sich währenddessen abwartend, das Verhältnis zu Bangui war abgekühlt. Nachdem die Zentralafrikanische Republik 1960 formal unabhängig von seiner ehemaligen Kolonialmacht Frankreich geworden war, hatte letztere die politische Entwicklung stets mitbestimmt und hatten französische Konzerne den Abbau der Gold-, Diamanten-, oder Uranvorkommen kontrolliert. Nach jedem Regierungswechsel – sei es durch Wahlen oder Umsturz – blieb Frankreich militärisch präsent und sorgte dafür, daß französische Interessen in der Region gewahrt blieben. Bozizé hatte allerdings mehrere Weichenstellungen vorgenommen, die dem zuwiderliefen. Durch die Privatisierung der Erdölindustrie im April 2007 etwa verlor die Total AG, bis dahin Hauptaktionärin des staatlichen Erdölunternehmens, ihren unumschränkten Zugriff auf den Rohstoff. Auch politische Ratschläge aus Paris wurden in Bangui immer häufiger ignoriert.

Die aktuellen Auseinandersetzungen verfolgte Frankreich eher passiv. Als die Séléka-Rebellen im Dezember erstmals Richtung Hauptstadt marschierten, erklärte Paris, daß seine Soldaten nicht die zentralafrikanische Regierung schützen würden, sondern ausschließlich französische Interessen. Zu diesem Zweck sind seit Samstag mehrere hundert weitere französische Soldaten in Bangui eingetroffen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. März 2013


Rebellen erobern Macht in Bangui

Kein Strom, kein Wasser, dafür ein neuer Präsident in Zentralafrika

Von Markus Schönherr, Kapstadt **


Rebellenführer Michel Djotodia hat sich zum neuen Präsidenten der zentralafrikanischen Republik ernannt. Tausende Anhänger des Rebellenbündnisses Séléka (Allianz) hatten am Wochenende die Hauptstadt Bangui erobert. Berichtet wird von heftigen Gefechten und Plünderungen.

»Ich nutze die Restenergie meines Laptops, um diese Zeilen zu schreiben und meine Familie zu warnen.« Diese E-Mail stammt von Georgette Koyt, Professorin an der Universität von Bangui in der Zentralafrikanischen Republik. Auf Nachfrage schrieb sie: »Vor wenigen Stunden kamen die Séléka-Rebellen vorbei und beschlagnahmten mein Telefon und mein Auto.« In der Hauptstadt gebe es weder Wasser noch Strom.

Am Montag, Tag zwei des Putsches aufständischer Rebellen, wurde immer wieder von Schusswechseln berichtet. Die Bewohner Banguis blieben in ihren Häusern, Rebellen plünderten und brandschatzten Geschäfte, Restaurants und Wohnhäuser. Auch das Büro des UN-Kinderhilfswerks UNICEF soll den Flammen zum Opfer gefallen sein. Der bisherige Präsident Francois Bozizé hat in Kamerun Zuflucht gefunden.

Séléka-Führer Michel Djotodia rief sich unterdessen zum neuen Präsidenten aus und versprach, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Regierungschef Nicolas Tiangaye, der im Januar von den Rebellen für das Amt bestimmt worden war, bleibe auf seinem Posten, im Kabinett werde es nur minimale Änderungen geben. Innerhalb von drei Jahren sollen demokratische Wahlen abgehalten werden. Derweil verurteilte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in der Nacht zum Montag die »verfassungswidrige Machtergreifung« und zeigte sich tief besorgt angesichts der Berichte über Menschenrechtsvergehen. Ban versprach der Bevölkerung der Zentralafrikanischen Republik, die UNO werde weiter darauf hinarbeiten, »die Krise zu lösen«.

Der Glaube an eine diplomatische Lösung scheint auch in der USA-Regierung noch zu bestehen. Victoria Nuland, Sprecherin des Außenministeriums, rief die Seleka-Führung auf, »die Legitimität des Libreville-Vertrags zu akzeptieren und ihn umzusetzen«. In Gabuns Hauptstadt Libreville hatten sich die Regierung unter Bozizé und die Rebellen vor zwei Monaten auf eine Koalitionsregierung geeinigt. Der Friedenspakt war jedoch spätestens am Freitag geplatzt, als die Rebellen in die Hauptstadt vorrückten und sie am Sonnabend eroberten. Die Séléka, ein Bündnis mehrerer Gruppen, hatte sich im Dezember im Norden des Landes gegen Bozizé erhoben. Sie beschuldigt den gestürzten Präsidenten, den Friedensvertrag nicht umgesetzt zu haben.

Gabun und andere westafrikanische Staaten hatten Truppen geschickt, um die Stabilität zu wahren. Auch Südafrika ist mit Soldaten daran beteiligt. Noch am Freitag hatte Bozizé Kapstadt besucht, wo er mit Präsident Jacob Zuma sprach. Nachdem am Wochenende mindestens 13 südafrikanische Soldaten bei Gefechten mit den Rebellen ums Leben gekommen sind, erklärte Zuma: »Südafrika lehnt jeden Versuch ab, die Macht mit Gewalt an sich zu reißen. Wir werden deshalb Sanktionen und andere Maßnahmen gegen die Verantwortlichen für einen verfassungswidrigen Regierungswechsel unterstützen.« Die Afrikanische Union suspendierte die Mitgliedschaft Zentralafrikas.

Frankreich, das bisher bereits 250 französische Soldaten in Zentralafrika stationiert hatte, schickte unterdessen weitere 300 Militärs zur Verstärkung nach Bangui, um »die Sicherheit von Ausländern zu garantieren«.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. März 2013


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